Heckrotor

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Köln, 3. November 2014 – Schon Anfang des Jahres las sich die Beschreibung des neuen Renault Twingo als die eines der interessantesten Autos 2014: Ein Fiat 500 mit Heckmotor, von jenem Menschenschlag gebaut, der den mir-doch-egal-Kleinwagen erfunden hat – französische Ingenieure. Eine Probefahrt in Köln.

Der Maßstab jedes neuen Twingo ist der erste Twingo, weil er der beste war. Dieser Maßstab wächst zunehmend ins utopische, weil der erste Twingo heute keine Zulassung mehr erhalten würde. Es war im Prinzip ein Miniminivan, ein Schrumpfkopf-Espace: flach abfallende Schnauze, gerade groß genug für eine kleine Luftpumpe als Antrieb, der einen Blechballon hinter sich herzog, der angesichts der Außenmaße verblüffende Mengen sperrigster Dinge transportierte, die zur Not oben aus dem offenen Faltdach herausragten.

Avec les Allemands ...

Der flachen Van-Nase ist der Fußgängerschutz vor, der gezogenen, großen Blechblase die Ansprüche an Komfort und Sicherheit. Also grub Renault ein Konzept von 2008 aus: viertüriger Kleinstwagen mit Heckmotor. Dessen Entwicklung hatte sich Renault jedoch partout nicht schönrechnen können. Erst als Daimlers Smart renoviert werden musste, gab es die Chance. Die Franzosen taten sich mit den Teutonen zusammen, um gemeinsam auf die nötigen Stückzahlen so einer Entwicklung zu kommen.

Der Twingo und der kommende Smart Forfour sind also größtenteils gleich. Wahrscheinlich wird Daimler versuchen, sich mit kundengefühlter Qualität (vulgo: "Premium") von Renault abzusetzen, noch wahrscheinlicher hauptsächlich durch die Wahl des Innenraum-Plastiks. Genauso wahrscheinlich wird es eine Zielgruppe für dieses Premiumplastik geben. Persönlich muss ich zur Lesereinschätzung dieser Twingo-Bewertung zugeben, dass ich die Unterschiede in der Premiumhaftigkeit verschiedener Plastiksorten selbst nie nachvollziehen konnte. Der Plastik in einem Polo unterscheidet sich für mich nicht signifikant vom Plastik in einem Clio. Deshalb halte ich den Twingo im Vergleich zum Smart Forfour für das Fahrzeug mit dem besseren Preis-Wert. Darüber hinaus gefällt mir die Gestaltung besser als die des Forfour – reine Subjektivität.

Resonanzverhalten: Cello

Interessantes Phänomen mit einer lokalen Häufung bei kleinen Autos: Manchmal ist die kleinere oder gar kleinste Motorisierung die beste. Renault und Daimler bieten einen 900-ccm-Turbo-Dreizylinder mit 90 PS und einen Dreizylinder-Sauger mit 71 PS an. Beide Motoren geben im knapp über 1000 kg schweren Auto ihre Leistung unter der Wahrnehmungsschwelle ab. Das liegt weniger an der absoluten Leistung, die ist schon okay, sondern vielmehr an der bemerkenswert langen Übersetzung vor allem der ersten Gänge. Der erste Gang geht bis über 50 km/h. Der Turbo bietet daher nur spürbare Vorteile für Kunden, die häufig lange Strecken fahren, und wer das tut, sollte besser ein anderes Auto kaufen.

In der Stadt erfreut der Sauger mit einem für diese Preisklasse herrlich gelungenen Dreizylinderklang, der sich bei Vollgas auf hoher Drehzahl (also immer) von der Hinterachse meldet. Wahrscheinlich dämpft der Turbolader diese Geräusche im 90-PS-Motor. Renault hat das Getriebe so übersetzt, dass der zweite Gang in der Stadt die Motorelastizität am besten auf die dort üblichen Geschwindigkeiten abbildet, was nicht besonders gut sein kann für den Verbrauch. Insgesamt hat mir dieser Motor nach Fiats Twinair-Paralleltwin von allen Kleinwagenmotoren bisher am meisten Freude gemacht. Vielleicht baut ja bald jemand eine Übersetzung, die sich weniger an der Theorie des NEFZ orientiert und mehr an der Realität des Stadtfahrers.

