Großes Reinemachen

Die Euro 4 für Motorräder und die Folgen

Die Abgasnorm Euro 4 wird die Motorradwelt ab dem kommenden Jahr nachhaltig verändern: Viele Modelle werden verschwinden, weil die Anpassung an die neuen Grenzwerte sehr teuer wird udn sich für einige schlicht nicht mehr lohnt

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Inhaltsverzeichnis

Köln, 2. September 2016 – Die schlechte Nachricht zuerst: 2017 werden viele Motorräder in der EU nicht mehr erhältlich sein. Ab dem 1. Januar nächsten Jahres gilt die Euro-4-Norm, die von einer Menge Modellen nicht eingehalten werden kann. Die gute Nachricht gleich hinterer: Wer bis Ende des Jahres zuschlägt, kann beim Abverkauf der auslaufenden Modelle ein Schnäppchen machen. Darunter sind einige wunderschöne Motorräder, der Käufer muss sich dann allerdings beeilen, sein neues Bike noch dieses Jahr zuzulassen.

Die Euro-4-Norm gilt zwar schon seit Beginn des Jahres, aber nur für Motorräder, die 2016 neu auf den Markt gekommen sind. Für Modelle, die bereits früher eine Typenzulassung in der EU hatten, läuft die Übergangsfrist am 1. Januar 2017 aus und dürfen danach nicht mehr zugelassen werden, falls sie nicht der Euro-4-Norm entsprechen.

Neue Grenzen und ...

Ein Blick auf die neuen Grenzwerte lohnt sich, denn hier hat sich eine Menge getan. Maximal sind in der Euro-4-Norm nun noch 1140 mg/km Kohlenmonoxid (CO) erlaubt. Zuvor waren es 2000 mg/km. Bei den unverbrannten Kohlenwasserstoffen (HC) durften es bisher 800 mg/km sein, sofern das Motorrad weniger als 150cm3 hatte. Darüber lag der Grenzwert bei 300 mg/km. Diese Hubraumgrenze ist entfallen, dafür hat sich der Gesetzgeber etwas Neues einfallen lassen. Künftig ist die eingetragene Höchstgeschwindigkeit entscheidend. So sind nur noch 170 mg/km erlaubt, es sei denn, die Maschine schafft nicht mehr als 130 km/h. Da dürfen es 380 mg/km an unverbrannten Kohlenwasserstoffen sein.

Diese Tempogrenze spielt auch bei der Begrenzung von NOx eine Rolle. Die langsamen dürfen nur 70 mg/km ausstoßen, Zweiräder mit einem Spitzentempo von mehr als 130 km/h wird maximal 90 mg/km zugestanden. In der Euro-3-Norm waren es noch 150 mg/km. In der ab 1. Januar 2020 geltenden Euro-5-Norm entfallen diese neuen Grenzen dann wieder. Ab da gelten folgende Maximalwerte in mg/km: 1000 (CO), 100 (HC), 60 (NOx). Neu ist, dass in der Abgasnorm nun auch Grenzen für den Geräuschpegel festgelegt werden. Bis 80 cm3 sind maximal 75 dB(A) erlaubt, zwischen 81 und 175 cm3 77, darüber 80 dB(A). Für die kommende Abgasnorm Euro 5 sind strengere Werte zu erwarten, die allerdings noch nicht feststehen.

... Anforderungen

Wobei die Euro-4-Norm nicht einfach nur strengere Grenzwerte bedeutet. Die EU hat eine ganze Liste an Voraussetzungen gestellt, was die Motorradhersteller arg ins Schwitzen brachte. Beschweren durften sie sich sich freilich nicht, hatten sie doch im Vergleich zu Autos sehr lange stabile Grenzwerte. Die Euro 3 galt für neu homologierte Zweiräder ab dem 1. Januar 2006. Als besonders schwierig entpuppte sich die On-Board-Diagnose, die permanent die abgasbeeinflussenden Systeme überwacht und auf die Daten reagieren soll. Das bedeutete für die Entwickler einen erheblichen Aufwand an Hard- und Software. Es ist einer der Gründe, warum Euro-3-Modelle nicht so ohne weiteres auf Euro 4 aufgerüstet werden können.

