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Die Zukunft der Motorradhersteller

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Zweirad

Die Motorradhersteller vermelden, dass 2016 exakt 117.587 Motorräder in Deutschland neu zugelassen wurden. Das sechste Wachstumsjahr in Folge, diesmal legte der Markt um satte 15 Prozent zu. Das klingt nach einer rosaroten Zukunft für die Motorradindustrie. Aber ist der Optimismus wirklich berechtigt?

Die Motorradhersteller vermelden euphorisch, dass 2016 exakt 117.587 Motorräder in Deutschland neu zugelassen wurden. Das sechste Wachstumsjahr in Folge, diesmal legte der Markt um satte 15 Prozent zu. Das klingt nach einer rosaroten Zukunft für die Motorradindustrie. Aber ist der Optimismus wirklich berechtigt?

Auf der Intermot [1], der EICMA [2] und den Messen in Asien gab es 2016 zwar viele neue Modelle, aber keines, das wirklich innovativ war. Es wurden altbekannte Motive wiederholt, natürlich mit allen möglichen modernen elektronischen Systemen, aber eben nichts Spektakuläres. Es gab leicht variierte Nachfolger, doch die Entwickler wagten sich nicht weit von den bewährten Modellen weg – ein Indikator von Marktunsicherheit.

Falls doch mal ein neuer, erfolgreicher Trend auftaucht, wie vor etlichen Jahren die Streetfighter, die Supermotos oder später die Retro-Bikes, ist er meist von findigen Motorradbastlern ausgelöst worden, aber nicht von der Industrie. Wenn der Trend jedoch erst einmal positiv aufgenommen wurde und viele Besitzer ihre Motorräder entsprechend umbauten, stürzen sich auch die Motorradhersteller darauf.

Ungewöhnlicher Dezember

Auffallend an der Verkaufsstatistik 2016 ist die Zahl aus dem Dezember – einem Monat, in dem das Motorradgeschäft in Deutschland sonst traditionell schwach ist. Denn zum einen möchten die Käufer im Fahrzeugbrief lieber eine Erstzulassung vom neuen Jahr drin stehen haben, weil das beim Wiederverkaufswert besser aussieht, zum anderen wollen die Wenigsten im Winter bei Kälte und Schnee mit einem nagelneuen Motorrad fahren. Doch letztes Jahr wurden im Dezember 9595 Motorräder über 125 cm3 neu zugelassen, das sind sagenhafte 262 Prozent mehr als im Dezember 2015.

Das hatte aber nichts mit einer plötzlich ausgebrochenen Motorradbegeisterung zu tun, sondern mit der Euro4-Norm, die ab 1.1.2017 für alle neu zugelassenen Motorräder verbindlich wurde. Alles, was nur Euro3 vorweisen konnte, wollten die Händler noch loswerden. Es gibt zwar seitens der EU eine Ausnahmeregelung, dass auch 2017 noch Restbestände an Euro3-Motorräder abverkauft werden dürfen, aber die Motorradhändler waren froh, wenn sie die Maschinen bis zur Jahresfrist verkauft hatten und den Banken die Finanzierungen zurückzahlen konnten. Außerdem waren nicht wenige der im Dezember neu zugelassenen Motorräder Tageszulassungen und stehen immer noch mit Null Kilometer auf dem Tacho und mit großzügigen Rabatten versehen im Schaufenster der Händler. Auf diese Weise puschte der Dezember die Gesamtverkaufszahl 2016 noch einmal kräftig nach oben.

Ganz besonders laut bejubelt die Motorradindustrie die Zahl der 2016 insgesamt neu zugelassenen Leichtkrafträder bis 125 cm3, die schon von Jugendlichen ab 16 Jahren gefahren werden dürfen: 24.027 Stück, ein Plus von 23,82 Prozent im Vergleich zu 2015. Es scheint, dass die Jugend das Motorrad wieder entdeckt hat, was für die Zukunft hoffen lässt. Allerdings müssen die mit 18 den Führerschein A2 machen, um maximal 48 PS chauffieren zu dürfen, und frühestens zwei Jahre später dürfen sie erneut antreten, um den offenen Motorradführerschein zu erwerben. Man ahnt es schon: Eine sehr teure und zeitaufwendige Prozedur, bei der viele der möglichen zukünftigen Motorradfahrer vorher abspringen.

