Elektromotorräder auf der EICMA

Klartext: Electric EICMA

Bei elektrischen Motorrädern tut sich endlich wieder was, das zeigte sich auf der EICMA vom Anfang des Novembers. Wo vorher Skepsis zur Eignung elektrischer Antriebe zum Streunern überwog, lassen die diesjährigen Ideen der Hersteller Freude und Hoffnung aufkommen

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Ich hasse Messebesuche. Wenn in Deutschland die Branche zur Intermot pilgert, nehme ich immer die Gegenrichtung in die Alpen, Motorrad fahren, und auf der EICMA in Mailand war ich überhaupt noch nie. Ich hasse aber nicht die Messen an sich, sondern sitze wie jeder Hobby-Interessent mit Popcorn am Bildschirm und genieße eine konzentrierte Dosis Branchen-Nachrichten. Das gibt immer einen ganz guten Snapshot vom Zustand der Szene. Dieses Jahr machte mir die EICMA Hoffnung auf die Zukunft des elektrischen Motorrads.

Über das elektrische Motorrad haben wir hier schon viel geschrieben, im Hintergrund viel darüber geredet. Viele haben KTM-CEO Stefan Pierer dafür ausgebuht, als er sagte, dass elektrische Antriebe bei großen Motorrädern kein relevanter Markt seien, dass sie sich eher für kleine Motorräder mit möglichst definierten Einsatzgebieten eignen. Jetzt bin ich sicher niemand, der Pierer besonders mag, aber als er das sagte, stimmte es halt ganz einfach.

Die fette Eva streunert

Der Redundanz halber noch einmal die Schwierigkeit zusammengefasst: Motorräder werden häufig streunernd durch die Gegend gefahren, und wenn man das mit 500 Kilometern am Tag tun will, wie es das eben heute gibt, dann vergisst man am besten den Gedanken daran, das mit einer Batterie als Energieträger zu tun. Beim Auto lösen die Hersteller das Energiedichtenproblem dadurch, dass sie gigantische Batterien in Gravitationslinsen von Autos bauen.

Das geht am Motorrad so nicht. Die Energica Eva (Test) oder Ego (sind ja fast gleich unter den Verkleidungsteilen) liegen schon hart an der Grenze dessen, was als Roadster noch Spaß macht. Die fette Eva mit ihren 290 kg braucht ihren Rückwärtsgang, wird Besitzern mit weniger dicken Stampfern dennoch häufiger kentern auf Kies-Parkplätzen und wird mit über 30.000 Euro zwangsläufig selten bleiben. Überhaupt finden wir in der Firma Energica ein exemplarisches Lehrbeispiel des Themas „batterieelektrisches Serienmotorrad“.

Energica ist damals vorgeprescht mit einem Motorrad, das zeigte, wie ein elektrischer Roadster sein kann, und ich verstehe, dass die anderen Hersteller da erstmal reagierten mit „Ach so, ja, nein, danke“. Eigentlich hat Energica sich alles richtig von Tesla abgeguckt: Erst das Teure, dann vielleicht irgendwann herunterbrechen auf günstigere Modelle. Nur wollte schon das Teure kaum jemand haben, und so langsam muss Energica mal Geld verdienen, weil sie den zweiten Tesla-Teil (Finanzierung durch PR auftreiben) nicht einmal ansatzweise vergleichbar beherrschen. Energica erinnert mich an ein Motorradmagazin, denn die Firma muss mit Brotkrumen von Tag zu Tag kommen, mit dem Damoklesschwert, dass ihnen die Mutterfirma den Hahn abdreht, denn Motorräder braucht auch herstellerseitig kaufmännisch gesehen kein Mensch. Wenn, dann WILL sie jemand trotz allem.