Weitere Voraussetzungen für die Euro-4-Norm sind unter anderem die nachgewiesene Dauerhaltbarkeit der Katalysatoren und eine Tankentlüftung mit Aktivkohlefilter. Einige wenige, noch relativ junge Modelle werden auf Euro 4 umgerüstet, wie die Honda Africa Twin, manche bekommen ein Nachfolgemodell mit neuem Motor, doch für viele kommt das endgültige Aus.

Ausnahmen bis 2018

Die einzige Möglichkeit für die Hersteller, nächstes Jahr doch noch Modelle nach Euro-3-Norm zu verkaufen, ist die Beantragung einer Ausnahmegenehmigung für eine sogenannte auslaufende Serie beim Kraftfahrtbundesamt. Allerdings ist die Menge begrenzt, es dürfen höchstens zehn Prozent der 2015 und 2016 in Deutschland verkauften Stückzahl des betreffenden Models in den Handel kommen. Falls diese Menge kleiner als 100 Exemplare war, darf auf die 100 aufgerundet werden. Die Ausnahmegenehmigung gilt bis einschließlich 2018 und dürfte vor allem für kleine Hersteller interessant sein, die ohnehin nur geringe Stückzahlen absetzen.

Natürlich möchten die Hersteller ihre Bestände noch abverkaufen, bevor sie die neuen Modelle vorstellen. Deshalb halten sich die meisten Marken auch sehr bedeckt, wie ihr Programm für 2017 aussieht. Folgende Motorradmodelle laufen aber definitiv Ende des Jahres aus.

Aprilia

Alle Zweizylinder von Aprilia werden eingestellt! Darunter fallen auch die schicke SL 750 Shiver, Dorsoduro 750 und Dorsoduro 1200 sowie die Reiseenduro Caponord 1200. Lediglich die V4-Modelle und die kleinen 125er werden weiter produziert. Der Mutterkonzern Piaggio kündigte aber an, dass zukünftig neue Zweizylinder-Modelle entwickelt werden, die dann natürlich die Euro-4-Norm erfüllen sollen. Um welche Modelle es sich dabei handelt und wann sie kommen werden, wird allerdings noch nicht kommuniziert.

BMW

BMW hat die gesamte Modellpalette schon auf Euro 4 umgestellt. Zwei Modellreihen hat es aber bereits zu Beginn des Jahres erwischt und wurden aus dem Programm genommen. Zum einen traf es die Einzylinder-Enduro G 650 GS, was Reiseenduristen mit schmalem Geldbeutel bedauern werden. Zum anderen handelt es sich um die K 1300-Baureihe. Der Sporttourer K 1300 S, der Tourer K 1300 GT und das Naked Bike K 1300 R werden von vielen Fans betrauert werden. Auch wenn der 1293-cm3-Reihenvierzylinder in die Jahre gekommen war, drückte er mit 175 PS noch immer gewaltig an. Da sie schon seit einigen Monaten offiziell nicht mehr angeboten werden, dürfte man nur mit viel Glück noch ein neues Exemplar beim Händler finden.

Ducati

Ducatisti wird es überraschen, dass die noch recht junge 1299 Panigale aus dem Programm fällt, weil sie die Euro-4-Norm nicht erfüllt. Vor allem ihre Lautstärke dürften der Duc das Aus beschert haben. Das radikale Sportbike mit satten 197 PS wird aber höchstwahrscheinlich noch 2017 mit der Ausnahmegenehmigung der „auslaufenden Serie“ verkauft werden. Dass ein Nachfolger des Flaggschiffs kommen wird, gilt als sicher.

