Das Auto der Zukunft ist vernetzt – und Angriffsziel für Hacker und Viren

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Mehr Drehmoment per Internet, Glatteiswarnung via Datenfunk: Das Auto der Zukunft ist total vernetzt, beliebig konfigurierbar – und bietet ein neues Angriffsziel für Hacker

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Inhaltsverzeichnis

Welches Szenario hätten Sie denn gern – das smarte oder lieber jenes zum Fürchten? Die intelligente Variante der Zukunft sollte ungefähr so aussehen: Spätestens bei Ihrem übernächsten Autokauf wird Ihnen Ihr Händler nicht Fußmatten als freie Draufgabe anbieten, sondern ein Softwarepaket, mit dem Sie Ihr Auto je nach aktuellem Benzinpreis in die sportlichere oder verbrauchsgünstigere Richtung trimmen können.

Mehr noch: Vor dem Urlaub docken Sie an der Software-Tankstelle an, laden sich die entsprechenden Navigationsdaten, ein paar Filme für die Kids, die ESP-Regelung für den Anhänger und etwas mehr Drehmoment, weil es in die Südtiroler Berge gehen soll. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie auf der Fahrt dorthin in einen Unfall verwickelt werden, ist relativ gering: Fahren Sie zu schnell oder zu nah auf, stemmt sich Ihnen dank Sensor-Komplettausstattung das aktive E-Pedal entgegen, droht hinter der nächsten unübersichtlichen Kurve ein Ölfleck, richten sich dank Car-to-car-Kommunikation die Bremsen schon für ein schärferes Manöver zurecht (das im Ernstfall automatisch ausgelöst wird).

Angriff von außen

Die total vernetzte Auto-Zukunft könnte sich aber auch so darstellen: Beim Laden der Drehmoment-Software fangen Sie sich ein Virus ein, das kurz darauf Ihre Motorsteuerung lahm legt. Ihr verärgerter Nachbar loggt sich per Bluetooth in Ihr Navigationssystem ein und hinterlegt bei Ihrem Lebenspartner eine Liste, wann Sie wo welche Restaurants besucht haben (mit wem, müssen Sie dann selbst erklären); der Mechaniker Ihres Vertrauens übermittelt die aus dem zentralen Steuergerät gezogenen Daten für eine kleine Prämie an Ihre Versicherung, die deshalb exakt weiß, wo Sie wie schnell gefahren sind, kurz vor dem Unfall; böse Jungs greifen am Wochenende vom Straßenrand aus in die Car-to-car-Kommunikation ein, nach dem Prinzip: „Stau machen“ statt „Stau schauen“.

Software bestimmt Charakter

Zwei Szenarien, ein Trend: Das Automobil befindet sich im größten technologischen Umbruch seit seiner Erfindung. Nicht mehr die Mechanik entscheidet über die Qualität und den Charakter eines Fahrzeugs, sondern die Intelligenz seiner Software. Das Auto wird zur programmierbaren Plattform. Diese Revolution betrifft nicht nur die Technik, sondern ebenso Strukturen der Autoindustrie, die Entwicklungsprozesse, die Geschäftsmodelle und am Ende der Wertschöpfungskette auch den Kunden: Die Software wird zum zentralen Feature, mit dem sich ein Auto am Markt profiliert, differenziert und mit dem man gutes Geld verdienen kann.

Inflationäre Zunahme an Software und Steuergeräten

Schon heute gilt: Was einen Audi TT von einem VW Golf, einem Seat Altea und Skoda Octavia unterscheidet, ist zu einem guten Teil in der Software hinterlegt. Weder die Verbrauchs- noch die Emissionswerte moderner Motoren wären ohne umfangreiche und komplexe Softwaresteuerung denkbar. Man muss noch gar nicht ESP, Spurhaltesysteme oder Distanzkontrollen bemühen: Selbst Tür auf- und zumachen ist längst ein hochkomplexer und vernetzter Vorgang. Allein in den letzten zehn Jahren hat sich der Speicherbedarf für einen gut ausgestatteten Oberklassewagen von einem auf 80 MByte und mehr vervielfacht, schon werden auch 10 GByte für zukünftige Fahrzeuggenerationen angekündigt. Im selben Zeitraum ist die Anzahl der vernetzten Steuergeräte von fünf auf über 70 gestiegen.

