Klartext: Lenken lernen

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Die paradoxe Lenkung eines Motorrads eignet sich jedoch schlecht für leichte, billige Servoassistenz. Und gerade diese Lenkung kennt ein Großteil der Motorradfahrer nur intuitiv, nicht aber bewusst. Wieder für die nur-Auto-Leute: Stellen Sie sich vor, ein großer Teil der Autofahrer wüssten nicht, dass sie am Lenkrad drehen für einen Lenkvorgang; sie würden Dinge sagen wie „Ich lenke, indem ich mich da rüber lehne“ (und damit unbewusst am Lenkrad drehe).

Lenkimpulse in der Ausbildung

Das klingt übertrieben und erfunden, entspricht aber der Realität in der Einspurwelt. Aus diesem Grund hat es der lange untersuchte Lenkimpuls vor einigen Jahren endlich in die Fahrschulausbildung geschafft. Vorher war es kein Bestandteil der Ausbildung, wie man ein Motorrad wirklich lenkt – auch das unvorstellbar beim Auto.

Der Grund ist Ignoranz: Es ist noch gar nicht so lange her, da wussten hauptsächlich Ausbilder für Motorrad-Rennfahrer um den Lenkimpuls, weil der kurze Hebel der Lenkstummel zusammen mit den schnellen nötigen Winkelgeschwindigkeiten beim Umlegen in Wechselkurven den Lenkimpuls durch seine schiere Größenordnung bewusst machen: Bei hohen Geschwindigkeiten braucht es über 100 Nm Drehmoment.

Der Hintern lenkt nicht

Keith Code war hier einer der Vorreiter. Dann kamen Neugierige wie Dr. Bernt Spiegel und untersuchten, was an der Wahrnehmung „Ich lenke mein Motorrad durch Gewichtsverlagerung“ dran ist: nicht viel. Das funktioniert nur bei sehr niedrigen Geschwindigkeiten überhaupt, zeigten Versuche mit fixierter Lenkung oder auch schlicht ohne Hände am Lenker. Im Trial-Fahren funktioniert also Gewichts-Lenkung (langsam, auf sehr leichten Maschinen). In Hockenheim nicht. Dort verlagert der Fahrer sein Gewicht nach innen, um Schräglage zu sparen. Erst nach langer Zeit akzeptierte zumindest die Einspur-Pädagogik, dass ein Motorrad wirklich am Lenker gelenkt wird statt am Sitz per herumrutschendem Hintern. „Warum sträubte sich die Szene so?“, mag sich der Autofahrer fragen. Weil du, um ein Motorrad nach links einzulenken, den Lenker nach rechts drehen musst. Da wickle erst einmal dein Hirn herum.

Problemnetze

Deshalb fährt da draußen ein großer Teil der Population ohne Bewusstsein darüber herum, wie er lenkt. Das geht durchaus sehr zügig, vor allem beim typischen Bergfahren mit typischerweise hohen Anteilen niedriger Kurvengeschwindigkeiten, die entsprechend geringe Lenkimpulse verlangen. Es zeigt sich aber immer wieder bei unnötig scheinenden Stürzen, dass der unbewusste Impuls für schnelle Korrekturen in der Kurve selbst dort nicht reicht. Und obwohl beim Lenken der größte Klumpen vermeidbarer Unfälle liegt, steht es nicht alleine da als Unzulänglichkeit.

Trotz hoher, stetig steigender ABS-Quote bremsen Motorradfahrer bei Gefahren häufig nicht voll. In Kurven dann gar nicht, denn eine Kurvenbremsung stellt das Motorrad auf, was es in den Gegenverkehr führt. Da müsste man wieder lenken können. Dann die vielen Fußverletzungen aus Nichtbeherrschung der Langsamfahrt, vor allem bei schweren Tourern. Es gibt genügend Baustellen.

Fahrsicherheits-Wochenende ist nicht die Lösung

Wenn die Politik hier was tun will, könnte sie Ausbildung fördern. Die kann nicht in einem einzelnen Kurs stattfinden, denn Training ist ein Prozess, der aus vielen tausend Wiederholungen besteht, nicht aus einem Fahrsicherheits-Wochenende alle zehn Jahre. Der Kurs schafft lediglich den Anstoß, liefert die nötige Anleitung. Aus demselben Grund kann sie nicht in der Fahrschule stattfinden, sonst müsste die Ausbildung drei Jahre dauern.

Die Fahrschule könnte im aktuellen Umfang statt internationaler Peinlichkeiten wie „Bremsung mit Ausweichen aus 50 km/h“ (nachweislich fatal als Anweisung für Motorradfahrer) mehr Bedienungs-Grundlagen lehren, wie mit dem Lenkimpuls geschehen. Danach stellt die Behörde den Führerschein aus. Und dann kann sie ruhig einmal dazu schreiben, was schon immer galt: „Das ist deine Lizenz zum eigenständig weiterlernen.“ Ich weiß, dass fahrerische Unzulänglichkeit nicht in unser aller Selbstbild als etwas dickere Valentino Rossis passt. Sehen wir es doch so: Herr Rossi hat auch gelegentlich geübt, bevor er Weltmeister wurde. (cgl)