Auch die Monster-Reihe ist betroffen, sowohl die 821 als auch die normale 1200 erfüllen nur die Euro-3-Norm, wohingegen die Monster 1200 R bereits die Euro-4-Norm schafft. Auch die Hypermotard 939 und die Panigale 959 nehmen die Euro-4-Hürde, ebenso wie die neue XDiavel, während die alte Diavel scheitert. Die Scrambler mit 800er-Motor erfüllt nur die Euro-3-Norm, die Scarmbler Sixty2 mit 400 cm3 ist hingegen bereits mit Euro-4-Norm unterwegs. Doch man kann sicher sein, dass Ducati nächstes Jahr seinem Bestseller einen großen Motor mit Euro-4-Norm spendieren wird, Gerüchten nach kommt sie sogar als 1200er.

Harley-Davidson

Sämtliche aktuellen V2 aus Milwaukee sind nach Euro-3-Norm homologiert. Als erstes wurden jetzt die Tourenmodelle mit Euro-4-Norm für 2017 vorgestellt, die bereits die neue Motorengeneration Milwaukee-Eight tragen. Er verfügt über Vierventil-Technik, zwei Einspritzdüsen und Doppelzündung. In einer Variante hat er sogar flüssigkeitsgekühlte Zylinderköpfe. Sicher wird Harley-Davidson noch weiter Modelle überarbeiten und ab nächstem Jahr mit der Euro-4-Norm anbieten, doch einige werden wohl nicht weiter produziert werden. Auch wenn sich die Führungsetage noch um eine klare Aussage drückt, dürften die Tage der V-Rod gezählt sein. Es war 2001 die erste wassergekühlte Harley, noch dazu mit einem 60-Grad-, statt 45-Grad-V2, dafür mit viel PS gesegnet, die sich aber mittlerweile kaum noch verkauft.

Honda

Beim weltgrößten Motorradhersteller fallen wohl mindestens zwei beliebte Modelle aus dem Programm. Die Honda CBR 600 RR soll nicht weiter gebaut werden. Dabei gilt sie als Ikone, reichen ihre Wurzeln doch bis ins Jahr 1986 zurück. Aber Sportmotorräder verkaufen sich kaum noch und Honda sieht keine Zukunft für die schnelle 600er, wohingegen die CB 650 F und CBR 650 F bleiben werden. Auch die CB 1100 EX wird es erwischen, der luftgekühlte Vierzylinder nimmt die Euro-4-Hürde nicht. Wie schwierig es ist, die neue Norm zu erfüllen, zeigt die neue Africa Twin. Sie wurde Ende 2015 noch rasch nach der Euro-3-Norm homologiert, um Zeit bis 2017 zu haben, sie für die Euro-4-Norm fit zu machen. Beim Softchopper VT 750 C Shadow gilt es als unwahrscheinlich, dass Honda den enormen Aufwand für eine Euro-4-Zulassung betreibt und die kleine Enduro CRF 250 L verfügt leider über kein ABS.

Kawasaki

Die nostalgische W 800 wird 2017 nicht mehr von Kawasaki angeboten werden. Sie hatte 1999 die Retro-Welle eingeläutet, aber der luftgekühlte Motor schafft die Euro-4-Norm nicht. Außerdem werden wohl sämtliche Cruiser mit dicken V2-Motoren – die Vulcan 1700 und Vulcan 900 – aus dem Programm genommen. Die KLX 250, die einzige geländetaugliche Enduro von Kawasaki, hat mangels ABS auch keine Chancen auf Euro-4-Norm. Zu allen anderen Modellen will sich Kawasaki noch nicht äußern, die beiden einzigen, die bereits über Euro-4-Norm verfügen, sind die ZZR 1400 und ZX-10R. Mit Sicherheit werden aber die Bestseller ER-6n, ER-6f, Z 800, Z 1000 und Z 1000 SX nach entsprechender Überarbeitung auch im Modellprogramm 2017 zu finden sein.

