Was Fahrwerks-Ingenieure gegen Karosseriebewegungen tun

Gedämpfter Wankelmut: Ideen aus der Fahrwerkstechnik

Die Abstimmung konventioneller Stahlfederungen ist ein kunstvoller Kompromiss aus Sport, Komfort und Sicherheit. Neue Entwicklungen helfen, den Zielkonflikt immer besser zu lösen

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Inhaltsverzeichnis

München, 1. April 2008 – Als Déesse, die Göttin, bezeichnen die Franzosen den Citroën DS, der nicht nur durch sein Design zur Legende geworden ist, sondern vor allem auch durch seinen damals göttlichen Federungskomfort. Doch die Zeiten haben sich geändert, selbst Citroën baut in immer mehr Modelle eine „konventionelle“ Stahlfederung ein, die weniger kostet als Citroëns Hydropneumatik oder andere Luftfederungen.

Heute dominiert die Stahlfederung

Die traditionellen Vorteile einer Luftfederung bestehen darin, dass sich ein Niveauausgleich problemlos realisieren lässt und dass sich das Dämpfungsverhalten bei Beladung nicht verschlechtert. Bei einer Stahlfederung hat man dagegen zunächst nur die Möglichkeit, bei der Abstimmung von Stahlfedern und Dämpfern einen vernünftigen Kompromiss zu finden, der in den meisten Fahrsituationen passt. Dennoch muss man sich für eine bestimmte Grundcharakteristik entscheiden, ein Sportfahrwerk wird mit konventioneller Technik nie zur Sänfte. Mit diesem Zielkonflikt befasst sich auch der aktuelle Kommentar Angenehm straff! auf heise Autos.

Doch die vermeintlich so unflexible Stahlfederung hat sich mittlerweile gemausert. Zulieferer und Automobilhersteller haben sich einiges einfallen lassen, um Federung und Dämpfung durch allerlei elektronische, mechanische und hydraulische Tricks zu bändigen. In diesem Artikel geben wir einen Überblick über die interessantesten Systeme verschiedener Hersteller. Dabei konzentrieren wir uns auf konventionell gefederte Autos; die Luftfederung bleibt zunächst außen vor, ebenso kostengünstige aber eher seltene Formen wie die Drehstab- oder Blattfederung.

Federn, Stoßdämpfer und Stabilisatoren

Was lassen sich die Entwickler nun einfallen, um den Verbund aus Feder und Dämpfer zu mehr Anpassungsfähigkeit zu erziehen? Eine nahe liegende Möglichkeit ist die Verstellung der Schraubenfedern während der Fahrt, eine reaktionsschnelle Lösung ist jedoch nicht ganz einfach zu realisieren. Häufiger wird die Dämpfkraft geregelt, mit der die Stoßdämpfer den Federschwingungen entgegenwirken und damit bestimmen, wie lange ein Fahrzeug beispielsweise nach einer Bodenwelle noch auf- und abschwingt. Eine dritte Möglichkeit sind Systeme, die bei den Stabilisatoren eingreifen, also jenen bügelartigen Drehfeder-Elementen, die bei den meisten Fahrzeugen die Wankbewegungen verringern. Durch eine elektronische Regelung kann man das Verhalten der Stabilisatoren ebenfalls adaptiv auslegen.

Gedämpfter Wankelmut: Ideen aus der Fahrwerkstechnik

ABC: Geregelte Federverstellung

Eine Regelung der Federn beherrscht zum Beispiel die Active Body Control (ABC) von Mercedes. Bei diesem System sind die Federbeine mit so genannten Plunger-Zylindern ausgerüstet, die hydraulisch die „Fußpunkte“ der Stahlfedern verstellen können. Ganz unaufwendig ist dieses System nicht: Ständig werden 200 bar hydraulischen Drucks vorgehalten, damit bei Bedarf servohydraulische Ventile die Plunger-Zylinder verstellen können. Das tun sie immer dann, wenn die Fahrzeugsensorik bestimmte Fahrzustände erkennt und die Elektronik diese Erkenntnisse in Steuersignale umsetzt. So lässt sich zum Beispiel die Neigung bei Kurvenfahrt ebenso reduzieren wie das Nicken beim Bremsen. ABC ist auf den Schwingungsbereich bis 5 Hertz ausgelegt – höherfrequente Schwingungen halten Gasdruckdämpfer von den Insassen fern. Entlastet von der niedrigfrequenten Basisarbeit, können diese Dämpfer besonders komfortabel ausgelegt werden. Zudem bietet ABC einen sonst für Luftfederungen typischen Vorteil: Anhand der eingestellten Plunger- und Federwege erkennt die Fahrzeugelektronik, wie stark das Fahrzeug beladen ist, und regelt daraufhin wieder das Normalniveau ein. Das nicht ganz billige ABC-System wird derzeit nur in der Oberklasse angeboten, unter anderem in der S-, CL- und SL-Klasse.

