Elektroauto fahren ist besser, aber keine Lösung drängender Mobilitätsfragen

Klartext: Elektroautos sind ein bisschen besser

Wenn wir den von der aktuellen Diesel-Diskussion verunsicherten Autokunden ansehen, finden wir unter vielen anderen Wünschen auch den nach Absolution, den er sich vom Elektroauto erhofft. Ein paar Zeilen lesen kann billiger helfen

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

In der vergangenen Woche riss ich in einem Satz an, dass Elektroautos im Hinblick auf die Zukunftsplanung besser seien als Verbrenner, aber eben nicht so viel besser, dass es ihren medienvirtuellen Status als Lösung aller PKW-Ressourcenprobleme rechtfertigt. Nach einigen enttäuschten Elektroautofreunden sollten wir das näher ausführen. Wer den üblichen Veitstanz mit dem Holzhammer sucht, sei auf zukünftige Kolumnen vertröstet.

Wer forscht?

Jüngst macht eine von der schwedischen Regierung finanzierte Metastudie die Runde. Sie untersucht den Ressourcenverbrauch bei der Herstellung von Traktionsbatterien für PKW. Sie findet dabei das lang Bekannte, nämlich dass diese Batterien auch nach aktuellem Stand der Untersuchungen ressourcenaufwendig hergestellt werden. Sie findet auch Dinge, die vorher vielleicht bekannt waren, aber nicht so explizit benannt, zum Beispiel, dass der Ressourcenverbrauch einer Autobatterie praktisch linear steigt mit deren Kapazität. In der Studie wird nirgends behandelt, wie Elektroautos generell gegenüber Benzinern über ihre Lebenszeit aussehen. Diese Verbindung wurde in den Medien hergestellt, meistens leider in der Form, dass das Elektroauto nur mit der Batterieherstellung betrachtet wurde und der Verbrenner nur mit seinen direkten Laufzeitemissionen, sodass dabei Dinge herauskamen, die uns nichts nutzen außer vielleicht als polemisches Mittel zum gegen Elektroautos Wettern.

Das möchte ich hier vermeiden. Ich besitze kein Auto und wohne in der Stadt. Anders als Pendler habe ich also keine Aktien in dem Thema. Wenn morgen nur noch Elektro-PKW nach Stuttgart fahren dürfen, habe ich davon fast nur Vorteile. Meine Frau müsste zum Beispiel ihren kürzlich erworbenen Mercedes abstoßen, der mich zwar durch sie erfreut, jedoch netto als Mehrarbeit in meinem Leben steht. Was ich hier versuche, ist zu einem realistischen Bild über das Elektroauto beizutragen, gerade für die vielen neuen Interessenten solcher Fahrzeuge. Dass ausgerechnet die schwedische Studie so viel herumgereicht wurde, liegt am diesjährigen Sommerloch, randvoll mit Diesel. Es gab weit vorher viele Studien zu Batterien, sonst hätte die Metastudie ja gar kein Material verarbeiten können. Zwei Zusammenfassungen sollen hier bevorzugt stehen, eine vom Bundesumweltministerium, weil sie für Deutschland berechnet wurde, und eine von der "Union of Concerned Scientists", die dasselbe für die USA taten, denn im strengen Kalifornien fangen viele Umwelttrends auch heute noch an.

Aufwendiger in der Herstellung

Bei der Betrachtung des Ressourcenaufwands wird der Verbrenner genauso wie das Elektroauto in beiden Untersuchungen komplett über die Lebenszeit betrachtet. Zwar braucht das E-Auto den Akku nebst elektrischer Peripherie, dafür sind Getriebe und Motor viel kleiner und die Auspuffanlage fällt komplett weg. Die Untersuchungen bauen dabei hauptsächlich auf Gewichten von Rohstoffen und deren typischen Herkünften und Verarbeitungsmethoden auf, weil konkrete Infos von den Fahrzeugherstellern fehlen. Es sind also geschätzte Werte, denen eine gewisse Fehlerrate zugedacht werden muss.

