BMW-Prototypen zeigen, wie Elektronik das Fahren sicherer und effizienter macht

BMW forscht an modernen Fahrerassistenzsystemen

Von der aktiven Gefahrenbremsung bis zum Schlüssel der Zukunft: BMW präsentiert Ideen und Prototypen zu Themen wie Navigation, Sicherheit und Spritsparen. Wir stellen einige Forschungsprojekte vor

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Gernlinden bei München, 8. Oktober 2010 – BMW kann man in den letzten Jahren guten Gewissens zu den Vorreitern von elektronischen Fahrerassistenzsystemen zählen. Nach dem Motto "forsche viel und sprich darüber" lud das Unternehmen wie jedes Jahr ein, die neuesten Erkenntnisse vorzuführen. Die kurze Reise zum Veranstaltungsort absolvierten wir mit einem Lada Niva, passender geht es kaum …

Der Schlüssel der Zukunft

Mit unserem Lada-Schlüssel können wir gerade mal das Fahrzeug öffnen und den Motor anlassen. In Zukunft könnte das schlichte Teil jedoch zu einem vielseitigen Personalisierungsinstrument mutieren. Dazu erweitern die BMW-Ingenieure den Schlüssel um eine NFC-Schnittstelle (Near Field Communication), mit der Daten über Distanzen von unter zehn Zentimetern übertragen werden können – zum Beispiel zwischen dem Schlüssel und dem Infotainmentsystem des Autos. Ein Beispielszenario zeigt, was möglich ist: Man ist im Auto von Frankfurt nach Hamburg unterwegs und das Navi meldet einen Stau. Um noch rechtzeitig zu einem wichtigen Termin zu kommen, entschließt man sich, auf den Zug umzusteigen. Dazu ordert man über die Onlineanbindung des Autos ein Ticket bei der Deutschen Bahn.

Tickets per Schlüssel buchen und bezahlen

Das Ticket wird auf dem Schlüssel hinterlegt. Außerdem bucht man ein Hotelzimmer in Hamburg. Nach dem Umsteigen in den Zug wird der Schlüssel mit dem darauf gespeicherten Ticket einfach an das Kontrollgerät des Schaffners gehalten, das bereits heute elektronische Tickets lesen kann. Und im Hotel hält man den Autoschlüssel an die Zimmertür, die daraufhin entriegelt wird.

Außerdem kann man, wenn man sich plötzlich nicht mehr sicher ist, ob man das Auto verschlossen hat, dies über ein Smartphone mit NFC-Schnittstelle und der passenden Applikation nachholen. So lässt sich auch nachsehen, wann die nächste Inspektion fällig ist, wie viel Benzin noch im Tank ist und dergleichen mehr.

Autosteuerung per iPhone

Bereits in BMW-Serienautos verfügbar ist die Funktion, das Fahrzeug aus der Ferne zu ver- oder entriegeln und die Klimatisierung von außen zu steuern. Dazu ist aber ein Anruf im BMW-Callcenter nötig. In Zukunft soll dies auch per Smartphone-Applikation klappen. Wir haben das Entriegeln per Handy an einem Prototypen erprobt. Das Manko ist: Der Vorgang dauert etwa eine Minute, da die Entriegelungsbefehl aus Sicherheitsgründen erst an eine BMW-Zentrale geschickt wird, und von dort ans Fahrzeug. Das Entriegeln per Schlüssel ist da schneller. Eine praktische Zusatzfunktion, die von BMW entwickelt wird, ist eine lokale Suche: Mit der Google-Applikation Local Search wird zum Beispiel ein Eiscafé in der Umgebung gefunden, die Position wird in der Karte auf dem Handy angezeigt und ins Auto übertragen. Im Navi des Fahrzeugs kann das Café dann als Ziel übernommen werden. In Zukunft könnte man über das Mobiltelefon auch Daten des Autos abfragen wie Tankinhalt, nächster Servicetermin und dergleichen mehr.