Der Bypass-Trick von Agility Control

Stoßdämpferregelungen gibt es von zahlreichen Herstellern, sei es mit oder ohne elektronische Regelung. Ganz ohne Elektronik kommt ein System aus, das Teil des Agility-Control-Pakets von Mercedes ist. Dabei handelt es sich um eine amplitudenabhängige Stoßdämpferregelung: Bei gemäßigter, wenig sportlicher Fahrt wird die Dämpferkraft automatisch verringert, was den Abrollkomfort verbessert. Bei dynamischer Kurvenfahrt oder schnellen Ausweichbewegungen wird dagegen die maximale Dämpfung eingestellt und das Fahrzeug auf diese Weise stabilisiert. Die Besonderheit der von ZF Sachs entwickelten Dämpfer ist im Inneren der Kolbenstangen zu finden: Ein zusätzliches Ölreservoir mit Verschiebekolben regelt Menge und Fließgeschwindigkeit des Hydrauliköls durch das Kolbenventil. Bei kleineren Bewegungen fließt das Öl zunächst in das Ölreservoir – die Dämpfkraft wird verringert. Bei holprigen Strecken oder Wankbewegungen aufgrund Kurvenfahrt und entsprechend größerer Bewegung des Dämpfers schließt der Verschiebekolben das Reservoir und stellt die volle Dämpfkraft zur Verfügung. Mercedes setzt die Agility Control unter anderem in der A-, B- und C-Klasse ein. In noch etwas verfeinerter Form wird das Ganze als Advanced Agility Control bezeichnet. Dabei kann man zusätzlich noch zwischen einem Sport- und einem Komfortmodus wählen.

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Audis DRC mit Diagonalverbindungen

Ebenfalls eine Stoßdämpferregelung ohne Elektronik stellt die Dynamic Ride Control (DRC) dar, die Audi im RS 6 Avant einsetzt. Während Agility Control vor allem gegen Wankbewegungen hilft, reduziert DRC auch die Nickbewegungen, das heißt zum Beispiel das Einknicken vorne beim starken Bremsen. Bei DRC sind die diagonal gegenüberliegenden Stoßdämpfer hydraulisch miteinander verbunden. Durch ein Zentralventil wird beispielsweise in der Kurve die Dämpferkennung so variiert, dass Bewegungen um die Längsachse – also Wankbewegungen – deutlich reduziert werden. Nach demselben Prinzip wirkt DRC Nickbewegungen, also Bewegungen um die Querachse, beim Beschleunigen oder Bremsen entgegen.

PASM: Stoßdämpferverstellung

Eine elektronische Stoßdämpfereinstellung ist das Porsche Active Suspension Management (PASM). Abhängig von Fahrweise und Fahrsituation regelt es aktiv und kontinuierlich die Dämpferkraft für jedes einzelne Rad. Sensoren erfassen dabei die Karosseriebewegungen, wie sie beim starken Beschleunigen, Bremsen oder auf unebener Fahrbahn auftreten. Signale wie Querbeschleunigung, Lenkwinkel, Bremsdruck und Motorenmoment werden ebenfalls verarbeitet. Das Steuergerät ermittelt anhand der Messwerte den aktuellen Fahrzustand und stimmt die Dämpferhärte ab. Dabei kann der Fahrer auch noch zwischen einer normalen und einer sportlichen Dämpferkennlinie wählen. Fährt man im Sportmodus über Unebenheiten, werden die Stoßdämpfer komfortabler eingestellt. Ist die Straße wieder eben, geht das PASM auf die ursprüngliche Kennlinie zurück. Das funktioniert auch umgekehrt: Wird im Normalprogramm die Fahrweise deutlich sportlicher und dynamischer, stellt das System automatisch auf eine sportbetonte Kennung um – die Dämpfung wird straffer. PASM ist in allen vier Porsche-Modellreihen optional verfügbar.

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EDC und mehr

Auch BMW hat eine elektronische Stoßdämpferverstellung im Programm. Die Elektronische Dämpfer Control (EDC) soll gleichbleibend gute Schwingungseigenschaften bei jeder Beladung garantieren. Abhängig von der durch Sensoren festgestellten Fahrsituation wird mithilfe von Magnetventilen die Dämpferkraft stufenlos eingestellt. Nickbewegungen beim Bremsen oder Karosseriebewegungen auf Bodenwellen, bei Kurvenfahrt oder beim Beschleunigen werden merklich reduziert. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, über Tastendruck das Programm „Sport“ und damit eine straffere Dämpfung anzuwählen. Weitere Stoßdämpferegelungssysteme setzen Lancia im Thesis sowie Maserati unter anderem im Quattroporte ein. Jaguar bezeichnet sein System mit dem Kürzel CATS (Computer Active Technology Suspension). Bei Ford heißt die Stoßdämpferregelung IVDC (Interactive Vehicle Dynamic Control), bei Opel CDC (Continuous Damping Control). Bekannter als das Kürzel CDC ist das IDSPlus-Fahrwerk, das die Vernetzung von CDC mit den übrigen Fahrdynamiksystemen wie ABS, Traktionskontrolle sowie ESP bezeichnet.