Die Verkaufszahlen auf den deutschen Motorradmarkt ziehen aber unbestreitbar seit der Wirtschaftskrise wieder an. 2010 war hierzulande der Tiefpunkt mit nur 80.208 verkauften Maschinen über 125 cm3 erreicht, sechs Jahre später sind es rund 37.000 Stück mehr, das ist schon mal ein Wort. Doch wenn man mal 20 Jahren zurückblickt, erscheint die aktuelle Lage viel ernüchternder. 1997 wurden eindrucksvolle 186.082 Motorräder über 125 cm3 bei uns verkauft, und selbst die Leichtkrafträder kamen auf stolze 70.575 Einheiten. Motorräder sind bei uns einfach nicht mehr so beliebt wie vor zwei Dekaden.

Dabei ist Deutschland noch halbwegs glimpflich davongekommen, in anderen europäischen Ländern sind die Verkaufszahlen noch brutaler eingebrochen. In Italien und Spanien wurden in früheren Zeiten jeweils rund eine halbe Millionen Krafträder (inklusive Roller) abgesetzt, heute ist es nicht einmal mehr die Hälfte.

Die großen Märkte schwächeln

Gucken wir noch weiter über den Tellerrand, sieht die Lage in den großen Märkten nicht viel anders aus. China – der größte Motorradmarkt der Welt – kriselt. Ähnlich wie in den Wirtschaftswunderzeiten in Deutschland können sich viele Chinesen nun ein Auto leisten und wollen kein Motorrad mehr. 2010 wurden noch 27,5 Millionen Motorräder im Reich der Mitte verkauft, 2015 waren es „nur“ noch 24,5 Millionen und im letzten Sommer gab es die Warnung, dass die Motorradverkäufe in China um rund 15 Prozent zurückgegangen seien.

Brasilien wird von den Motorradherstellern als wichtigstes Boomland in Südamerika eingestuft und etliche große Hersteller (Honda, Yamaha, BMW) haben Fabriken in Manaus am Amazonas. Doch die Verkaufszahlen schrumpften innerhalb eines Jahres von 1.189.133 auf nur noch 858.120 Stück. Die rückläufige Wirtschaft hat hier voll durchgeschlagen, da konnten auch die Olympischen Spiele im Sommer nicht helfen. In Indien, mit rund 15 Millionen verkauften Motorrädern und Rollern der zweitgrößte Motorradmarkt der Welt, ist das Resultat zwiespältig. Zwar konnte der Subkontinent auf dem einheimischen Markt von April bis Dezember 2016 leicht steigende Verkaufszahlen vermelden, aber der Export indischer Motorräder (u.a. Hero, Bajaj, Royal Enfield, TVS) sank um 21 Prozent.

Sicher beherrschen in den aufgeführten Ländern Motorräder und Roller mit kleinen Hubräumen von selten mehr als 250 cm3 den Markt, aber es spiegelt den weltweiten Trend.

US-Markt schrumpft

Selbst in den USA bröckelt der Motorradmarkt. Nachdem 2015 noch ein leichtes Plus vermeldet werden konnte, sank der Verkauf letztes Jahr um 2,1 Prozent. Sogar den erfolgsverwöhnten Platzhirsch Harley-Davidson traf es: In den USA brach die Zahl der verkauften Twins aus Milwaukee um 3,9 Prozent auf 161.658 Stück ein, weltweit war ein Rückgang von 1,6 Prozent auf 260.289 Einheiten zu verzeichnen. Wenn der neue US-Präsident Donald Trump seine Drohung wahr macht, und hohe Einfuhrzölle auf ausländische Produkte erhebt, wird der Motorradmarkt in den USA sicher noch weiter schrumpfen. Denn neben Harley-Davidson produziert nur noch Indian im Land, nachdem der Mutterkonzern Polaris die Marke Victory zugunsten der legendären Marke Indian eingestellt hat und Buell insolvent [3] ist. Sämtliche andere Motorräder werden importiert und bei steigenden Preisen werden die US-Amerikaner deutlich seltener neue Bikes kaufen.

Rekorde 2016

Dennoch vermelden einige Marken gesteigerte Produktionszahlen für 2016. BMW kann mit 145.032 Motorrädern einen neuen Rekord vorweisen und kam auf ein Plus 5,9 Prozent. Allerdings weist die Verkaufszahl in Deutschland mit 23.869 ein winziges Minus von 247 Maschinen im Vergleich zum Vorjahr auf. Dabei stellt das Modell R 1200 GS [4] (inklusive des Schwestermodells R 1200 GS Adventure) mit 46.727 Stück fast ein Drittel der Gesamtproduktion – dieses Phänomen findet sich bei keinem anderen großen Hersteller. Auch Ducati verkündet aus Bologna einen Rekord von 55.451 produzierten Motorrädern.