Vernetzung birgt Kommunikations-Chaos

Die gegenwärtige Systemarchitektur ist allerdings längst an ihre Grenzen gestoßen. Das belegen die grausamen Ausfallstatistiken der letzten Jahre ebenso wie der riesige Einsatz, mit dem die besonders betroffenen deutschen Premium-Hersteller derzeit versuchen – mehr oder weniger im Nachhinein –, den Qualitätsstandard wieder auf ein vertretbares Niveau zu heben. Was zwar durchaus gelingt, für die Zukunft trotzdem keine Perspektive bietet, weder aus Sicht der Techniker noch aus jener der Manager, weil ebenso aufwendig wie kostspielig.

Steuergeräte integrieren

Die Schwierigkeiten sind historisch gewachsen. Steuergeräte wurden entwickelt und zusammengefügt wie früher Getriebe, Motor und Antrieb: weit gehend unabhängig voneinander. Manfred Broy, Professor für Informatik an der TU München: „Im klassischen Automobilbau war der Integrationsaufwand – sieht man von ein paar geometrischen Vorgaben ab – relativ gering.

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Heute ist er sehr hoch, weil die Vernetzung eine oft nicht vorhersehbare Eigendynamik entwickelt.“ Die einzelnen Steuergeräte funktionieren im Normalfall einwandfrei, in der Kommunikation mit anderen kann es aber zu schweren Missverständnissen kommen, weil schon im Entwurf der Blick auf das Gesamtsystem und sein Verhalten fehlt.

Ordnung im Software- und Schnittstellen-Dschungel

Inzwischen versuchen die Hersteller, Versäumtes nachzuholen und eigenes IT-Know-how aufzubauen. BMW etwa hat – wie andere Hersteller auch – ein eigenes Tochterunternehmen gegründet, die BMW CAR IT, das zwar nicht in einer Garage, aber immerhin in einem Hinterhof am Petuelring in München untergebracht ist. Ein Team von rund 40 auffällig jungen Mitarbeitern sitzt hier vor den Rechnern. Dass es sich um eine BMW-Zweigstelle handelt, würde man nicht gleich erkennen: Keine einschlägigen Poster an den Wänden, keine Modellautos auf den Schreibtischen. „Wir begreifen uns hier als Satellit, der beobachtet, was in der IT-Welt passiert beziehungsweise passieren sollte, und was wir zu BMW und in die Serienfertigung transferieren können“, sagt Leiter Harald Heinecke.

FlexRay in Serie

Der Erfolg ist offensichtlich, trotz eines neuen M5, der seinen Fahrer mit 297 anwählbaren Fahrdynamikprogrammen allein lässt: BMW gilt als jenes Unternehmen, das in Sachen IT am weitesten ist. BMW hat im X5 den neuen FlexRay-Bus bereits in Serie, will auch bei der Einführung des Autosar-Standards die Pole-Position einnehmen. Der zeitgesteuerte FlexRay-Bus soll einen verlässlichen Zeitplan und mehr Bandbreite in der Kommunikation schaffen (entscheidend vor allem für zeitkritische Anwendungen wie zum Beispiel zukünftige X-by-wire-Funktionen), Autosar Ordnung im Software- und Schnittstellen-Chaos. „Beides ist aber nicht zur Behebung einer Fehlerlandschaft gedacht, sondern als Vorausstandardisierung für zukünftige Aufgaben“, betont Heinecke.

Autosar (Automotive Open System Architecture) ist die Formel, mit der die Hersteller ihre Software-Probleme in den Griff bekommen wollen. Die Entwicklungspartnerschaft, die mit fast allen wichtigen Herstellern, Zulieferern und Sublieferanten besetzt ist, will – bis knapp vor der eigentlichen Funktionalität wie ESP- oder Klimaregelung – einen offenen und gemeinsamen Standard für die Software im Auto schaffen. „Bisher haben wir alle auf Software-Ebene proprietäre Lösungen entwickelt“, erklärt Heinecke den Stand der Technik. Und zwar bis in die Details wie Netzwerkmanagement oder CAN-Bus-Treiber. Die Konsequenz: Jeder Hersteller, jeder Zulieferer musste für jede Neuentwicklung immer wieder ganz von vorn anfangen.

