Ob Radar, Lidar oder Kamera – bei der Wahl der Sensoren geht es nicht nur um Sicherheit

Die Qual der Wahl: Sensortechnologien für Assistenzsysteme

Ob Radar, Lidar oder Kamera, bei der Wahl der Sensoren für Fahrerassistenzsysteme gibt es viele Interessenkonflikte. Selbst die Versicherungen haben ein Wörtchen mitzureden – zumindest solange es das unfallfreie Fahren noch nicht gibt

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  • Gernot Goppelt
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München, 25. Oktober 2012 – Mit einer Aussage konnte Matthew Avery bei den Vertretern von Continental keine rechte Begeisterung auslösen: Der Spurverlassenswarner (englisch klangschöner: lane departure warning) bringt keinen nennenswerten Sicherheitsgewinn. Matthew Avery arbeitet für die britische Thatcham Research, einer Organisation, die sich mit Fahrzeugsicherheit aus Sicht von Versicherern befasst. Vergangene Woche trat er als Gastredner bei einer Veranstaltung auf, bei der Conti seine aktuelle und zukünftige aktive Sicherheitssysteme vorstellte. Natürlich bietet Conti auch eine Lane Departure Warning an, da hört man eine solche Bemerkung vielleicht nicht so gerne.

Sicherheit soll sich rechnen

Averys Aussage beruht auf US-Datenmaterial und mag nicht ohne Weiteres auf Europa übertragbar sein; sie weist aber auf einen interessanten Aspekt hin: Der Nutzen von Systemen für die aktive Sicherheit muss auch finanziell irgendwie messbar sein. Das mag zynisch klingen, ist aber insofern realistisch, als auch Autofahrer einen Gegenwert sehen wollen, wenn sie Geld für Sicherheitstechnik ausgeben. In Großbritannien haben Versicherungen diesen Oktober ein System eingeführt, bei dem Kunden einen Rabatt bekommen, wenn sie ein automatisches Notbremssystem an Bord haben. Der Rabatt wird dabei abgestuft und hängt von der Wirksamkeit des jeweiligen Systems ab – Grundlage sind Tests von Thatcham.

Die Ergebnisse zeigen ein erstaunliches Qualitätsgefälle. Von den getesteten Modellen Ford Focus (54%), Mazda CX-5 (55%), VW Up (57%), Volvo V40 (57%) und Subaru Outback schneidet letzterer mit einem Ergebnis von 100 Prozent klar am besten ab. Der große Vorsprung erklärt sich wohl dadurch, dass nur sein Notbremssystem auf die Daten einer Stereokamera zugreifen kann, die übrigen Modelle "nur" auf einen Lidar-Messung (Laser detection and ranging). Sie ist zwar hervorragend geeignet, eine Entfernung zu messen, kann aber nicht die Art von Objekten erkennen, ist in dieser Hinsicht einer Kamera weit unterlegen. In Stereo ausgeführt kann die Kamera zudem eigenständig Entfernungen ermitteln, sodass nicht einmal unbedingt mit einem Lidar oder Radar verknüpft werden muss.

Stereo bremst geschmeidiger

Praktisch äußern sich die Unterschiede in den Thatcham-Tests so: Der Ford Focus kann mit einer automatischen Notbremsung bis etwa 20 km/h einen Aufprall völlig vermeiden, bis 30 km/h immerhin lindern. Der Subaru dagegen ist dazu in der Lage, bis 50 km/h einen Aufprall zu vermeiden. Bei der Continental-Veranstaltung hatten wir die Gelegenheit, in einigen Fahrzeugen mitzufahren, die mit aktueller Sensorik ausgerüstet sind, um die qualitativen Unterschiede selbst zu erleben. Das Lidar-System zeigte sich dabei als wirksam, aber recht ruppig: Es funktioniert einwandfrei, bringt den Wagen perfekt hinter einem Fahrzeug-Dummy zum Stand, aber subjektiv erst im letzten Moment. Besser machte es ein System, in dem ein Radar verbaut war, das eine deutlich bessere Objekterkennung bietet. Es war sogar dazu in der Lage, auf dem verfügbaren Anhalteweg dosiert abzubremsen.

Continental untersucht ganz unterschiedliche Sensoren und deren Kombination und kommt dabei in einigen Fällen zu erstaunlichen Ergebnissen. Der Short Range Lidar ist eine leidlich brauchbare Hilfe, um vor Unfällen mit anderen Fahrzeugen zu schützen, kann aber Fußgänger nicht schützen, weil dazu eine Bilderkennung erforderlich ist. Weitaus besser ist bereits die Kombination aus Lidar und einer Monokamera. Dabei sorgt ersterer für die Entfernungsinformation und die Kamera macht eine Identifizierung von Objekten und Menschen möglich. Selbst eine Monokamera alleine scheint dem Lidar überlegen, obwohl sie Rückschlüsse auf die Entfernung eigentlich nur aus der Größe des Objekts ziehen kann. Die Stereokamera liefert einer Bilderkennung darüber hinaus Informationen, aus denen sich Entfernungen ermitteln lassen. Vergleichbar gut schneidet die Kombination aus Radar und Monokamera ab. Überraschend fanden wir, dass ein allein stehendes Radarsystem anders als ein Lidar gute Ergebnisse beim Fußgängerschutz liefert und hinter der Verbindung aus Radar und Kamera kaum zurückstehen muss.

EuroNCAP treibt die Entwicklung an

Im Spannungsfeld zwischen Kosten und Nutzen liegt es somit nahe, vergleichsweise preiswerte Radarsysteme zu entwickeln, damit die aktiven Sicherheitssysteme überhaupt im Markt ankommen können. Nicht nur Versicherungen werden dabei mit speziellen Angeboten locken, ein wesentlicher Treiber sind auch die EuroNCAP-Tests. Es ist noch nicht lange her, dass damit nur Crashtests gemeint werden, doch die aktive Unfallvermeidung rückt immer mehr in den Vordergrund. Der erste Schritt in diese Richtung war die Berücksichtigung des ESP, welches wie das ABS im Prinzip bereits ein Unfallvermeidungssystem ist. Ab 2014 sollen automatische Notbremssysteme für die Stadt bei der Bewertung eines Fahrzeuges einbezogen werden. Noch nicht ganz klar ist, wie detailliert dabei die Qualität der Systeme geprüft wird – und wie groß somit der Druck auf die Hersteller wird, höherwertige Sensorik zu verbauen.