Das Gleiche gilt für Triumph, die britische Marke baute mit 56.253 Bikes so viele wie nie zuvor und konnte seinen Gewinn vor Steuern mit 16,6 Millionen Britischen Pfund (ca. 19,5 Millionen Euro) fast verdoppeln. Doch am stolzesten dürfte KTM sein. Die österreichische Marke produzierte letztes Jahr 203.340 KTMs und Husqvarnas [5] (die schwedische Marke gehört zum KTM-Konzern und wird im selben Werk in Mattighofen gebaut) und stieg damit, nach eigenem Bekunden, zum größten Motorradhersteller Europas auf. Zumindest, wenn man den Piaggio-Konzern (u. a. Vespa, Aprilia, Moto Guzzi) außen vorlässt, der zwar größere Stückzahlen hat, die aber hauptsächlich auf Roller entfallen. Alleine in Deutschland konnte KTM 2016 mit 17.458 verkauften Modellen ein Plus von 34,5 Prozent verbuchen.

Also doch rosige Zukunftsaussichten? In Deutschland zurzeit vielleicht, weil wir uns in einer florierenden wirtschaftlichen Lage befinden und die Zinsen lächerlich gering sind. Auch andere europäische Märkte vermelden Zuwächse bei den Motorradneuzulassungen. Großbritannien legte um satte 11,7 Prozent zu. Das klingt erst einmal eindrucksvoll, aber 40 Prozent der insgesamt 128.644 verkauften Maschinen auf der Insel hatten einen Hubraum von 125 cm3 oder kleiner. Was nichts anderes heißt, als dass die Briten sparen und vermehrt zu den günstigen Leichtkrafträdern und Rollern greifen. Wie sich erst der Brexit auf das Kaufverhalten auswirken wird, ist noch völlig offen.

Zuviele Modelle für einen schrumpfenden Markt

Die globale Nachfrage an Motorrädern schrumpft gegenwärtig. Um den kleiner werdenden Kuchen balgen sich viele Marken, die aber inzwischen eine fast identische Modellpalette anbieten, weil sie so ziemlich jedes Segment besetzt haben. Früher waren die Claims bei den meisten Marken klar abgesteckt. Ducati bot rassige Sportler, KTM baute Geländemotorräder, BMW Tourer und Harley-Davidson Chopper. Nur die vier japanischen Marken Honda, Yamaha, Kawasaki und Suzuki hatten in fast allen Segmenten ein Modell zu bieten, weil die riesigen Konzerne es sich leisten konnten.

Doch die Zeiten ändern sich, jetzt haben die meisten Marken für fast jeden Geschmack etwas im Angebot. BMW baut Supersportler, Yamaha Retro-Café-Racer, KTM Tourensportler und Ducati riesige Adventure-Bikes – jede noch so kleine Nische muss besetzt sein. Aber das bedeutet nicht zwingend, dass die Marke mit dem Nischenmodell neue Kunden gewinnt, sondern oft nimmt der Hersteller damit seinen eigenen konventionellen Modellen die alten Kunden weg. Das Retro-Bike Ducati Scrambler [6] etwa verkauft sich blendend, doch das geht zu Lasten des Naked Bikes Ducati Monster [7], einst das meistverkaufte Modell der Italiener.

Profillosigkeit

Das Ergebnis ist eine gewisse Profillosigkeit der Marken. Es gibt keine scharfen Abgrenzungen mehr und die Hersteller verlieren ihren Charakter, den sie in früheren Zeiten hegten und pflegten. Dabei reden die Geschäftsführungen heute permanent über „Authentizität“ und wollen eine „Corporate Identity“ und geben Millionen für Marketing-Strategien in den sozialen Medien aus, um sich von den anderen abzugrenzen. In Wirklichkeit kopieren sie sich meist nur gegenseitig. Mit der Folge, dass der Käufer irgendwann das Gefühl für eine Marke verliert und wahllos zu irgendeinem Motorrad greift. Keine kluge Strategie der Motorradhersteller.


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Highlights-von-der-Intermot-2016-3341589.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Die-Kraeder-auf-der-EICMA-2016-3462411.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Motorradhersteller-Buell-ist-wieder-insolvent-3621424.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Modellpflege-bei-der-BMW-R-1200-GS-3466509.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Husqvarna-Enduro-Modelle-2017-3274480.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Verruehrte-Kultur-Fahrbericht-Ducati-Scrambler-2505860.html
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Das-Monster-rotzt-2195957.html