Hightech-Öl: Audi Magnetic Ride

Eine besonders interessante Lösung bietet Audi mit Magnetic Ride an. Als stufenlos adaptives System passt es die Dämpfungscharakteristik innerhalb weniger Millisekunden dem Profil der Straße und der Gangart des Fahrers an. Die eigentliche Besonderheit: In den Stoßdämpferkolben zirkuliert kein herkömmliches Öl, sondern ein so genanntes magneto-rheologisches Fluid. Dieses Wortungetüm steht für eine Flüssigkeit, die ihre Viskosität in Abhängigkeit von Magnetfeldern ändert. Das heißt, sie wird zäher oder dünnflüssiger, je nachdem ob ein Magnetfeld anliegt. Dieses Kunststück vollbringt bei Magnetic Ride ein synthetisches Kohlenwasserstoff-Öl, in dem mikroskopisch kleine magnetische Partikel von drei bis zehn Mikrometer Größe eingeschlossen sind.

Partikel legen sich quer

Durch Anlegen einer Spannung an eine Spule – den Impuls dafür liefert ein Steuergerät – entsteht ein Magnetfeld, in dem sich die Ausrichtung der Partikel ändert. Sie legen sich quer zur Strömungsrichtung des Öls und vergrößern damit die Viskosität der Flüssigkeit. So wird der Durchfluss des Öls durch die Kolbenkanäle gehemmt und das Fahrzeug rollt komfortabler ab. Bei dieser Technik ändert sich die Charakteristik der Dämpferkennlinie deutlich schneller als bei konventionellen adaptiven Dämpfern, so Audi. Über eine Taste kann der Fahrer zwischen normalem und sportlichem Modus wählen. Magnetic Ride wird unter anderem im TT und im R8 angeboten.

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Stabi-Verstellung PDCC

Zu den aktiven Fahrwerksystemen, die das Wanken in der Kurve verringern sollen, gehört auch die Porsche Dynamic Chassis Control (PDCC). Dabei werden aber nicht die Stoßdämpfer, sondern die Stabilisatoren an der Vorder- und Hinterachse elektronisch verstellt. Diese so genannten aktiven Stabilisatoren bestehen aus einem hydraulisch betriebenen Schwenkmotor, bei dem die Motorwelle mit der einen Stabilisatorenhälfte und das Motorgehäuse mit der anderen Hälfte verbunden ist. Diese Baugruppe wandelt hydraulischen Druck in ein Torsionsmoment um, was über die Karosserieanbindung ein Stabilisierungsmoment ergibt.

Entkoppelbare Stabi-Hälften

Bei Geradeausfahrt werden die beiden Stabilisatorhälften mehr oder weniger vollständig entkoppelt. Fährt das Auto dann mit einem Rad über ein Hindernis, gibt der auf weich gestellte Stabilisator mehr nach und überträgt die Einfederbewegung nicht auf die andere Seite der Achse. Bei Kurvenfahrt werden die Stabilisatorhälften dagegen mehr oder weniger starr verbunden, sodass die Wankbewegung im Rahmen bleibt. Neben der Seitenneigung in der Kurve bewirkt das System auch mehr Komfort bei unebener Fahrbahn und eine verbesserte Traktion im Gelände durch größere Achsverschränkung. Das System ist ausschließlich im Cayenne und nur in Verbindung mit der Luftfederung sowie PASM verfügbar.

Dynamic Drive

Was bei Porsche PDCC heißt, nennt BMW Dynamic Drive. Auch bei diesem System werden die Stabilisatoren an der Vorder- und Hinterachse elektronisch verstellt. Dynamic Drive wird unter anderem für die stärkeren 5er-Modelle angeboten. Beim 7er gibt es Dynamic Drive nur als Bestandteil von Adaptive Drive.

Gedämpfter Wankelmut: Ideen aus der Fahrwerkstechnik

Das Adaptive-Drive-System kombiniert die Stabilisatoren-Einstellung Dynamic Drive mit der Stoßdämpfer-Einstellung EDC. Anhand der Informationen von verschiedenen Fahrsensoren werden bei diesem System also sowohl die Schwenkmotoren an den Stabilisatoren als auch die elektromagnetischen Ventile der Stoßdämpfer gesteuert. Ähnlich wie bei Porsches PASM kann per Tastendruck zwischen einer sportlichen und einer komfortablen Grundeinstellung gewählt werden.

Mehr als Komfort

Das Zusammenspiel von Federung und Dämpfung wird oftmals als ein reines Komfortproblem wahrgenommen. Doch es geht um mehr als die Wahl zwischen Sportlichkeit und Komfort. So banal es klingen mag – für die Fahrsicherheit ist mit entscheidend, dass die Räder jederzeit Kontakt zum Untergrund haben und der Aufbau möglichst ruhig bleibt. Natürlich kann man mit einem ESP die Physik ein wenig überlisten und ein Fahrzeug wieder auf den rechten Weg zurückholen – doch das sollte dem Notfall vorbehalten bleiben. Adapaptive Feder-/Dämpfer-Systeme sind also mehr als Komfortausstattung, selbst einfache und kostengünstige Systeme wie die Agility Control können für mehr Fahrsicherheit sorgen.