Gemeinsamer Standard gegen Wildwuchs an Steuergeräten

Aus Kostengründen konzentrierte sich die Autoindustrie lange Zeit auf in der Massenproduktion preiswerte Mikroprozessoren, deren Software der jeweiligen Hardware speziell auf den Leib geschrieben wurde. Änderte sich die Hardware, musste und muss umprogrammiert werden, ein eher fehleranfälliges und durchaus kostspieliges Verfahren, schließlich muss Software nicht nur geschrieben, sondern auch gründlich getestet werden. Zudem wurde oft der gerade günstigste Prozessor für genau die eine Funktion, die es zu implementieren galt, eingekauft – unabhängig davon, dass die Entwickler sich womöglich vollständig neu in Hardware und Programmierung einarbeiten mussten.

Diese Insellösungen mit typischerweise nur einer einzigen Funktionalität führten schließlich zum Wildwuchs an Steuergeräten mit unterschiedlichsten Prozessoren, der nun in der Vernetzung Probleme macht. Und: Ein gut ausgestattetes Auto fährt heute mit drei Gierratensensoren durch die Gegend, einer für das ESP, einer für die Navigation, einer für die Abstandsregelung.

Mit dem – vorläufig nur für Mitglieder – offenen Autosar-Standard soll nun alles besser werden: Das wichtigste Ziel ist die Trennung von Hard- und Software, mit der Absicht, Software wiederverwendbar zu machen. Der gemeinsame Standard soll die Basissoftware, das Runtime Environment als Kommunikationszentrum für alle Software-Komponenten eines Steuergeräts und die Schnittstellen zur konkreten Anwendung umfassen. Das Motto: „Cooperate on standards, compete on implementation.“ Wann und wie stark ESP zu regeln beginnt, bleibt natürlich Gestaltungshoheit der einzelnen Hersteller.

Mehr Entwicklungskapazität, weniger Fehler

Auf diese Weise hofft man, mehrere Probleme mit einem Schlag zu erledigen: Erstens gewinnt man Entwicklungskapazität, wenn nicht jeder für jede Neuentwicklung zurück zum Start muss. Zweitens darf man damit rechnen, dass die gemeinsame Software weit gehend fehlerfrei läuft, allein deshalb, weil Fehler viel schneller gefunden werden, wenn sie von allen gemeinsam gesucht werden. Mit den standardisierten Schnittstellen gewinnt man drittens Bewegungsfreiheit im Netzwerk, weil neue Software auf jedem Steuergerät untergebracht werden kann, wo ausreichend Speicherplatz frei ist. Damit kann die Anzahl der Steuergeräte reduziert werden, zu viel sollte man aber in dieser Hinsicht nicht erwarten.

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Heinecke bestätigt, „dass die Anzahl der Steuergeräte zu halbieren allein kein Ziel sein kann, denn das oberste Ziel sind immer noch – leider, muss ich hinzufügen – möglichst geringe Kosten.“ Dennoch arbeiten im 5er oder 3er BMW bereits höher integrierte und vergleichsweise weniger Mikroprozessoren. Am Ende sollte auch mehr Bewegung in den gesamten Markt kommen, weil der Wechsel zwischen den Geschäftspartnern wesentlich einfacher wird.

Bis zur vollen Implementierung von Autosar würde es schon helfen, sich auf einen einheitlichen Stecker-Standard zu verständigen, die nach wie vor häufigste Ursache für Elektrik-Defekte.

Mehr Arbeit im Vorfeld

„Gemeinsame Schnittstellen lösen den statischen Teil des Problems, nicht den dynamischen“, sagt Markus Hardt vom Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik (ISST), das ebenfalls im Autosar-Konsortium vertreten ist und in diesem Rahmen an der modellbasierten Software-Entwicklung für automobile Anwendungen arbeitet. Ziel ist, die Eigendynamik eines Systems schon im Vorhinein darstellen, simulieren und überprüfen zu können, und nicht erst im Nachhinein durch aufwendige Testprozeduren Fehler herauszufiltern. „Wir brauchen mehr Up-Front-Development“, sagt Helmut Fennel, Leiter der Software- und Regeltechnik bei Continental. Oder anders formuliert: Um sich die mühsame Nacharbeit zu ersparen, soll mehr Leistung in die Vorarbeit fließen. Die Herausforderung ist, komplexe Funktionen in ein abstraktes Modell zu gießen, sowohl die einzelnen Software-Komponenten als auch das Gesamtsystem, Funktion und Integration am Rechner zu simulieren, noch bevor die erste Zeile Code geschrieben wurde.

