Transafricalp

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Stuttgart, 19. Mai 2016 – Reiseenduros sind Scheiseenduros, denn sie sind sackschwer. Das war immer meine Ansicht, bis ich jetzt endlich einmal die Honda CRF 1000 L Africa Twin fuhr. So in etwa laufen viele dieser Geschichten, bei denen ein Weltbild korrigiert wird. Diese hier nicht. Hondas Wiederauferstehungsprojekt des großen Namens "Africa Twin" zog einen dermaßen überzogenen Hype hinter sich her, dass wir nicht weniger als die Neudefinition eines Genres erwarteten. Den schafft dieses Motorrad nicht. Die Africa Twin ist das geworden, was sich die Reiseendurokundschaft gewünscht hat, und das reicht völlig aus. Hier also ein nüchterner Test von jemandem, der im Material keine Ursache für den Hype finden konnte. Wir müssen vorerst davon ausgehen, dass er im Namen begründet liegt, im gut gewordenen Fahrzeug, im gelungenen Marketing und vielleicht der Gestaltung, die mir als deutlich weniger hässlich auffällt als segmentüblich.

Erinnerung an eine gute alte Bekannte

Meine Erstbesteigung der Africa Twin, folgend als "AT" abgekürzt, erinnerte mich innerhalb von Millisekunden an eine gute alte Bekannte: die alte Transe, Hondas Transalp. Man sitzt also ein bisschen wie auf einem gut gepolsterten Klo, mit den Füßen weit vorne auf einem bemerkenswert niedrigen Sitz. Man kann den Sitz höher einhängen und es gibt eine höhere Sitzbank, was ein 197 cm großer Kollege bei seinem Dauertester sofort tat, um seine langen Gräten unterzubringen. Für Kleinere gibt es auch eine tiefere Sitzbank, Honda bietet gestaffelt Sitzhöhen von 800 bis 900 mm an. Die Transe war ein braves Krädchen, das als Modell weit oben in der Hitliste der Weltumrundungen steht, weil sie zuverlässig, einfach zu fahren, robust und einigermaßen verbreitet ist. Nur war sie eben auch ein recht fettes Hängebauchschwein, und an dieser Stelle hat Honda bei der AT zuerst angesetzt: mehr Bodenfreiheit.

Wunschlisten der Republik

Leider ging das nicht mit "weniger Gewicht" einher, sondern die Masse wurde einfach weiter nach oben geschoben. Die AT wiegt mit ABS 232 kg vollgetankt, mit dem äußerst empfehlenswerten Doppelkupplungsgetriebe DCT werden es 242 kg. Es ist also massentechnisch die Liga der BMW R 1200 GS, nur mit weniger Hubraum. Selbstverständlich kann man damit im Gelände fahren, selbstverständlich macht das auch Spaß. Bis du das Geraffel hinschmeißt, in echtem Gelände ein Ereignis der Wahrscheinlichkeit 1. Die meisten werden also nur das tun, was jedes Straßenmotorrad in den Alpen erlebt: Straßen und Schotterpisten fahren. Lassen wir die Diskussion sein, ob man das braucht oder nicht, die hatten wir zur Genüge, sie führt nirgendwohin. Leute wollen das kaufen, bumms, fertig. Die Africa Twin versammelt die Stärken der Transalp, boostet sie mit einem stärkeren Motor, offroadiger Geometrie und moderner Elektronik, verpackt das in schickes Rallye-Geschenkpapier, das trifft direkt die Wunschlisten der Republik.

Auf der Straße fällt auf, dass Honda eine gerölltaugliche Geometrie sehr wichtig war. Diese interessante Abkehr von den Konzepten früherer Gravitationslinsen wie Varadero oder Crosstourer mit ihren eher straßigen Auslegungen erkauft sich ihre Vorteile auf Geröllpisten mit Nachteilen auf der Straße. Das große, schwere Vorderrad fährt weit vorneher, lenkt weit aus, das Motorrad fährt von sich aus gern weite Linien. Die Handlichkeit bringt Honda wie BMW mit der Luft-/Öl-gekühlten 1200 GS damals mit einer breiten Brechstange als Lenker rein. Das funktionierte für mich bis auf die inaktive Sitzposition ganz gut.

Weniger gut gefiel mir die Standardbereifung. Der Dunlop Trailmax glitscht im Regen früh, zeigte sich trocken neutral, aber ohne besondere Stärken. Es ist also ein Reifen, der weder auf Asphalt noch auf losem Untergrund punktet. Langstreckenreisende werden nach Abrubbelung dieses Gummis bessere Straßenreifen montieren. Stadtpendler montieren gern Stollenreifen, mit denen sowas zwar schlecht fährt, aber gut ausschaut in downtown München.

