Cafe Racer sind wie Schneeflocken

Klartext: Kalter Kaffee Racer

Seit zehn Jahren wedeln jeden Tag ein halbes Dutzend Umbauten durch meine Streams, fast alles davon mittlerweile Cafe Racer. Wahrscheinlich ist "Peak Cafe Racer" erreicht, denn sie sind wie Schneeflocken: jede Flocke an sich völlig einzigartig und trotzdem schaut eine aus wie die andere

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Von
  • Clemens Gleich
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Stuttgart, 4. Oktober 2016 – "Hast du den Umbau von Demundem gesehen?", fragt der aufgeregte Mann. Nein. Muss ich auch nicht. Hat es eine Seventies-Höckersitzbank? Ja. Hat es anfängergebrutzelte Schweißnähte? Ja. Hat es einen Rundscheinwerfer zwischen Lenkstummeln? Ja. Fährt es scheiße? Ja. Vor einiger Zeit nahm sich Friedrich Liechtenstein seinen Bart ab, denn er spürte das, was Sozialforscher kurz danach aus ihren Daten heraus vermuteten: Peak Beard war erreicht. Wie bei jedem Peak können wir natürlich nur rückblickend halbwegs gute Aussagen zu deren Zeitpunkten treffen, doch ungefähr wird es schon stimmen: Wenn du dir jetzt noch einen Bart stehen lässt, kannst dich ganz sicher nicht mehr damit von der Masse absetzen. Und Peak Cafe Racer Revival liegt entweder bereits hinter uns oder ungefähr unter uns.

Es scheint einfach der natürliche Lauf der Dinge. Eine Mode setzt sich durch und ihre Elemente finden sich überall wieder, als Identifikation mit der Szene, und jede Identifikation kostet Individualität. Am Anschlag steht die Uniform. Damals, als die Umbauszene die Streetfighter feierte, musste ein Umbau ein möglichst steiles Heck haben, einen möglichst breiten Lenker, einen möglichst fetten Motor und eine Einarmschwinge aus einer alten VFR, weil man die fast überall reinfriemeln kann. Für Außenstehende sahen die Dinger alle gleich aus. Es hält sich allerdings bis heute eine Szene, die diese Kunstform weiter pflegt, inklusive eigenem Magazin ("Fighters"). Sie steht nur weiter abseits.

90 Prozent Kunst, 10 Prozent Fahrzeug

Mein persönliches Peak-Cafe-Racer-Erlebnis war der aktuelle Titel der MO. Zu sehen ist ein Umbau einer Harley-Davidson Sportster für mit Steuern deutlich über 30.000 Euro, der zu 90 Prozent Szenekunstobjekt und 10 Prozent Fahrzeug ist. Alle Häkchen auf der Kaffeehausliste konnten abgehakt werden: Auspuff-Tape, Höcker, Stummel, Handlinierung, Garagen-Finish. Fahren dagegen kann man wohl eher abhaken. Ein Kennzeichenhalter ist ebensowenig vorgesehen wie ein Rücklicht. Und wer einen Tacho will (Spalter!), kriegt ihn nur um 90° verdreht links am hinteren Zylinderkopf angeschraubt. Die "Balboa" ist ein Motorrad wie ein Satz von Donald Trump: Erst lacht man über die gelungene Verarsche, dann kriecht der eisige Schauer der Erkenntnis über den Rücken: Scheiße, der meint das ernst!

Zu diesen Nichtfahrzeugen hat sich aus diesen und anderen Gründen eine Szene der Sprintrennen entwickelt, eine ohne Zeitmessung, in der immer zwei Fahrer gegeneinander antreten. Der Schnellere kommt eine Runde weiter, der Langsamere ist raus. Irgendjemand gewinnt irgendwann. Das Format kennt man auch aus "The Fast and the Furious", und die haben es (hoffentlich) irgendwann einmal auf der Straße gefunden. Mit den Filmen gemein haben die Cafe-Sprintrennen, dass der Sportgedanke wie der Fahrgedanke auch hier hinter der Mode anstehen muss. Deshalb finden sie pro Nation nur etwa zweimal im Jahr statt, wenn nämlich eine Infrastruktur aus genügend Friseuren außenrum aufgebracht werden kann.

