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Citroën GS: Als die Göttin herabstieg

Was tun, wenn der Kunde frech wird. Wenn er nach Demokratisierung, Leistung und Komfort ruft, aber trotzdem auf das Preisschild schaut? Dann muss der Hersteller tief in die Trickkiste greifen, entwickeln, verwerfen, wieder von vorne anfangen. Das taten Helden in Frankreich. Heraus kam der Citroën GS

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Citroën GS 28 Bilder
Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Bernd Kirchhahn
Inhaltsverzeichnis

Ruhm und Ehre, das wäre doch mal was. Ein Star sein. Weiberbehangen, goldgeschmückt. Ein jeder Meter eine Parade, so rostbefallen kannst du gar nicht sein. Wer fällt einem da ein?

Der Jaguar E-Type. Einfach.
Die Citroën DS. Eh klar.
Aston Martin DB5. Der Bond-Mythos.

Herausragende Autos, gewidmet der Fahrfreude und dem Komfort. Aber mal ehrlich: Ist es nicht leicht ein schnelles und bequemes Auto zu bauen, wenn Geld keine Rolle spielt? Der Hersteller kann die besten Teile und Ingenieure verwenden, wenn der Kunde ohnehin nicht auf das Preisschild schaut.

Aber was, wenn der Kunde frech wird. Wenn er nach Demokratisierung, Leistung und Komfort ruft, aber eben trotzdem auf das Preisschild schaut? Dann muss der Hersteller tief in die Trickkiste greifen. Muss denken, entwickeln, verwerfen, wieder von vorne anfangen. Das taten Helden in Frankreich. Heraus kam der Citroën GS.

Diesem Auto widmen wir uns aus zwei Gründen. Zum einen hat uns ein Leser darum gebeten, zum anderen, und das war auch die Motivation des Lesers, geht der Citroën GS, wie auch schon der Ami 6, im Schatten seiner weltberühmten Markenbrüder unter.

So ähnlich wie
„Ein ganzer Kerl“ ein unfassbar gutes Buch ist, aber neben „Fegefeuer der Eitelkeiten“ oft ignoriert wird.
Oder „Straße der Wunder“ neben „Gottes Werk und Teufels Beitrag“
Oder „Die Straße der Ölsardinen“ neben „Früchte des Zorns.“
Notiz: Mehr amerikanische Literatur lesen.

Der Citroën GS war ein Auto, das genau genommen keiner kommen gesehen hat, bis es zum Auto des Jahres 1971 gekürt wurde. Eigentlich aus dem Nichts, ganz uneigentlich aber durchaus mit Anlauf und Ankündigung. Denn bei Citroën haben sie sich jede Mühe gegeben, den Weltruhm, den sie mit dem 2CV finanziert und mit der DS etabliert hatten, weiter auszubauen.

Keiner anderen Marke war es zu diesem Zeitpunkt zuzutrauen, derart viel Entwicklungsarbeit, Raffinesse und Aufwand in ein Auto der Ein-Liter-Klasse zu investieren. Die Überlegenheit des Citroën GS beruhte dabei auf drei Säulen. Motor, Karosserie und Fahrwerk.

Ebenso fesch wie zielgerichtet

Am auffälligsten war natürlich die Karosserie. Seit der DS wusste Citroën wie das geht mit dem Spritsparen durch Aerodynamik. Wie Autos auffällig gezeichnet werden konnten, ohne dabei lächerlich zu wirken. Wie die Außenhülle bereits transportieren kann, dass sich unter dem Blechkleid erstaunliche Detaillösungen verbergen. Eine Hülle, ebenso fesch wie zielgerichtet. Mit frappanter Ähnlichkeit mit dem Pininfarina 1800 von 1964.