Pipi raus, Benzin rein

Mittlerweile sind allerdings viele Tränen über die Laufstege Mailands geflossen, und eine Frage hat sich dabei allen Motorradfahrern gestellt: MUSS es denn sein wie immer? Antwort wie immer: natürlich nicht. Es geht freilich auch anders, es ist nur die Frage, ob es dann besser wäre oder wenigstens genauso gut oder auf andere Art gut. Und ich glaube mittlerweile, dass es durchaus einen Markt für elektrische Roadster geben könnte, und zwar über den der kleineren Nachmittagsrunde hinaus. Nein, du wirst nicht dieselben Strecken am Tag fahren wie mit dem Benziner.

Aber das wollen viele eh nicht. Auch die Anfahrt erledigen immer mehr Einspurfahrzeugurlauber mit Transportern. Wenn das eh so ist, kannst du auch eine leichte Enduro mitnehmen, oder eben ein Elektrokrad. Dann muss die Gruppe eben etwas längere Pausen einplanen statt nur „Pipi raus, Benzin rein“ und – paf! – können Elektrische mitfahren. Sicherlich passt das nicht jedem in den Alpenurlaub und muss es auch nicht. Ich glaube aber, es kann einen relevanten Markt für solche Fahrzeuge geben, wenn sie denn nicht wieder über 30 Tausis kosten.

Harley-Davidson mit CCS

Das stimmigste Angebot dazu macht Harley-Davidson mit der Livewire. Vom Prototypen damals unterscheidet sich die Gestaltung hauptsächlich durch eine Lampenmaske. Nennenswerteste technische Änderung: Unter einem Deckel liegt in der Tankattrappe ein Auto-CCS-Stecker, damit die Livewire an europäische Schnelllader passt. Sehr gut. Geblieben ist der schick in Szene gesetzte, längs liegende Motor mit brutal lauter Umlenkung auf den Zahnriemen-Endantrieb.

Kein anderer Hersteller hat es geschafft, einen elektrischen Antrieb optisch schöner in Szene zu setzen. Ob das mit dem Lärm die richtige Entscheidung war, muss die Zeit zeigen. Ich zweifle daran, dass Folgegenerationen Lärm so wichtig ist wie den Alten. Die Livewire soll schon 2019 bei den Händlern stehen. Preis: offen. Ich habe erste Schätzungen von rund 25.000 Euro gelesen, was leider gar nicht so unrealistisch klingt.

Münch Mammut 2020

Wir fanden auch Grenzfälle auf der Messe. Curtiss (früher: „Confederate“) zeigte ihr klobiges Designstück „Zeus“ in zwei Gestaltungs-Geschmacksrichtungen. Eine neue Firma namens Arc will mit ihrer Studie Vector den Weg in die Motorradzukunft weisen: Augmented Reality im Helm-HUD, Vibrationsmelder in der aufladbaren Jacke, CFK-Chassis mit Doppellängslenker vorn und ein Preis von über 100.000 Euro. Flashbacks an die Münch Mammut 2000 kommen mir hoch, wenn ich auch daran zweifle, dass es von der Vector wie von der Münch überhaupt 15 Stück aus der Fabrik heraus schaffen – trotz aller Investoren-Prominenz.

Doch das sind Exoten, die den Gang der Szene kaum beeinflussen. Das E-Krad an sich muss aber kein Exot bleiben. BMW arbeitet zum Beispiel an einem elektrischen Roadster im Stil ihrer S 1000 R. Einen Prototypen konnten wir auf der Teststrecke Miramas sehen, halboffiziell gezeigt (“Liehk“ sagt der Neudeutsche wohl dazu). Wenn der ohne CCS-Stecker käme, würde uns das alle sehr wundern. KTM fährt ihrem Pierer zum Trotz elektrische Prototypen in verschiedenen Chassis-Varianten spazieren. Überhaupt: Ein elektrischer Antrieb ist deutlich einfacher zu bauen und um ein Vielfaches einfacher zu homologieren als ein Benzinantrieb. Wenn sich so ein Markt bildet, wird es dort schnell ordentlich Konkurrenz geben.

Ist Schalten schön?