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit rechnet beim 2015er-Strommix der BRD mit einem Lebenszeit-Vorteil des Elektroautos von 12 Prozent gegenüber modernsten Verbrennern bis 23 Prozent gegenüber Fahrzeugen "ohne Spritspartechnik". Für 2020 extrapoliert die Berechnung die Prozentsätze auf 20 respektive 29 Prozent, weil ein höherer Anteil regenerativer Quellen im Strommix erwartet wird. Das, für alle, denen das Thema gerade schon zu langweilig wird, sind die aktuellen Vorteile eines Elektroautos. Sie sind vorhanden, aber nicht riesig.

Sowohl die US-Studie als auch die deutschen Untersuchungen gehen vom Strommix aus, obwohl sie das E-Auto auch mit erneuerbaren Energien rechnen könnten. Das tun sie, weil ihre Berechnung gültig bleiben muss für einen möglichen Masseneinsatz von Elektroantrieben, für den der erneuerbare Anteil des Strommixes zunächst nicht ausreicht. Wenn die Vorteile also nicht so groß sind, warum pushen dann die Regierungen in Richtung Elektro? Weil jeder künftige Fortschritt im Stromnetz sich unmittelbar auf die vorhandene Flotte auswirkt. Dazu kommt eine Verringerung der lokalen Emissionen. In Stuttgart kann der Bürger auf saubere Luft klagen. China versucht, sein Smog-Problem mit Zäsuren zu lösen. Die erste war ein Verbot der alten, kleinen Zweitakter, die schnell auf riesigen Deponien gestapelt wurden. Die zweite wird der Elektro-PKW sein, bei dem sich China sowieso eine weltweite technische Vorreiterrolle erhofft. Ein Elektro-PKW, der heute in China fährt, verursacht im dortigen Strommix derzeit noch deutlich mehr CO2 als äquivalente Verbrenner. Mit dem Ausbau von Sonnen- und Kernenergie, der dort vorangetrieben wird, ändert sich das schrittweise, so die Hoffnung. Wenn sich Chinas Pendler aber elektrisch in ihre Staus stellen, verbessert sich die lokale Luftqualität in den Ballungszentren, sofern die Stromkraftwerke weit genug entfernt stehen.

Konkreter in den USA

Die deutschen Betrachtungen glätten alle Verbrenner aller Größen und Treibstoffarten in eine Zahl, alle Elektroautos in die andere. Diese Betrachtung führt zu einem Ergebnis, das sich mit den Einzelbeispielen deckt, es hilft aber, sich die amerikanischen Untersuchungen anzuschauen, weil diese sich an gut vorstellbaren, konkreten Einzelbeispielen entlanghangeln, nämlich den im US-Markt verbreitetsten Modellen: Nissan Leaf (24 bis 30 kWh) und Tesla Model S (85 kWh, Heckantrieb).

Sie vergleichen den Leaf mit einer Handvoll Benzin-Kompakter, das Model S mit vergleichbar großen Limousinen. Bei der Herstellung liegt der Leaf mit seiner aus heutiger Sicht eher kleinen Batterie nur etwa (Erinnerung: in die Rechnung gehen Schätzwerte ein) 15 Prozent über einem Benziner-Kompakten wie dem VW Golf. Über eine Lebenszeit von 15 Jahren und 216.000 Kilometern gelangen die Forscher beim Leaf-Rechenmodell zu einem Ergebnis von etwa der Hälfte von CO2-Äquivalenz (Achtung: weitere Schätzungen) typischer Benzin-Kompakter bei (Achtung: Rechenakrobatik) nach Verkaufszahlen nach Bundesstaaten gewichtetem US-Strommix.

Ein Tesla S verbraucht geschätzt 168 Prozent der Ressourcen vergleichbarer Verbrenner-Limousinen bei der Herstellung, weil das Fahrzeug mit großem Akku kommt. Die Berechnung gelangt am Ende desselben angenommenen Lebenszyklus' jedoch wieder zu etwa der Hälfte der Belastung eines E-Autos im Vergleich zum Verbrenner. Grund: große Verbrenner verbrauchen eben auch mehr Treibstoff.

Was fehlt?

