NC700S, NC700X und Integra

Die Hondas des Jahres

Statt das 20-jährige Jubiläum der CBR 1000 RR Fireblade zu feiern, gab Honda das Geld für eine Reihe sehr nutzwertiger Motorräder aus. Das war die bestmögliche Entscheidung, denn nächstes Jahr stehen die Gesetze gut für Honda und Besitzer von Prä-1980-Führerscheinen

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Stuttgart, 10. Mai 2012 – Die Motorräder des Jahres 2012 kommen von Honda. Ja, es gibt fürs Herz, fürs Poster überm Bett die Ducati Panigale, aber angesichts der kommenden Änderungen in der Gesetzgebung und der bereits stattfindenden Änderung des Marktes sind Hondas 700er-Zweizylinder ein Volltreffer. Bull's Eye. Diese Möglichkeit eines vollen Erfolgs bestand natürlich von Anfang an in einem gut zugänglichen Teil des Phasenraums, sonst hätte es Honda wohl nicht versucht; wir können sie allerdings jetzt mit zwei Stichproben aus der Realität als wahr belegen: Erstens fahren sich die Konstruktionen viel besser als erwartet. Und zweitens sind sie schon jetzt praktisch ausverkauft.

Disziplin: Alltag

Zunächst mal: Was ist die NC-Baureihe überhaupt? Honda hat einen ihrer Auto-Vierzylinder in der Mitte auseinandergesägt, den in einen sehr niedrigen Rahmen gehängt und auf dieser Plattform drei sehr unterschiedliche Fahrzeuge aufgebaut: das Naked Bike NC700S, den hochhackigen Tallrounder NC700X und den Großroller Integra. Der niedrige Rahmen war für die Großrollerkonstruktion nötig. Bei den Motorrad-Varianten wird er genutzt, um dort, wo normalerweise der Tank sitzt, ein großes Staufach unterzubringen. Der Tank liegt im Heckrahmen und wird von einem Tankdeckel unterm Beifahrersitz aus befüllt. Das hört sich banal an, gibt dem Motorrad aber so viel mehr Alltagstauglichkeit, dass es einen gewaltigen Unterschied macht: "Oh, der Edeka! Ich nehme ein paar Liter Milch mit heim, obwohl ich keinen Rucksack dabei habe."

Der Motor ist wie in seiner vierrädrigen Ursprungsumgebung auf niedrige Drehzahlen ausgelegt, was für Motorräder höchst unüblich ist. Das ist gut für Leistung im unteren und mittleren Drehzahlbereich, damit erreicht er jedoch obendrein reale, gemessene Verbräuche von drei Litern – ohne dass der Fahrer sich Beschleunigungsspaß verkneifen müsste. Ein bisschen Akustik gibt es durch den Hubzapfenversatz von 270°. Die Ergonomie, Hondas große Stärke, sorgt zusammen mit dem aus der Grundkonstruktion resultierenden sehr niedrigen Schwerpunkt dafür, dass die Fahrzeuge allesamt sehr einfach zu fahren sind. Bei der komplexen Fahrphysik eines Einspurfahrzeug macht so was den Unterschied zwischen Frust und Flow-fähiger Leichtigkeit. Beim Fotofahren schraddelte die NC700S sofort auf den Rasten. Das Motorrad hat jetzt nicht die Schräglagenfreiheit einer Fireblade, aber die Anekdote gibt einen Hinweis auf das umgehend geschaffte Vertrauen.

Das Gesetz

Soweit zu den Nebenschauplätzen. Die großbrockigen Gründe für den Erfolg dieser Maschinen liegen jedoch in einigen Details, die erst durch die Begleitumstände so wichtig werden. Preis: ab 5500 Euro. Selbsterklärend. Leistung: 48 PS. Nur der Großroller Integra hat 51, weil er in Südeuropa mit dieser Zahl in den Marketing-Wettstreit mit Yamahas Topseller Tmax tritt. Die anderen sind mit 48 PS angegeben, weil das (zusammen mit einem minimalen Gewicht) Vorschrift für die neue Führerscheinklasse A2 ist, die Anfang 2013 gültig wird. Sie löst den alten Stufenführerschein ab, und es steht zu erwarten, dass viele Fahrschüler A2 lernen, in dieser Klasse bleiben und mit ihrer Honda glücklich werden, weil sie wie ein richtiges Motorrad fährt und trotzdem den Alltag kann. Aufstiegsprüfung: Wer eine 125er fahren darf, kann eine kleine praktische Prüfung machen, um in die Klasse A2 aufzusteigen. Das gilt für alle, die ihren Autoführerschein vor dem 1. April 1980 gemacht haben (denn da war die 125er mit drin), das gilt aber auch für alle, die als 16-Jährige den A1 gemacht haben, um mobil zu sein. Die können für sich die Einspur reaktivieren. Von A2 auf den offenen A gibt es dieselbe Aufstiegsmöglichkeit, wenn die 48 PS irgendwann doch nicht mehr reichen.

Schließlich: Kein Schalten, weil optionales Doppelkupplungsgetriebe (DCT). Hondas DCT mit Automatikmodus ist als Schaltgetriebe für die Fahrausbildung zugelassen, was einige Wackelkandidaten überhaupt erst überzeugt, die zu machen. Das DCT ist im Integra Serie, weil Roller Automatik haben müssen, es wird aber für S und X optional angeboten.

Falls Sie zu einer der hier genannten potenziellen Zielkreise gehören, lassen Sie mich noch eines sagen, das nichts mit dem ganzen Nutzwert zu tun hat: Hondas NCs fahren macht mir mehr Spaß als jeder fette Reisedampfer vom Kaliber einer Honda Crosstourer oder einer BMW R 1200 GS. Ein kleines, schlichtes Naked Bike fahren ist die Essenz der Einspur, und obwohl man es ob der Eckdaten nicht erwarten würde: In dieser Disziplin brillieren die neuen Hondas für mich am meisten.