Wo Harley die Optik in Szene setzt, versucht sich Kymco mit ihrem elektrischen Supersportmotorrad SuperNEX am Getriebe. Fast alle E-Antriebe fahren mit fixem Einganggetriebe. Die SuperNEX erhält ein sequenzielles Sechsgang-Schaltgetriebe zu einem E-Motor mit kleinerem nutzbaren Drehzahlband. Der dabei entstehende typische Schalt-Sound wird per Akustikkoppler lauter gemacht, was sie wegen mir für die Serie gern weglassen können. Wenn ich nutzlosen Ballast am Motorrad will, gehe ich zu Touratech, denn da kann ich es mir aussuchen.

Ach, apropos Ballast: In einer Russland-USA-Kooperation taten sich Ural und Zero zusammen, um ein elektrisch angetriebenes Ural-Gespann als Prototypen zu bauen. Der Gedanke: Ins Beiboot passt dann ein Teil der Akkus. Mit diesem Gefährt will Ural jetzt mal touren und Kunden fahren lassen, ob eine relevante Anzahl so etwas haben wollen könnte.

Zwergenaufstand

Den zweiten Teil von Herrn Pierers Aussage kann man bei den kleinen Motorrädern seit Jahren überall sehen. Es stapelten sich auf der EICMA Berge elektrischer Leichtkrafträder, Kleinkrafträder, E-Bikes und Ersätze für 50-ccm-Einzylinderantriebe. Mit Garelli beleben chinesische Investoren eine ganze Marke neu, mit einem komplett elektrischen Portfolio kleiner Zweiräder. KTM stellt mit der KTM SX-E und der Husqvarna EE5 einen Kinder-Crosser in zwei Marken-Designs vor, während es so etwas bei GasGas mit den „eKids“-Modellen schon länger gibt. GasGas zeigte dann auch ein Update ihres elektrischen Trial-Motorrads TXe und die straßenzugelassene 73 kg leichte eContact, mit der man leise seine nähere Umgebung mit oder ohne Asphalt erforschen kann.

Und so ging es weiter. Der CSC City Slicker ist eine elektrische Interpretation der wunderbaren Honda MSX 125. US-Kunden können sie für rund 2000 Dollar vorbestellen. Die Otto Bikes MCR II aus Taiwan spielt dasselbe Thema in minimal größer und schneller. Die Super SOCO TC löst chinesische Einzylinder-Tuckerer elektrisch ab auf dem Gebiet „mit Fransenjäckchen zum Schrebergarten fahren“. Und so weiter und so fort.

The East is Red

Nach all diesen erfreulichen Entwicklungen Ernüchterung bei Piaggio. Seit Jahren warten wir auf die Vespa Elettrica. Jetzt kommt sie endlich, und das 45-km/h-Röllerchen soll 6390 Euro kosten. Ja, Premium und so, aber Hallo? Piaggio? Habt ihr euch mal am Markt umgesehen? Der fleißige Chinese bietet Besseres zum halben Preis an und gar nicht mal so viel Schlechteres zu einem Drittel, das Meiste mit Tauschbatterien zum in der Wohnung laden, denn wir sprechen ja von Stadtfahrzeugen.

Statt solcher üblich gewordener Features will Vespa eine Hybridversion anbieten, die wahrscheinlich wieder Jahre dauert, was uns aber egal sein kann, weil für den Rollerbereich keine Sau zwei Motoren braucht und das System sicher noch mal 1000 Euro extra kostet. Und hier zeigt sich eine Kehrseite: Die chinesische Regierung hat mit Gewalt dafür gesorgt, dass ihre Bevölkerung elektrische Kleinfahrzeuge fährt statt die Zweitakter vorher. Obwohl es noch holpert, wird diese Serien-Kompetenz bald nicht nur Piaggio beklagen. Denn bleiben wir einmal realistisch: Ein brauchbares Elektro-Krad, das nicht das stramme Doppelte eines Benziners vergleichbarer Größe kostet, wird nicht aus Europa kommen, sondern zuerst aus China.