Das hatte natürlich auch Auswirkungen auf den Alltag. Der GS war flach – gerade einmal 1,35 Meter hoch – aber immerhin 4,12 Meter lang. Eine sportliche Silhouette war also systemimmanent. Hinten endeten die Linien mit einer scharfen Abrisskante. Weil davor aber noch eine sanft abfallende Heckscheibe reindesingt wurde, ging die Heckklappe bis hinunter zur Stoßstange. Öffnen ließ sich die Heckscheibe übrigens nicht. Dieser Mehrwehrt war dem später lancierten Break vorberhalten.

Menschen mit guten Noten in Geometrie ist jetzt klar: da kann sich nur ein kubischer Kofferraum ausgehen. Wer das alles zum ersten Mal sieht, der ist beeindruckt. Ob des Mutes von Citroën. Und darüber, endlich mal etwas anderes zu sehen, als diesen Einheitsbrei. Und überhaupt: diese fantastisch niedrige Ladekante. Wer das alles aber hat, um Einkaufen zu fahren, der merkt schnell, dass man sich die Finger schmutzig macht, wenn man den Kofferraum an der Stoßstange aufmacht und dass ein kubischer Kofferraum nicht ganz so viel schluckt, wie man gerne hätte.

Egal. Große Geister schaffen, kleine kritisieren. Also weiter zum Motor. Der erste echte Coup. Citroën verbaute einen luftgekühlten Vierzylinder-Boxer mit 1015 Kubikzentimetern. Wer das liest, der schüttelt erst einmal den Kopf. Das kann nicht sportlich sein, das muss laut sein.

Steuerklassen-Downsizing

Es handelte sich bei dem Motor um eine völlige Neukonstruktion, die eigentlich in die in Frankreich steuersparende 900er-Klasse hätte hineinentwickelt werden sollen, dann aber noch etwas aufgeblasen wurde. Die Grenze für die nächsthöhere Steuerklasse („5CV“) lag damals bei 1050 Kubikzentimetern. Pro Zylinderkopf gibt es eine obenliegende Nockenwelle. Die Auslegung mit 74 x 59 Millimeter ziemlich kurzhubig, was hohe Drehzahlen ermöglicht, aber auch erfordert. Damit wurden der kleine Hubraum und die eher geringe Leistung von 54 PS kaschiert.

Zumindest kurzfristig. Zwar konnte der Citroën GS durchaus mit Beschleunigung und Elastizität überzeugen – vor allem, wenn man den Motor über 3000 Touren hielt – den grundsätzlichen Mangel an Schmalz konnte er aber langfristig nicht verheimlichen. Als die Variante mit 1220 Kubikzentimetern auf den Markt kam, die auch nur 58 bzw. 63 PS hatte, wurde der Einstiegsmotor zum Ladenhüter. Der Unterschied im Fahrgefühl war frappant.

Die prinzipielle Drehfreude brachte es mit sich, dass der Verbrauch stark schwankte. Wer es gemütlich angehen ließ, der bewegte den Citroën GS mit 9 Litern. 12,5 Liter waren aber keine Seltenheit. Egal was man wollte, man durfte nicht schaltfaul sein. Die größte Überraschung des Motors war die Geräuschkulisse. Oder besser, deren Abwesenheit. Für einen luftgekühlten, hochdrehenden Boxer war der Wagen angenehm leise.

Vor allem spendierte Citroën dem GS aber ein Fahrwerk, das es in sich hatte. Es war, als wäre die Göttin hinabgestiegen, um sich der breiten Masse zu offenbaren. Unerhört komplex wurden die Hintern der Passagiere gefedert. Der Motor trieb eine Hochdruckpumpe an, die wiederum die hydropneumatischen Federzylinder an den Achselementen der vier unabhängig voneinander aufgehängten Räder versorgte. Die Niveauregulierung arbeitete vollautomatisch, der Bremsdruck war beladungsabhängig. In der Mittelkonsole gab es zudem einen Höhenverstellhebel, etwa für schlechte Wege, zum Beladen oder für den Radwechsel. Es war das System der DS, nur ohne Servolenkung.