Es fehlen vor allem Echtweltdaten. Die Lebenszeitanalyse geht davon aus, dass ein Elektroauto mit einem Batteriepack übers Leben kommt. Aktuelle Erfahrungen stützen diese These, prüfen können wir das jedoch erst, wenn es dazu Daten gibt, auch aus heißeren Gegenden, in denen Akkus viel schneller altern. Am Ende der Analyse steht eine Entsorgung, die den Akku einschließt. Bereits bestehende Programme von Daimler, Nissan und Tesla, die alte Akkus als Stationärspeicher upcyclen, verbessern die Bilanz jedes Autos, das am Lebensende so weiterverwendet werden kann.

Was nicht fehlt: der Ökostrom. Es weiß mittlerweile durch die unendlichen Wiederholungen wohl jeder, dass ein Elektroauto erst in Kombination mit erneuerbaren Stromquellen umwelttechnisch so richtig punktet. Das kann sich mit ökonomischen Überlegungen beißen. Wer jedoch konkret sein eigenes Auto durchrechnen möchte, ob es der Zukunft etwas Gutes tut, macht das sinnvollerweise mit dem hauslokalen Strommix, in den Dinge wie die etwaige PV-Anlage auf dem Dach eingehen.

Was immer fehlt: Durchbrüche in der Technik stellen alle heutigen Berechnungen über Nacht auf den Kopf. Wenn Treibstoffsynthetisierung aus CO2 und Wasserdampf billig genug wird, kann der Verbrenner regenerativ befeuert werden. Wenn jemand Durchbrüche bei der Methanol-Brennstoffzelle erreicht, kann er mit kleinen Batterien die Elektroautorechnung veralten. Wenn automatische Autos kommen, wird sich die Mobilität grundsätzlich ändern, vor allem die Anzahl an Autos in Privatbesitz, die meistens stehen. Und so weiter.

Was soll man machen?

Der Staat kann am meisten tun, indem er in erneuerbare Strom-Infrastruktur investiert. Verbesserungen dort wirken sich auf die gesamte elektrische Fahrzeugflotte aus. Der Endkunde weiß, dass sein Kauf eines Elektroautos nach bestem Wissen schon heute einen Unterschied über die Lebenszeit macht, wenn auch vielleicht einen nicht so großen wie erhofft. Wie vorher gilt für Hersteller und Kunden: Ein kleines, sparsames Auto spart immer mehr Ressourcen als die große Limousine. Vielleicht muss es gar nicht der schicke Tesla Model X sein. Vielleicht reicht ein Ford Focus Electric, um einmal an dessen Existenz zu erinnern. Wer einen modernen Verbrenner hat, sollte sich kein schlechtes Gewissen einreden lassen: Den jetzt verschrotten zugunsten eines E-Autos wäre ökologischer wie ökonomischer Unsinn. Dasselbe gilt für Konstellationen, in denen das batterielektrische Auto nur als zweites Auto funktioniert, also zwei Fahrzeuge betrieben werden. Dann lohnt sich häufig eher der Plug-in-Hybrid. Das Elektroauto wird sicher Teil einer langfristig tragbaren Mobilität sein. Es ist jedoch kein Ziel an sich.

Wer sehen will, wo er sich (so der Wunsch besteht) mobilitätstechnisch am meisten sinnvoll engagieren kann, sollte an einem freien Tag seinen Arbeitsweg anschauen. Es werden nämlich bei Straßenrenovierungen häufiger und besser als früher Fahrradfahrer planerisch berücksichtigt. Es kann also sein, dass der Arbeitsweg viel angenehmer mit dem Fahrrad zu fahren ist als vor 15 Jahren bei der letzten Evaluierung. In Städten mit brauchbaren Öffis gilt das auch für diese oder für intermodale Mobilität (also Dinge wie Auto am Bahnhof abstellen). Vielleicht sind Sie damit sogar jeden Tag pro Richtung 10 Minuten kürzer unterwegs. Die Staus werden nicht kürzer werden. Auch größere Fahrrad-Infrastrukturprojekte kommen langsam, langsam in die Puschen. Ein Stück Niederlande-inspirierter Radschnellweg liegt in Göttingen. Der Ruhrgebiet-Radschnellweg RS1 soll dereinst 100 km lang werden. Ein Blick lohnt sich. Denn ob Elektro oder nicht: Das Auto, das weder hergestellt wird noch fährt, bleibt das ökologischste.

Links:

Schwedische Metastudie

Deutsche Untersuchung (mit weiterführenden Links)

Amerikanische Berechnungen