Im Dezember 1982 präsentiert Mercedes-Benz den Typ 190 der Baureihe W 201

Baby Benz

Dass es eine C-Klasse überhaupt gibt, und selbst darunter noch ein Segment eingezogen wurde, ist uns heute selbstverständlich. Als der 190er kam, wunderte sich die ganze Welt darüber, wie der Daimler wagen konnte, so ein kleines Auto anzubieten

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 7 Kommentare lesen
24 Bilder
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Florian Pillau
Inhaltsverzeichnis

München, 09. November 2012 – Der 190er gehört zu den wenigen Autos, die einen erst mal die Augen reiben lassen angesichts seines Alters. Dieses ungläubige Staunen ist ein verlässliches Merkmal guten Designs. Man kann getrost als "zeitlos" bezeichnen, was damals unter der Leitung von Bruno Sacco gezeichnet wurde. Der Baby-Benz wurde auch deshalb zu einem Meilenstein der Karosseriegestaltung, weil die Marke damals sehr bewusst Mode und Modernität zu unterscheiden wusste. Dass sich das heute geändert hat, sehen Sie, wenn sie ein aktuelles C-Klasse-Modell daneben stellen. In 30 Jahren wird das richtig alt aussehen – wetten?

Die ganze Welt staunte

Dass es eine C-Klasse überhaupt gibt, und selbst darunter noch ein Segment eingezogen wurde, ist uns heute selbstverständlich. Als der 190er kam, wunderte sich die ganze Welt darüber, wie der Daimler wagen konnte, so ein kleines Auto anzubieten. "Kein anderes Auto macht die Leute derzeit neugieriger als diese neue Entwicklung der ältesten Automobilfabrik der Welt", schreibt die Autozeitschrift "auto, motor und sport" im Jahr 1983 über die neue Kompaktklasse. Die Demokratisierung des Luxus war vielen, vor allem prestigegetriebenen Autofahrern, zumindest suspekt. Die Daimler-Benz AG war sich allerdings bereits in den ausgehenden Siebzigern völlig klar darüber, dass Marktmacht nur über eine immer feinere Diversifizierung des Programms überhaupt zu erhalten war. Der 190 war ein erster Schritt in diese Richtung. Dass er nicht von allen angenommen wurde, konnte ich als studentischer Taxifahrer an der Reaktion bestimmter Fahrgäste sehen: Einige stiegen am Taxistand statt hinten lieger gleich ein ganzes Auto weiter hinten ein ...

Technisch gab es keine Experimente. Wie die gesamte Modellpalette kam auch die Baureihe W 201, wie der 190er intern heißt, mit Standardantrieb, also mit Längsmotor und Heckantrieb. Viele Details waren von den bestehenden Modellen her abgeleitet – etwa seine für ein so kompaktes Fahrzeug damals unerhört (und heute noch) aufwendige Raumlenkerhinterachse mit fünf Einzel-Lenkern pro Rad, die vom W 111 inspiriert war. Man packte so viel an Innovation in den 190, wie geboten war, um in Sachen Komfort und Sicherheit ganz vorn zu sein. Dazu gehörten neben moderner Fahrwerkstechnik auch Neuerungen wie Gurtstraffer und Airbag auch für den Beifahrer, die erst ein Jahr zuvor in der S-Klasse debütiert hatten. Wie ein kleines Wunder mutete der monolithische Gefühlseindruck an, den dieses Auto damals vermittelte. Die tatsächliche Solidität der Karosserie zeigte sich dann über die Jahre immer deutlicher an ihrer Haltbarkeit: Noch heute kann man problemlos ungeschweißte Exemplare finden.

Mit zwei Modellpflegen in den Jahren 1988 und 1991 wurde der Kompaktwagen aktuell gehalten, 1993 endet schließlich die Produktion des in den Mercedes-Benz Werken Sindelfingen und Bremen gebauten Erfolgsmodells. Im Mai dieses Jahres stellt Mercedes-Benz die C-Klasse der Baureihe 202 als Nachfolger des Typ 190 vor. Insgesamt verkauft Mercedes-Benz 1.879.630 Fahrzeuge der ersten Generation der Kompaktklasse; damit ist die W 201 eine der erfolgreichsten Baureihen.

Zurück in die Zukunft mit dem 190 D BlueEfficiency

Vor drei Jahren diente der 190er als Technologieträger der anderen Art: Der Baby-Benz wurde im Werk mit dem damals neuen, heute noch aktuellen Dieselmotor OM651 aus der C-Klasse bestückt, um den Beweis zu führen, um wie viel effizienter die Motoren *wirklich* geworden sind (und sicher auch, um den Basteldrang der beteiligten Ingenieure zu befriedigen. Denn ohne Spieltrieb arbeiteten sicher noch viel weniger Menschen als Ingenieur – oder, wie ich, als Technik-Schreiber!).