Eingabe per Touchpad oder Spracherkennung

Im Audi A8 ist die Funktion schon erhältlich, nun forscht auch BMW daran: die Eingabe von Buchstaben via Touchpad. Bei BMW soll Letzteres in den runden iDrive-Bedienknopf auf der Mittelkonsole integriert werden. So kann man zum Beispiel das Navigationsziel festlegen, indem man die Buchstaben einzeln mit dem Finger auf die berührungsempfindliche Fläche malt. Über das Touchpad könnte man auch auf Internetseiten navigieren oder sich in der Navigationskarte bewegen. Der von uns getestete Prototyp funktionierte noch nicht besonders gut – ein ü beispielsweise wurde noch nicht erkannt. Eine flottere Eingabemöglichkeit wäre Freitext-Spracherkennung. Damit könnte man auch E-Mails diktieren oder eine Einkaufsliste zusammenstellen, die man sich danach auf das Smartphone schickt.

Micro-Navigation und Mobilitätsassistent

Auch für die Weiterentwicklung der Navigation haben die BMW-Ingenieure Ideen. So wäre eine genauere Zielbestimmung wünschenswert. Zum Beispiel könnte man mithilfe einer Detailkarte festlegen, dass man im Flughafenparkhaus nahe am Aufzug parken möchte. Außerdem möchte BMW die Navigation auf andere Verkehrsmittel erweitern – das Ergebnis wäre ein Mobilitätsassistent. Dabei werden die Fahrpläne der öffentlichen Verkehrsmittel dynamisch eingebunden. Das Navi könnte neben einer reinen Autoroute auch das Abstellen des Autos auf einem Park+Ride-Parkplatz und die Benutzung der S-Bahn vorschlagen. Natürlich wird dem Nutzer die Dauer der unterschiedlichen Optionen mitgeteilt. Eine solche Applikation wird bereits im Rahmen eines Forschungsprojekts in Berlin erprobt: Die Nutzer des elektrogetriebenen Mini E erhalten eine Smartphone-Applikation, die neben der Navigation mit mehreren Verkehrsmitteln auch das Auffinden der nächsten Ladestation ermöglicht.

Navigation im Dienste des Spritsparens

Die Navigationssysteme der Zukunft können auch Vorteile beim Spritsparen bieten. So plant BMW einen Green Driving Assistant. Mit ihm lässt sich neben der kürzesten und der schnellsten Route auch die verbrauchsgünstigste Strecke zum Ziel auswählen. Der Assistent informiert den Fahrer während der Routenführung, wenn bei der aktuellen Fahrweise die Spritmenge nicht mehr für das Erreichen des Ziels genügt. Wenn man es eilig hat, kann man dann vielleicht den Zeit raubenden Tankstopp noch vermeiden – durch die Wahl einer anderen Route oder eine sparsamere Fahrweise. Als Grundlage für die Berechnung der Reichweite dient ein vom Navigationssystem erlerntes Fahrerprofil – denn natürlich fährt nicht jeder auf der Autobahn gleich schnell.

iLeNa: Das lernende Navi

Und auch in Bezug auf das Ziel könnte das Navi der Zukunft dazulernen. Dazu haben die BMW-Ingenieure einen Prototypen gebaut, der das wahrscheinlichste Ziel voraussagen kann. Fährt man jeden Tag morgens um acht in die Arbeit, kann das intelligente, lernende Navigationssystem (iLeNa) dies antizipieren und gleich eine Routenführung berechnen. Am Wochenende würde einen das System stattdessen dann vielleicht zum Golfplatz leiten.

Mit der Frau ins Möbelhaus

Das Navi könnte auch die Information über die Sitzbelegung einbeziehen: Wenn der Beifahrersitz belegt ist, geht es dann entweder ins Möbelhaus oder in das Gartencenter. Will man anderswo hin, dann kann man durch Abweichen von der Route bewirken, dass die Streckenführung auf ein anderes Ziel umschwenkt – zum Beispiel zum Supermarkt.

Das Fahrzeug vermisst Strecken

Das Wissen über die vorausliegende Strecke kann zur Steigerung der Effizienz genutzt werden. So kann die Motortemperatur für die bevorstehende Stadtstrecke optimiert werden. Bei Hybridautos kann die Batteriekapazität vollständig ausgenutzt werden, wenn die Speicher auf der vorausliegenden Gefällestrecke wieder gefüllt werden können. Außerdem hilft die kamerabasierte Verkehrszeichenerkennung: Sie ergänzt die Tempolimit-Informationen aus der Navi-Karte um temporäre Geschwindigkeitsbeschränkungen. Diese werden gespeichert und stehen so für künftige Routenberechnungen zur Verfügung. Dasselbe gilt für Kurvenradien und Höhenprofile: Die Fahrzeugsensoren können diese Daten genauer bestimmen, als sie die Kartenprovider liefern. Und wenn man weiß, dass auf einer bestimmten Landstraße scharfe Kurven nur 80 km/h zulassen, kann die Routenberechnung verbessert werden. Dergleichen Daten werden nicht nur im eigenen Fahrzeug gespeichert, sondern über einen Server allen BMW-Fahrern zur Verfügung gestellt.