In dieser Preis- und Größenklasse war diese Technik eine Sensation. Die Experten der damaligen Zeit überboten sich selbst bei der Sammlung der Superlative, um die Fahreindrücke zu beschreiben – „unüberbietbar“, „großartig“, „sensationell“, „ein Genuss“.

Auch im Innenraum versuchte der Citroën anders zu sein, ohne diese Andersartigkeit zu erzwingen. Auffällig war vor allem das Einspeichenlenkrad, das sich vor allem von der Konkurrenz abzuheben wusste, im Citroën-Portfolio aber gar nicht mehr weiter auffiel. Wer fuhr, konnte die wichtigsten Funktionen bedienen, ohne dafür eine Hand vom Lenkrad zu nehmen. Dazu kam ein Handbremshebel im Armaturenbrett. Der Tacho zeigte die Geschwindigkeit im Stil einer Badezimmerwaage an – es gibt keinen Zeiger, sondern man muss die Ziffer in einem beleuchteten Fenster lesen. Dazu wurde der jeweilige Bremsweg angezeigt.

Doch war der Produktionszeitraum des Citroën GS dann doch kein 16 Jahre dauernder Ritt auf der Erfolgswelle. Das lag auch am Erfolg des Fahrzeugs. Bei Citroën waren die Verantwortlichen anscheinend so überrascht davon, dass es an Kapazitäten fehlte. Und obwohl die Kundschaft bereit war, teils absurde Wartezeiten zu akzeptieren, musste in den Fabriken gepfuscht werden, um die Wünsche überhaupt erfüllen zu können.

Damit ist der Rostschutz noch gar nicht gemeint, mit dem zu dieser Zeit ohnehin nicht wenige Hersteller Probleme hatten. Damit sind beispielsweise die Armlehnen in den Seitentüren gemeint. Dort waren zum Beispiel die Türöffner verbaut. In den frühen Modellen rissen die filigranen Teile gerne ab. Entweder der Türöffner, oder gleich die ganze Armlehne. Auch die verarbeitete Verkleidung im Innenraum löste sich stellenweise. Dazu kamen Probleme mit Klebestellen und Spaltmaßen. Eben klassische Pfusch-Probleme, die Citroën erst im Lauf der Zeit in den Griff bekam.

Auch der Motor war anfangs nicht sorgenfrei. Es gab zunächst immer wieder mal Schwierigkeiten beim Anlassen. Außerdem konnten bei falscher Ölqualität oder vorwiegendem Stadtverkehr mit viel Leerlauf die Schlepphebel auf den Nockenwellen einlaufen.

Grundsätzlich war der Citroën GS aber ein großer Erfolg. Nach dem Marktstart 1970 erweiterte der Kombi „Break“ 1971 das Portfolio. 1979 erhielt der GS (steht für „Grande Série“) eine umfangreiche Überarbeitung und wurde fortan als GSA („Grande Série Athlète“, wegen der gesteigerten Leistung) verkauft.

Die Wankel-Version zur Ölkrise

Auf der IAA 1973 stellte Citroën einen GS mit einem Zweischeiben-Wankelmotor der Firma Comotor – ein Gemeinschaftsprojekt mit NSU – vor. Mit 13 Litern Verbrauch. Mitten hinein in den Ölpreis-Schock. Immerhin 847 Stück des so genannten „GS Birotor“ wurden bis 1975 noch verkauft. Als Citroën keine Lust mehr hatte, die Ersatzteilversorgung für diese Handvoll Autos zu garantieren, kaufte man sie zurück und verschrottete sie. Ein paar sind der Aktion entgangen. Vielleicht wartet noch irgenwo ein Exemplar darauf, als Scheunenfund gefeiert zu werden.

Der Nachfolger, der Citroën BX, kam schon vier Jahre vor dem eigentlichen Ende des GS auf den Markt. Was auch an der Übernahme der Marke durch Peugeot und der eingeläuteten Plattform-Strategie lag. Sollte es der Wunsch eines Lesers sein, wir stehen bereit.