Das Schaltgetriebe erinnert mich an eine Jeans, weil es sich ab Werk vorausgeleiert anfühlt, vielleicht wegen der längeren Stangen nach hinten. Zu so einem Auto passt das. Daimlers gewünschtes Doppelkupplungsgetriebe wird im Twingo rund 900 Euro Aufpreis kosten. Zum Test war es leider noch nicht verfügbar. In der Stadt wäre es wahrscheinlich die erste Empfehlung, zusammen mit dem Saugmotor. Den Elektroantrieb, den Daimler anbieten möchte, wird es im Twingo auf absehbare Zeit nicht geben. Schade. Einen E-Twingo mit Mietakku für, sagen wir: 15.000 Euro, das wäre der Knaller als elektrischer Zweitwagen.

Fahren: auch nicht gegen Aufpreis

Nun hat Renault ja viel Gewese darum gemacht, dass der Twingo gut fährt. In der Praxis lässt sich das schwer nachprüfen. Das nicht abschaltbare ESP zusammen mit der Traktionskontrolle greifen in einer derart erstickend frühzeitigen Helikoptereltern-Vorsorge ein, dass jeder Versuch, den Twingo zu fahren statt zu rollen in Frustration enden muss. Eigentlich passt das in die Zeit und zu diesem Auto, aber hätte ein Abschaltmechanismus wirklich wehgetan? Denkt doch an die Twingo-Racer, die eure erste Generation hervorbrachte!

In der jetzigen Abstimmung kann man die Lenkung voll einschlagen, das Gaspedal an den Boden drücken und sich in einem sehr langsamen, sicheren Karussell drehen lassen. Nachdem der Twingo die Fahrversuche entsprechend erstickt hat, gibt sich der Fahrer mit städtischem Rollen zufrieden. Hierzu hat Renault die richtige Abstimmung gefunden, eine weiche nämlich. Ein gutes Stadtchassis orientiert sich am Ideal der Hutschachtel, die auf einem gerade noch schnittfesten Wackelpudding (Waldmeistergeschmack) steht. Renault hat das beherzigt, sodass der Twingo trotz seines Preises selbst über Kölns Kraterpisten weich abrollt. Die einzige wirkliche Härte liegt in der Akustik. Gut gemacht.

Die Paradedisziplin des Heckmotor-Chassis ist allerdings der Wendekreis. 8,65 Meter gibt Renault an. Das fühlt sich in der Praxis so an: An der Stelle, an der du aus Erfahrung das Gefühl hast, die Lenkung ist am Anschlag, dreht der Lenker des Twingo noch eine ganze Runde weiter – mit entsprechender Winkelanspitzung. Beim Rangieren, vor allem im Parkhaus, macht das den Twingo unter den Viertürern unschlagbar.

Transporter 3

Gut, das war von Anfang an klar: Der Heckmotor bedingt eine hohe Ladekante und geringeren Platz hinten. Sinnvoll weiter gedacht: Die höhere Motorabdeckung schließt deshalb bündig mit den umgelegten Rücksitzen ab. Selbst den Beifahrersitz kann man einfach nach vorne umlegen, sodass 2,30 Meter lange Dinge bei geschlossenem Kofferraum passen. Der Praxis-Richtwert dürfte Ikeas Billy-Regal sein. Das sollte locker passen. Für noch längere Objekte verkauft Renault auch diesmal wieder ein großes Faltschiebedach (990 Euro). Ein Reserverad ist nicht vorgesehen. Die typische Reifenreparaturkiste hängt unter dem Beifahrersitz.

Den verringerten real für schwere Kisten nutzbaren Gesamtstauraum möchte Renault in typisch französischer Art mit kleinen Staufächern überall kompensieren. Das kennen wir spätestens seit Citroens erstem Berlingo, und seit diesem Beispiel halte ich persönlich das gesamte Konzept für im Kernsinn widerlegt. Diese Staufächer sind weitestgehend nutzlos; ihre Funktion in der Praxis beschränkt sich in meiner Erfahrung auf die Akkumulation von Dingen, die gern als "Deko" deklariert werden, also nüchtern als Müll betrachtet werden müssen.

Selbst die guten Ideen taugen nicht so recht: Vorne vor dem Schalthebel kann man eine Box aufstecken, wenn man die vorderen Getränkehalter nicht braucht. Das Fahrerknie drückt diese Box jedoch gern einfach weg in den Beifahrerfußraum. Genauso hält sich der Nutzen des ins Handschuhfach einzusteckenden Stoff-Handtäschchens in engen Grenzen. Bei den Staufachspielereien hätte Renault wegen mir lieber (mein) Geld sparen sollen. Gegenmeinung: 1993 schrieb der ADAC zum ersten Twingo: "Für kleine Utensilien fehlen Ablagen." Zum Glück.