Eco-Modus: Auf Knopfdruck effizient

Sport, Komfort, Normal: Solche Tasten in der Mittelkonsole gibt es bereits bei vielen Autos, nicht nur in solchen von BMW. In Zukunft könnte eine Eco-Taste hinzukommen. Ist sie aktiviert, werden Gaspedal- und Schaltkennlinien beziehungsweise bei Schaltgetrieben die Schaltpunktanzeige auf eine sparsame Fahrweise hin optimiert.

Bonus-Reichweite vergleichen

Wenn man das Gaspedal bis zu 70 Prozent durchdrückt, bleibt man im Eco-Mode. Beschleunigt man stärker – was bei Überwindung eines Widerstands durchaus möglich ist – wird der Eco-Modus abgeschaltet. Im Display wird die "Bonus-Reichweite" angezeigt, die man durch das Spritsparen erzielt hat. Mit einem Smartphone lassen sich die effizientesten Fahrten speichern und dann in einer Web-Community mit den Erfolgen der Freunde vergleichen.

Vorschauassistent und Leerlaufsegeln

Im Eco-Mode gibt es auch einen Vorschauassistenten. Er kennt die vorausliegenden Tempolimits, enge Kurven und Abzweigungen und berechnet daraus den Zeitpunkt, zu dem der Fahrer das Auto ausrollen lassen kann. Automatikfahrzeuge bekommen die Funktion "Leerlaufsegeln": Geht der Fahrer vom Gas, unterbricht das Auto automatisch die Verbindung zwischen Motor und Getriebe – man "segelt" im Leerlauf. In diesem Modus verbraucht der Motor nur 0,5 bis einen Liter pro Stunde. Den Eco-Mode und die Funktionen Vorschauassistent sowie Leerlaufsegeln konnten wir bereits in einem Prototypen erproben.

Active PDC und Remote Controlled Parking

Fahrerassistenzsysteme können nicht nur die Effizienz verbessern, sondern auch Sicherheit und Komfort erhöhen. Ein Beispiel für eine Komfortfunktion ist die Aktive Einparkhilfe (Active Park Distance Control, Active PDC). PDC ist unter dem geläufigeren Namen Einparkpiepser schon heute bei vielen Autos an Bord. Die aktive Variante regelt auch die Geschwindigkeit. Das System begrenzt die Geschwindigkeit auf fünf km/h. Taucht ein Hindernis auf, wird bis zum Stillstand gebremst. Ebenfalls beim Einparken hilft Remote Controlled Parking: Garagen oder Parklücken senkrecht zum Bürgersteig sind oft so eng, dass das Aussteigen schwer fällt. Mit dem BMW-System hält man vor der Parknische oder vor der Garage, steigt aus und lässt das Auto durch die Betätigung einer bestimmten Tastenkombination auf dem Schlüssel in die Lücke fahren. Ähnlich lässt sich der Wagen auch wieder aus dem Parkplatz herausholen. Ein Prototyp zeigte uns, dass das System bereits ganz ordentlich funktioniert.

Stau- und Kolonnenassistent

Ebenfalls dem Komfort dient der Assistent für Staus und Kolonnenverkehr. Das System ist eine Kombination des Abstandstempomaten mit der Spurverlassenswarnung. Ersterer erleichtert einem im Stop-and-Go-Betrieb das Fahren – allerdings nur bei gerader Strecke. Die Kamera des Spurverlassenswarners ist darauf spezialisiert, ein unbeabsichtigtes Verlassen der Spur zu verhindern. Beim Stau- und Kolonnenassistent fallen im dichten Verkehr nicht nur Gasgeben und Bremsen weg, sondern auch das Lenken – denn die Kamera sorgt dafür, dass die Spur gehalten wird. In einem Prototypen konnten wir verfolgen, wie das Lenkrad sich in einer leichten Kurve von selbst bewegt, um der Fahrspur zu folgen. Voraussetzung für die Funktion ist eine elektromechanische Servolenkung – nur die lässt Lenkeingriffe durch das Fahrzeug zu.

