Fahrbericht: Indian Scout

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Von großvolumigen V2-Motoren in Cruisern erwartet man natürlich, dass sie ein bäriges Drehmoment bei minimalen Drehzahlen auf den Zahnriemenantrieb schaufeln. Das kann die Scout auch und leistet maximal 98 Nm bei 5900/min. Bei Tempo 100 liegen im sechsten Gang gerade Mal 3300/min an und sie lässt sich herrlich schaltfaul fahren. Aber ihr V2 birgt noch ein Geheimnis: Er ist drehfreudig! Die Scout kann lässig durch die City cruisen, aber wer auf der Autobahn bei Richtgeschwindigkeit den Gasgriff aufdreht, erlebt Unerwartetes: Die Indian marschiert los, als wäre die Kavallerie hinter ihr her. Wenn es sein muss, rennt sie 193 km/h – und zwar ohne zu pendeln oder auch nur ansatzweise unruhig zu werden. Mit einer Bohrung von 99 mm und einem Hub von 73,6 ist ihr V2 eher kurzhubig ausgelegt und produziert auch mit Euro4-Norm eindrucksvolle 102 PS bei 8000/min. Einzig der Sound ist den strengen Vorschriften zum Opfer gefallen. Wir sind grundsätzlich gegen laute Auspuffanlagen im Straßenverkehr, aber an der Scout klingt sie zugestopft. Dabei ist guter Klang keine Frage der Lautstärke, sondern der Abstimmung.

Fahrwerk für amerikanische Highways

Der Motor ist also ein echtes Sahnestück geworden, das Fahrwerk ist jedoch auf beschauliches Gleiten ausgelegt. Auf ebener Asphaltdecke funktioniert es noch gut, die nicht einstellbare Teleskopgabel mit 120 mm Federweg und die beiden Federbeine mit 76 mm Federweg kommen ihrer Aufgabe einwandfrei nach. Doch holprige Strecken und Löcher im Asphalt mag die Scout nicht sonderlich. Da leitet das straff abgestimmte Fahrwerk Unebenheit ziemlich ungefiltert an den Fahrer weiter. Der Fahrkomfort der Indian ist ganz klar für amerikanische Highways ausgelegt.

Warum Cruiser fast grundsätzlich nur eine einzelne Scheibenbremse am Vorderrad tragen, bleibt das Geheimnis der Hersteller. Dabei funktioniert die Bremsanlage an der Scout noch verhältnismäßig gut, sie lässt sich sicher verzögern, wenn auch ohne klar fühlbaren Druckpunkt. Immerhin spendierte ihr Indian eine Stahlflexbremsleitung. Das ABS arbeitet zuverlässig, eine Traktionskontrolle bietet die Scout aber leider nicht. Dabei wäre diese bei dem kräftigen Drehmoment zumindest bei feuchter Witterung durchaus von Vorteil.

Top-Verarbeitung

Die Verarbeitung bewegt sich auf sehr hohem Niveau, da kann man auch als qualitätsverliebter Deutscher nur anerkennend nicken. Alles passt haargenau, nichts wackelt oder ist schlampig befestigt. Die Mehrfarben-Lackierung und die Chromteile sind makellos. Einen netten Gag hat sich die Marke auf den Reifen erlaubt: Dort findet sich ein Indian-Schriftzug. Natürlich hat Indian kein eigenes Reifenwerk, die Pneus stammen als Sonderedition von Dunlop. Der Grip der voluminösen Reifen ist gut, zumindest solange sich die Temperatur nicht kurz vor dem Gefrierpunkt befindet. Einen kleinen Schönheitsfehler haben wir doch noch entdeckt: Die Fußrasten aus Gummi sind ein Stilbruch, ein Monument von Cruiser wie die Scout hat einfach Rasten aus Metall verdient.

Indian ist zurück

Für die Scout veranschlagt Indian 13.690 Euro und gewährt fünf Jahre Garantie. Dafür bekommt der Käufer einen modernen, sehr kräftigen und drehfreudigen Motor sowie ein Motorraddesign, das sich erfrischend von der üblichen Retro-Schiene abhebt. Es wird wohl noch etwas dauern, bis sich in Deutschland die Kunde großflächig herumspricht, dass Indian wieder existiert und vorzügliche Bikes baut. Natürlich will man Harley-Davidson Konkurrenz machen und mit einem finanzstarken Konzern wie Polaris im Hintergrund kann das durchaus funktionieren. Immerhin griffen 2016 in Deutschland schon 564 Käufer zur Indian Scout, Tendenz steigend. (fpi)