Die Ergebnisse müssen unbedingt auf Kreidetafeln stehen. Die Veranstalter müssen zwingend mindestens zehn Meter Bart zusammenbringen. Die Starterin muss, da gibt es keine Diskussion, aussehen wie eine Rollschuhkellnerin aus den Fünfzigern ohne Rollschuhe. Wer die Stimmung dort nachvollziehen will, stelle sich ein Fußballturnier vor, in dem geschossene Tore weniger wichtig sind als das Material des Balls, die Fußführung des Schiris und dass die Outfits der Spieler möglichst "authentisch" aussehen wie in den Zwanzigerjahren. Kurz: eine Gaudi, ungeeignet für ernsthafte Sportler, denn sie hat nicht viel mit Sport zu tun. Also ist die Balboa auch kein Fahrzeug oder Sportgerät, sondern in erster Linie ein recht teures Stück Industriekunst.

Unsere Werkzeuge zu verzieren gehört zu den Dingen, die uns menschlich machen. Die wirklich spannenden Ausprägungen dieser Menschlichkeit finden sich jedoch in neuen Szenen. Ich erinnere mich, als mich Christian Persson auf die erste deutsche Meisterschaft im Case-Modding schickte. Da ging es darum, einen vollwertigen PC entweder in die abstrustesten Dinge einzubauen (Gitarren, Bierkisten, Mikrowellenherde, Särge, Toaster, Tischplatten ...) oder andersherum abstruse Dinge in ein PC-Gehäuse zu bauen (Aquarien, Fenster, Dioramen, Staubsauger, bunte Lampen ...). Mir fallen bis heute auf Anhieb ein Dutzend interessanter Basteleien ein, denn die Szene war noch jung. Sie lief über vor auf interessante Weise dämlichen Ideen. Am besten gefiel mir eine hingerotzte Übertakter-Wasserkühlung. Der Radiator/Ausgleichsbehälter war ein offener Putzeimer, in dem auch die Eheim-Auqarienpumpe im trunkenen Winkel lag wie hereingeworfen.

Alle ganz schön, ganz nett, ganz egal

Wenn ich jedoch ein Dutzend interessanter Cafe Racer aufzählen sollte, müsste ich passen. Ich finde die alle ganz schön, ganz nett, ganz egal. Mir hat Patrick Sauters und Jens Krafts Güllepumpe für die Rennveranstaltung "Built not Bought" gefallen, denn sie lief genau so lange, wie das Rennen plus der obligatorische Burnout danach dauerte. Dann war sie Klump. Wenn Gott ein Motorrad baute, dann wie die beiden: Es erfüllt seinen Lebenszweck und vergeht unmittelbar danach, wie der Schmetterling. Aber auch hier ist die Geschichte das Interessante. Wie das Teil aussah, weiß ich nur noch vage. Es war eben ein Cafe Racer und eine Güllepumpe. Damit kann es sich wohl jeder vorstellen, der in den letzten Jahren irgendwann auf Bikeexif war.

Das Problem aller Retro-Kunst liegt auf der Hand: Man kocht etwas neu auf, das sowieso schon einmal da war. Das altert einfach rapide, denn es war ja schon vor dem Retro-Neuanfang bekannt. Die Impulse des Cafe Racers setzten wilde Jungs in den Sechzigern. Das zelebrieren Maschinen wie Patricks und Jens' Gottesgülle retrospektiv. Die meisten Neo Cafe Racer gehören jedoch einem Cargokult an, der ein Motorrad optisch nachbaut, ohne wissen zu wollen, dass ein Kraftrad eigentlich ein Fahr-Zeug ist.

Wir können die Cafe-Racer-Retro-Mode seit über zehn Jahren beobachten. In zehn bis zwanzig weiteren Jahren stehen die Dinger dann mit etwas Glück weiterhin wie die Streetfighter in ihren eigenen Nischenmagazinen. Die Karawane wird weitergezogen sein. Woran könnte sich also der Fahrzeugkünstler der nahen bis mittelfernen Zukunft versuchen, um mit seiner Arbeit hervorzustechen statt in der Lawine von Cafe Racern unterzugehen? Denn Streetfighter oder Cafe Racer sind wie Schneeflocken: jede Flocke an sich völlig einzigartig und trotzdem schaut eine aus wie die andere.

Elektrokrad-Eigenbauten

Ich fände Elektrokrad-Eigenbauten erstens sehr interessant und zweitens könnten sie bald erschwinglicher werden als die Güllepumpe mit ihren aus Bikeexif-Gründen steigenden Preisen. Ein ganz neuer Antrieb muss da noch eine Gestaltungssprache finden! Die Komponenten kosten entsprechend klein dimensioniert neu weniger als bei Hubkolbenmotoren und können für Experimente im Modellbauhandel erworben werden. Und bei meinem Händler steht eine KTM Freeride E, die jedes Jahr tausend Euro weniger kostet, weil sie keiner haben will. Ich warte also darauf, dass die einer kauft und fürs Glemseck umbaut. Wahrscheinlich wird's dann wieder ein Cafe Racer.