Experimental-Fahrzeug mit riesiger Batterie unter der Fronthaube

Dahingleiten im elektrischen Rolls-Royce Phantom 102EX

Beim elektrischen Rolls-Royce Phantom 102EX macht die 640 kg schwere Batterie unter der Fronthaube fast ein Viertel des Gesamt­gewichts aus. Erfah­rungs­werte mit einem Einzel­stück

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  • ghe
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München, 9. September 2011 – Wer erwartet, dass man in einem elektrisch angetriebenen Rolls-Royce die Uhr im Armaturenbrett doch besonders deutlich ticken hören muss, wird hiermit enttäuscht: Unser Redakteur, der mit dem Phantom 102EX unterwegs war, hat die Ohren gespitzt – und nichts dergleichen vernommen. Doch abgesehen davon, dass das Versuchsfahrzeug damit den legendären Werbespruch der britischen Nobelmarke Lügen straft, weiß der große Wagen in mancher Hinsicht zu beeindrucken. Allein seine Antriebsbatterie wiegt 640 Kilogramm – und ist eine der leistungsfähigsten, die je in einem Pkw verbaut wurden.

Leuchtende Kühlerfigur

Dem Strom-Phantom sieht man sein Antriebskonzept auf den ersten Blick nicht an. Das Fahrzeug ist ein klassisches, riesiges "Schiff" mit einer Länge von 5,84 Meter. Der tempelartige großflächige Chromgrill stellt sich selbstbewusst senkrecht in den Wind – alles typisch Rolls-Royce eben. Über dem Grill thront die Spirit of Ecstasy genannte Kühlerfigur. Diese fährt nur bei eingeschalteter Elektronik aus ihrem Versteck. Bei unserem E-Rolls besteht sie aus durchsichtigem Polycarbonat, welches von unten durch hellblaue LEDs beleuchtet wird. Ansonsten ist der "Tankdeckel" hinten rechts jetzt mit einem Fenster versehen, dahinter ist die fünfpolige Steckdose für das Ladekabel zu erkennen. Außerdem gibt es dort noch einen Knopf, mit dem der Ladevorgang jederzeit unterbrochen werden kann. Am meisten sticht beim Elektro-Phantom die aus 16 Schichten bestehende Lackierung ins Auge. Die Farbe heißt "Atlantic Chrome" und changiert im Sonnenlicht. Weiteres Kennzeichen aller Experimentalfahrzeuge von Rolls-Royce: Sie tragen rote Buchstaben im Firmenlogo. Nebenbei bemerkt: Wenn Käufer eines Benziner-Rolls die Farbe, die Leucht-Emily oder das rote Logo haben wollen, bekommen sie es. Nur der Elektroantrieb des Phantom 102EX ist unverkäuflich.

Hinten kein Mitteltunnel

Der Innenraum des Phantom ist eine Welt aus Leder. Nicht nur die Sitze sind mit damit bezogen, auch das Dach und die Fußräume werden mit dem edlen Material ausgekleidet. Die Besonderheit: Im 102EX setzt Rolls-Royce erstmals ein mittels Kastanienextrakt gegerbtes Leder ein. Das so genannte Seton Corinova ist durch den neuen Gerbprozess chromfrei und kann mit weniger Farbeinsatz gefärbt werden. Die Sitze sind äußerst bequem und vermitteln den Insassen die Erhabenheit, die das gesamte Fahrzeug versprüht. Seitenhalt ist bei den Sitzen Fehlanzeige und wird auch nicht gebraucht: Einen Phantom zieht man ganz sanft an seinem extradünnen Lenkrad um die Kurve. Im Gegensatz zum Serienmodell fehlt beim Gentleman-Elektriker die Kardanwelle. Die Passagiere im Fond werden den Wegfall des Mitteltunnels goutieren, wodurch noch mehr Platz für die Beine entsteht. Holz-Applikationen finden wir im Experimental-Fahrzeug kaum, stattdessen wurde eine mit Aluminium bedampfte und mit Klarlack überzogene Gewebefolie eingesetzt, die in auffälligem Gegensatz zur ansonsten klassischen Raumausstattung des Phantom steht.

Samtig und sanftmütig

2,7 Tonnen bringt der von den Ingenieuren Phantom Experimental Electric genannte Wagen auf die Waage. Das Serienmodell mit seinem 6,7 Liter großen V12 wiegt etwa vier Zentner weniger. Die Anordnung mit Batterie und Leistungselektronik unter der vorderen Haube und zwei Elektromotoren über der Hinterachse führt zu einem recht ausgeglichenen Gewichtsverhältnis: 53 Prozent der Last liegt auf der Vorderachse, 47 Prozent hinten. In der Serie ist die Verteilung gar um ein bis zwei Prozentpunkte schlechter. Das ändert allerdings nichts an dem Eindruck, dass unser Dickschiff zum Schwanken neigt, was dem Chauffeur eine vornehm zurückhaltende Fahrweise auferlegt. Schlaglöcher und ähnliche Unbilden bügelt das ultrakomfortable Fahrwerk selbstverständlich komplett weg – dies ist ein Rolls-Royce seinem Image und seinen Käufern einfach schuldig.