Zwei Fußgängerschutz-Systeme

Ein Beispiel für eine echte Sicherheitsfunktion ist der präventive Fußgängerschutz. Zwei Systeme werden von BMW entwickelt. Ein kamerabasiertes System erkennt den Fußgänger auf der Fahrbahn optisch und bremst nach einer Warnung automatisch. Bewegt sich der Fußgänger – oder auch Radfahrer – wird auch seine Bewegungsrichtung und -geschwindigkeit erfasst, um herauszufinden, ob eine Kollision droht. Die zweite Alternative ist ein transponderbasiertes System. Unter dem Stichwort Amulett (Aktive mobile Unfallvermeidung und Unfallfolgenminderung durch kooperative Erfassungs- und Trackingtechnologie) kommuniziert das Fahrzeug mit einem Funktransponder, den ein Fußgänger zu seiner Sicherheit bei sich trägt. Auf den Abfrageimpuls des Autos hin sendet der Transponder eine Antwort. Dies funktioniert auch, wenn der Fußgänger ein kleines Kind ist, das sich hinter einem Auto verbirgt. Ermittelt das System eine Kollisionsgefahr, wird der Fahrer gewarnt und wenn nicht reagiert wird, gebremst.

Im Notfall bis zum Stillstand

BMW arbeitet auch an einer Gefahrenbremsung, die das Auto im Notfall bis zum Stillstand abbremst. Schon heute kann der neue 5er die Gefahr eines Auffahrunfalls erkennen, den Fahrer warnen und auch anbremsen. Die aktive Gefahrenbremsung geht darüber hinaus. Im Forschungsprototyp ist es möglich, bei Differenzgeschwindigkeiten von 80 bis 130 km/h den Unfall komplett zu verhindern – und nicht nur die Unfallschwere zu vermindern. Dies stellt starke Anforderungen an die Sensorik. So muss auch geprüft werden, ob ein seitliches Ausweichen möglich ist. Greift der Fahrer ein – zum Beispiel durch Ausweichen oder Gasgeben – wird die Gefahrenbremsung sofort zurückgenommen.

Aufpasser an der Seitenlinie

Auch seitliche Kollisionen stellen eine Gefahr dar. Gegen das Risiko einer Kollision beim Spurwechsel helfen Totwinkelassistenten, die es auch mit aktivem Eingriff gibt: Solche Systeme warnen nicht nur, sondern vermeiden den Zusammenprall durch einen Lenk- oder Bremseingriff. Im Unterschied davon schützt die Lateral Collision Avoidance (LCA) auch den Autofahrer, der auf seiner Spur bleibt. Und sie greift vor allem bei Fahrzeugen, die sich auf gleicher Höhe bewegen. Ultraschallsensoren erkennen dabei das Hindernis im Seitenbereich. Droht eine Kollision, wird wieder zuerst gewarnt – und zwar durch Lenkradvibration. Erfolgt keine Reaktion, wird wiederum ein Lenkmoment eingesteuert, das heißt, das eigene Auto weicht der Kollision aus.

Herzinfarkt auf der Autobahn – und dann?

Ein Fahrer, der bei einem Hindernis nicht reagiert, kann zumindest noch auf Warnungen reagieren. Was aber, wenn der Fahrer einen Herzinfarkt erlitten hat und handlungsunfähig ist? Der Nothalteassistent soll auch in solchen Situationen noch ein sicheres Anhalten ermöglichen. Er wird im Rahmen des Forschungsprojekts SmartSenior entwickelt. Während die Detektion des medizinischen Notfalls von den Projektpartnern Siemens und der Berliner Klinik Charité übernommen wird, forscht BMW am rettenden Eingriff auf der Autobahn: Das Auto bremst zunächst etwas und versucht dann, nach rechts zu steuern. Sind dort andere Fahrzeuge, wird solange eine Lücke gesucht, bis der Spurwechsel möglich ist. So tastet sich das Fahrzeug autonom von Spur zu Spur nach rechts bis zum Standstreifen, wo das Auto angehalten wird. All das funktioniert bereits, wie wir uns in einem Prototypen selbst überzeugen konnten – gute Prognosen also für Infarktopfer.