Bis zum nächsten „Wow-Effekt“

Seite 2: In der EU ganz vorn

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1994 folgte die Bundesregierung mit der Gründung der Bahn AG, die kunden- und marktorientiert Gewinne erwirtschaften sollte. Doch fraß hier wie so oft die Gier das Hirn und ließ in Legislaturperioden rechnende Politiker mit beschränkter Verantwortung allzu hohe finanzielle Ziele für die in Quartalszahlen denkenden Aktionäre festlegen. Nachhaltig geht anders.

Das Unternehmen blutete über bald drei Jahrzehnte weiter aus. Der Transfusionsbeutel, den es heute bekommen soll, ist daher viel zu klein. Deutschland hat nicht zufällig die größte Bahn in Europa: Es liegt zentral im Kontinent, ist das Land mit den meisten Einwohnern, den am gleichmäßigsten verteilten Städten und Industriezentren.

Angesichts dieser Dimensionen sind die freigegebenen Mittel tatsächlich schwindelerregend. Nur nicht in dem Sinne, wie sie uns der jugendforsche Minister verkaufen möchte. Die Allianz pro Schiene hat dazu ein paar Zahlen zu einer groben Einordnung: Die Schweiz, die insgesamt viel weniger ausgibt, investiert in die Bahn pro Einwohner 365 Euro, gefolgt von Österreich, Norwegen, Schweden. Deutschland kommt noch hinter Italien mit 77 Euro pro Kopf. „Wow!“

„Pro Bahn“ in der Schweiz

Der Zahlenvergleich ist sicher etwas schlaglicht- bis holzschnittartig. Fairerweise sollte man erwähnen, dass die Schweiz ein Sonderfall ist, weil man sich hier außerhalb der EU aber mitten in Europa mit seiner besonderen Struktur schon längst auf ein Verkehrskonzept „pro Bahn“ umgestellt hat. Fast alternativlos war das angesichts des Lkw-Güterverkehrs im Transit zwischen Italien, Frankreich und Deutschland. Zum Ausgleich gibt es dafür vergleichsweise weniger Geld für den Straßenverkehr aus.

Es scheint zu funktionieren: Die Eidgenossen nutzen längst mit wachsendem Genuss das im Vergleich zu Deutschland feinst verästelte, verlässliche und staatlich garantierte Bahn- und Postbussystem. Der Güterverkehr unter den Bergen hindurch könnte noch besser laufen, wird allerdings noch von den Bahnen Italiens und vor allem Deutschlands ausgebremst. Obwohl noch nicht ganz vollendet und nicht im Detail übertragbar, zeichnet sich hier bereits ein Modell für Europa ab.

Deutschland könnte als leistungsfähigste Volkswirtschaft der EU nicht nur ihren maroden Betrieb sanieren. Für eine glaubhafte und funktionstüchtige Klimapolitik müsste es sich sogar noch viel mehr Bahn leisten. Sie brächte viel mehr als den erwarteten, wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Auch die Kosten kämen am Ende durch eine Symbiose mit der Wirtschaft wieder herein. Man müsste nur Taktik gegen Strategie ersetzen und aufhören, in Quartalszahlen oder Legislaturen zu träumen. Sagte ich gerade „träumen“? Gut, ich höre schon auf. Bis zum nächsten „Wow-Effekt“. (fpi)