KTM

Die Österreicher sind fit für die Euro-4-Norm. Fast alle Modelle wird es auch 2017 weiter geben, sogar die Sportenduros der EXC-Baureihe erfüllen die Euro-4-Norm, zumindest mit für die Zulassung notwendigen gedrosselten Motoren. Der Bestseller 390 Duke erhält einen anderen Auspuff und eine Motorüberarbeitung für die Euro-4-Norm, außerdem neue Tankcover und einen LED-Scheinwerfer. Bei der 690 SMC R und der 690 Enduro R ist noch nicht klar, ob auch sie mit dem Euro-4-konformen 690-Duke-Motor ausgestattet und somit weiter angeboten werden oder ob das Feld den Schwestermodellen von Husqvarna überlassen wird. Die aktuellen Freeride-Modelle entsprechen nicht der Euro-4-Norm, aber es besteht eine Chance, dass sie im Programm bleiben, denn für einsitzige Sportenduros gelten Ausnahmeregeln seitens der EU. Das Flaggschiff 1290 Super Duke R erfüllt nur die Euro-3-Norm, sie wird es aber sicher weiterhin geben, wahrscheinlich mit dem Euro-4-Motor der 1290 Super Duke GT.

Moto Guzzi

Ausgerechnet die sehr traditionsbewusste und technisch eher konservative Marke Moto Guzzi hat fast alle Modelle bereits auf Euro-4-Norm umgestellt. Die V7- und V9-Baureihen müssen sich keine Sorgen um eine Zulassung für 2017 machen. Hingegen sind die 1200er-V2 – Griso und Stelvio – nur mit Euro-3-Norm unterwegs und werden so nächstes Jahr nicht mehr angeboten. Die großen 1400er-Modelle erfüllen hingegen die neue Zulassungsvorschriften und bleiben im Programm.

Suzuki

Auch bei Suzuki stehen hinter vielen Modellen noch Fragezeichen. Die beiden luftgekühlten Cruiser Intruder M 1800 R und Intruder C 800 werden wohl das nächste Jahr nicht mehr erleben. Ob 2017 der Sportler Hayabusa 1300 für die Euro-4-Norm weiterentwickelt wird, ist noch offen, aber eher unwahrscheinlich. Auch die GSX-R-Baureihe muss komplett für die neue Norm fit gemacht werden. Bei der GSX-R 1000 mag das noch gerechtfertigt sein, doch die 750er und 600er sind Wackelkandidaten, da sie kaum noch Käufer finden. Die V-Strom-Modelle verkaufen sich bislang gut, und alleine deshalb schon dürfte Suzuki die Reiseenduros für die neue Norm überarbeiten. Für die sehr betagten Bandit-Modelle sieht die Zukunft jedoch düster aus.

Triumph

Die britische Firma Triumph hat bereits für dieses Jahr den Großteil der Modellpalette erneuert. Die Tiger-, Klassik-, und Speed Triple-Baureihen verfügen alle über die Euro-4-Norm. Die letzten luftgekühlten Twins – die Scrambler, America und Speedmaster – werden aber auslaufen, ebenso wie der Dreizylinder-Sportler Daytona 675. Das Schwestermodell 675 Street Triple soll bald mit einem größeren Motor – vermutlich mit 765 Kubikzentimeter – kommen, der die Euro-4-Norm erfüllt. Ob die Rocket III mit gewaltigem 2,3-Liter Hubraum weiter gebaut wird, lässt Triumph noch offen.

Yamaha

Die herrliche Yamaha XJR 1300 wird nach 21 Jahren zu Grabe getragen. Bei dem beliebten Naked Bike wäre der Entwicklungsaufwand für die Euro-4-Norm zu aufwendig. Gleiches gilt für den Methusalem unter den Yamahas, die SR 400, die seit 1978 gebaut wird. Doch auch die beiden Vierzylinder-Naked-Bikes Fazer8 und XJ6 wird es nächstes Jahr nicht mehr geben und ebenso kommt für die altehrwürdigen Einzylinder-Enduros XTZ 660 Z Ténéré und XT 660 R das Ende, sie werden wohl bald von einem Zweizylinder auf Basis der MT-07 ersetzt. Der kleine Geländehüpfer WR 250 R verfügt über kein ABS und somit wird wohl auch er das Zeitliche segnen. Die gute Nachricht für Sportfans: Die alte YZF-R6 wird durch eine nagelneue ersetzt. Im Gegensatz zur Konkurrenz, glaubt Yamaha weiterhin an eine Zukunft für Mittelklasse-Sportler.