Ein Detail wirft ein bezeichnendes Licht auf die Fahrzeugentwicklung seither: Als der Motor glücklich in den 190 D eingepasst war, was von einigen lösbaren technischen Schwierigkeiten begleitet war, tat er beim Startversuch keinen Mucks – dem Motorsteuergerät fehlten schlicht Sensordaten aus dem Fahrwerk wie etwa der ABS-Fühler und heute so komplizierten Dingen wie der Wegfahrsperre. Erst nachdem die Techniker einen jener Computer im Kofferraum eingebaut hatten, die Motoren das Vorhandensein eines umgebenden Autos vorspielen, wenn sie auf dem Prüfstand laufen, ließ er sich zum Mitspielen bewegen – eine Behelfslösung.

Ohne Betrug läuft nichts

So verleiht der Common-Rail-Motor mit 150 kW/204 PS und 500 Nm im Bereich von 1600 bis 1800/min dem 190 D mehr als doppelt so viel Kraft wie das seinerzeit stärkste Modell der Baureihe W 201. Das war der 190 E 2.5-16 Evolution II, mit immerhin auf 245 Nm. 1990 vorgestellt wurde er 502-mal als Homologationsmodell für die DTM-Tourenwagen der Gruppe A produziert. Der OM 651 beschleunigt den sinnigerweise 190 D BlueEfficiency getauften Youngtimer in 6,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h und bewältigt den Standardsprint 11,9 Sekunden schneller als ein zeitgenössischer 190 D mit seinem damals ganz neuen „Flüsterdiesel“. Noch beeindruckender sind die Unterschiede im Verbrauch: Trotz des deutlichen Leistungszuwachses von 72 (OM 601, 1988) auf 204 PS (OM 651, 2009) verbraucht der neue in der alten Karosserie 4,9 Liter auf 100 Kilometer im NEFZ-Zyklus, statt 7,3 Liter im Jahr 1988.

Und hier zeigt sich ein anderer, typischer Unterschied zwischen gestern und heute, der eigentlich alle Youngtimer so unmittelbar spürbar unschlagbar unbekümmert fahren lässt: Das Gewicht! Der 190 D, solides, in Blech gearbeitetes, schwäbisches Kulturgut, ist einfach mal um satte 385 Kilogramm LEICHTER als der Motorenspender, ein aktueller Mercedes C 250 CDI BlueEfficiency!

Kurz-Chronik der Baureihe W 201

1982 Präsentation der neuen Baureihe. Zunächst werden nur die Typen 190 und 190 E mit 2-Liter-Vierzylinder-Ottomotor angeboten (66 kW/90 PS und 90 kW/122 PS).

1983 stellt Mercedes-Benz dann den 53 kW (72 PS) starken 190 D mit einem neu entwickelten, besonders leisen und effizienten Vierzylinder-Dieselmotor vor. Im gleichen Jahr erscheint der Typ 190 E 2.3-16, dessen Motor einen neu entwickelten Vierventil-Zylinderkopf hat und 136 kW (185 PS) leistet. Das Spitzenmodell der Baureihe stellt im Sommer 1983 mehrere Langstrecken-Weltrekorde im italienischen Nardo auf – unter anderem über 25.000 Kilometer, 25.000 Meilen und 50.000 Kilometer mit Durchschnittsgeschwindigkeiten von fast 250 km/h.

In den folgenden Jahren baut Mercedes-Benz die Typenpalette der Kompaktklasse konsequent aus, unter anderem entstehen Exportmodelle wie die Typen 190 D 2.2 und 190 E 2.3 eigens für den nordamerikanischen Markt.

1985 erscheint das das Fünfzylinder-Dieselmodell 190 D 2.5 (1985, 66 kW/90 PS) und als erster Sechszylinder-Typ der Kompaktklasse der Typ 190 E 2.6 (1986, 122 kW/166 PS).

1988 kommt schließlich der Typ 190 E 2.5-16 (143 kW/195 PS) heraus, später folgen Evolutionsstufen mit bis zu 173 kW (235 PS). Sie dienen auch als Basis der Rennsport-Tourenwagen, mit denen Mercedes-Benz Erfolge im Motorsport erzielt – bis hin zum Sieg der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft (DTM) im Jahr 1992.