Frei von Wartung

Wir Journalisten waren natürlich hellwach, als es darum ging, die Frontklappe zu kritisieren. Sie hängt an einem Nylonbändchen und muss daher etwas umständlich an beiden Seiten ruckend gelöst werden. Das dauert bestimmt zehn Sekunden länger als bei einer Klappe mit Scharnieren und Gasdruckdämpfern. Genauso die Motorhaube hinten: Sechs Handschrauben müssen da gelöst werden!

In der Praxis fülle ich im Winter zweimal, im Sommer einmal Wischwasser nach. Da sind zehn Extrasekunden verkraftbar. Der Pluspunkt der billigen Konstruktion: die Fußgängerschutzteile sind aus Plastik statt aus diesem dünnen, nachgiebigen Blech. Das heißt, dass sie nach kleinen Remplern in ihre ursprüngliche Form signifikant besser zurückfinden, als Stahl das kann.

Genauso sieht's hinten an der Motorhaube aus: 20 bis 30 Sekunden dauert es schon, bis man die Handschrauben geöffnet hat und per Peilstab den Ölstand kontrollieren kann. Aber bleiben wir ein zweites Mal realistisch: Twingo-Fahrer kontrollieren keinen Ölstand und füllen kein Waschwasser nach. Diese Punkte sind der Kundschaft vollkommen egal. Der Twingo ist ein wartungsfreies Auto – nicht in der Art, dass er keine Wartung bräuchte, denn das tut er, sondern in der Art, dass er von seinen Kunden einfach keine Wartung zu erwarten hat. Eine Ölwarnung über den Öldruckschalter hinaus wie im Espace wäre daher nett, wobei ich denke, dass auch das schon zu theoretisch gedacht ist. So eine Warnung interessiert typische Twingonen ebenfalls nicht.

Neue Medien

Wie beim Motor empfehle ich auch beim Radio die billigere Alternative. Die teurere ist das TomTom-System "R-Link Evolution" mit Touchscreen und eigenem Prozessor. Es ist bis auf gelegentliche Abstürze, die hoffentlich per Update mittlerweile behoben sind, gut, kostet allerdings auch im Paket mit Rückfahrkamera und Parkhilfe 990 Euro. Die günstigere Alternative ist das "R & Go", ein Radio, das in der günstigsten Ausstattungsvariante des Twingo (Expression) 500 Euro kostet und in den anderen serienmäßig verbaut wird. Die Parkhilfen sind im übersichtlichen Twingo sowieso deutlich weniger wichtig als, sagen wir: in einem Corsa.

Das R-&-Go-Radio klinkt per Bluetooth und Halterung ein Android- oder iOS-Gerät ein, auf dem es Fahrzeugdaten wie Drehzahl anzeigt und von dessen Speicher es Musik spielt. Vor allem aber bietet die kostenlose Renault-App eine kostenlose Navi-Software, inklusive zwei Jahre Kartenupdates. Wenn der Evolution-Touchscreen schon uralt ausschaut, haben Go-Kunden längst ihr fünftes Phablet mit 3D-Display und Telepathiesteuerung in die Halterung gehängt.

Rosen nach Paris

Insgesamt sehe ich die Zukunft des neuen Twingo rosig. Er führt beste französische Kleinwagentraditionen fort: Fahrzeuge, mit denen der Bauer ein Schwein auf den Markt fahren kann, bei einem Abrollkomfort, der die Eier bruchfrei hält. Er ist in vielen Details auf hinreißende Art ein bisschen scheiße, in vielen Kernpunkten gleichzeitig jedoch genau richtig, selbst wenn die gegen aktuelle Trends steuern: weiches Rollwerk statt witzlos hartes Fahrwerk, rustikal einfacher Aufbau, und wenn man clever konfiguriert sogar viel Wert pro Preiseinheit. In meiner persönlichen Hitliste kleiner Stadtwagen steht der Twingo vorläufig auf Platz 2 hinter dem Fiat Panda. Da steht er neben dem VW Up. Überholen lasse ich ihn erst, wenn kommende Kunden auf längere Zeit vergleichbar (un)zufrieden sind wie mit VWs kleinem Toaster. Wobei dieser Vergleich vielleicht nie in fairer Form stattfinden kann, solange die Franzosen den Markt wartungsfreier Fahrzeuge dominieren ...