Manieren auf losem Untergrund

Wir hatten eine Endurostrecke und etwas profiliertere Reifen dazu (Metzeler Karoo 3). Ich fuhr eine Einfahrrunde auf einer AT mit manueller Schaltung. Der die Strecke betreuende Guide war ein glühender Reiseenduro-Fan, der fragte: "Und? Ist voll geil, oder?!" Ich würde sagen: Es fährt auf dem Niveau der Konkurrenz, also vergleichbar einer BMW GS oder KTM Adventure. Wer die "voll geil" findet, wird die AT ebenso finden. Ich fand den schön tuckerig ziehenden Motor toll, wobei er an Unterhaltungswert von der KTM 1050 Adventure oder Suzukis Frau Strom (V-Strom 1000) mit ihrem unterschätzten 1000-ccm-V-Twin klar ausgestochen wird. Mir als Nutzwertfreund gefiel jedoch die bravere Drehmomentabgabe im unteren Bereich, das lineare Hochdrehen und das lange nutzbare Band. Manieren sind auf losem Untergrund sehr wichtig, wenn man nicht die ganze Zeit an der Kupplung fahren will.

Unbedingt mit DCT ausprobieren

Das war dann auch so ein Punkt. Die lange Übersetzung für die Straße sorgt dafür, dass du eh recht viel mit der Kupplung tun musst, vor allem, als wir die auf dem Gelände vorhandenen kleinen Single Trails befuhren. Deshalb wäre mein Tipp, dieses Motorrad unbedingt mit DCT auszuprobieren, denn das gibt es nirgends sonst, und es hilft dir sowohl auf langen Touren als auch im Gelände. Es würgt nie den Motor ab, es gibt dir immer Drehmoment, wenn du am Griff drehst, es hält den Kopf frei fürs Fahren. Es wiegt zehn Kilogramm, was nervt, aber schwer ist die Honda ohnehin. Ich empfehle jedem, der mit seiner AT wirklich weit reisen und quer durch die Pampa furchen will, das unbedingt wenigstens auszuprobieren.

Elektronikbedienung

Zum manierlichen Motor stellt Honda eine Traktionskontrolle bereit, die per Fingerschalter in drei Stufen eingestellt oder (lang ziehen) abgechaltet werden kann. Auf Dreck fährt Stufe 1 sehr gut, denn sie erlaubt einigen Schlupf, sodass Vortrieb möglich wird, sie dreht dem Motor aber den Hahn ab, bevor dich dein Hinterrad überholt. Super. Das ABS kann man nur hinten abschalten, was meistens funktioniert. Manchmal kann man in den Bereich kommen, dass die ABS-Einheit zum Hebel hin schließt, also für einen Augenblick kein weiterer Bremsdruck aufgebaut werden kann. Wahrscheinlich verbaut Honda noch einen Modulator ohne internen Drucksensor. Aber auch das: Nichts, was erfahrene Kradisten beunruhigen sollte, denn die bremsen so ein Schiff mit oder ohne ABS sowieso stets etwas früher, um Sicherheitsraum zu gewinnen.

Gut haben die Dämpfer funktioniert. Die AT bringt Federwege von 220/230 Millimetern mit, die bei mir und einem weiteren Fahrer der Masse <65 kg selbst bei höheren Hupfern nicht durchschlugen. Natürlich änderte sich das bei schnellerer Fahrt oder schwererer Beladung, aber dieses Thema stellte sich auf der ständig über jedem Stein durchschlagenden Gabel am Crosstourer noch ganz anders dar. Weniger gut gefiel mir die Ergonomie. Die kleinen, weit vorne liegenden Rasten bringen deine Beine in eine Position, in der du im Stehen nur O-beinig fahren kannst, weil der dicke Tank die Beine spreizt. Das hat BMW an der F 800 GS zum Beispiel gut gelöst.

Schließlich gefiel mir noch die subjektive Qualität aller Komponenten im Sicht- oder Anfassbereich. Sie passen gut zum aufgerufenen Preis. Im Prinzip hat Honda alles richtig gemacht, auch wenn sie nicht den erhofften Knaller brachten. Die AT ist gut ausgestattet, hochwertig gemacht, fährt gut im Dreck oder auf der Straße und wiegt so viel wie in dieser Klasse eben üblich. Der Guide fasste die Wunschträume der Reiseenduristen so zusammen: "Mit diesem Motorrad kannst du hier im Offroad-Park fahren, dann mit deiner Freundin hinten drauf nach Rijeka runter fahren und dort auf der Rennstrecke ein paar Runden drehen." Niemand wird das tun, niemand sollte das tun, aber es ist halt auch wahr: Man könnte das tun. Die Warum-Frage soll uns so wenig belangen wie die Interessenten, denn wichtig ist doch nur: Die Africa Twin wird den typischen Reiseenduristen sehr glücklich machen. Deshalb ist sie bis Oktober ausverkauft.