Neue Tools für Entwurf und Simulation

Nach wie vor wird Software für das Auto häufig mit der Hand geschrieben, um Speicherplatz zu sparen, „wir stehen aber an der Schwelle zu Autocode-Generierung, die teilweise schon realisiert wird“, so Fennel. Klar ist auch, dass die Simulation so validiert werden sollte, dass sie der Wirklichkeit entspricht, eine Aufgabe, die der Zulieferer nicht allein erledigen kann. „Dafür brauchen wir von den Herstellern die entsprechenden Daten und Simulationsmodelle.“ Erst recht, wenn es immer weniger Sinn hat, die einzelne Komponente allein zu testen, weil alle Komponenten zusammenspielen und zusammenwachsen. Binnen drei Jahren würden sich die neuen Tools für Entwurf, Simulation und Codegenerierung durchgesetzt haben.

Modernes ABS-System mit Mikroprozessor

Sagt jener Mann, der diese Entwicklung wesentlich mit prägte: Helmut Fennel hat 1984 – mit einem Intel 8051 – das erste Mikroprozessor-basierte ABS-System und damit eine der ersten komplexeren Anwendungen dieser Art im Auto realisiert, zuerst im Lincoln Continental, kurz darauf im Ford Scorpio. (Um möglichen Leserbriefen zuvorzukommen: Das erste ABS von 1978, entwickelt von Bosch, eingesetzt bei Mercedes, war eine maßgeschneiderte elektronische Schaltung, aber kein frei programmierbarer Chip.) Die Zahl seiner Mitarbeiter – heute rund 600 – hat sich in dieser Zeit ungefähr um den gleichen Faktor erhöht wie der Speicherbedarf der Bremsen: um das 250fache, von 4 KByte auf 1 MByte. Neben den Standards wie ABS, ASR und ESP hilft ein modernes Bremssystem beim Anfahren am Berg, trocknet die Scheibe bei Regen, erhöht vorsorglich den Bremsdruck, wenn man das Gaspedal unüblich schnell löst, beherrscht das sanfte, ruckfreie Ausrollen, um nur ein paar von der Software verwaltete Features zu nennen. Eine entsprechende Schnittstelle erlaubt der ESP-Regelung außerdem, sanft in das Lenkrad zu greifen.

Trend zur totalen Vernetzung

Die erste Vernetzung der Bremse fand Ende der Achtziger statt, als mit der Antriebsschlupfregelung ein Link zur Motorsteuerung gelegt wurde. Fünfzehn Jahre später wird die totale Vernetzung vorbereitet. Fennel sieht drei große Trends: „Erstens die umfassende Fahrwerksregelung, bei der Bremse, Federung und Lenkung zentral gesteuert werden. Zweitens die Vernetzung und Integration von aktiver und passiver Sicherheit zu einem Gesamtsystem und drittens ein wesentlich komplexeres Längsdynamikmanagement, das die Steuerung und Verteilung der Brems- und Antriebsmomente übernimmt, unverzichtbar etwa für die Anforderungen des modernen Hybridantriebs.“

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Ansätze gibt es längst: Die neue Mercedes S-Klasse verknüpft aktive Distanzkontrolle, aktiven Bremsassistenten und aktiven Insassenschutz zu einem Gesamtsystem. Ausgestattet mit einem Nah- und einem Fernbereichs-Radar warnt die Limousine ihren Chauffeur, wenn ein Auffahrunfall droht, regelt vorsorglich den richtigen Bremsdruck ein, strafft die Sitzgurte und rückt die Sitze in optimale Crashposition. Bremsen muss der Fahrer in diesem Notfall noch selbst. Noch – bei entspannter Reisegeschwindigkeit kann diesen Job bereits die Distanzkontrolle übernehmen.

Geregelte Fahrdynamik

BMWs M5 gibt wiederum ansatzweise Auskunft darüber, was mit geregelter Fahrdynamik gemeint sein könnte. Drei Motordynamikstufen (400 PS, 500 PS und 500 PS Sport), insgesamt elf verschiedene Schaltprogramme (fünf für den Automatik-, sechs für den Handschaltmodus), drei ESP-Stufen (aus, ein, ein mit Schlupf) und drei Dämpferstufen des Fahrwerks (Komfort, Normal, Sport) ergeben alles in allem 297 Varianten des flotten Weiterkommens. Klar, dass dieses Konzept nur funktioniert, wenn Getriebe-, Motor- und ESP-Regelung eng miteinander verzahnt sind und man großes Vertrauen in die Stabilität des CAN-Busses hat.

ESP-Software ermöglicht 28.000 verschiedene Kombinationen

Trotzdem werde das wahre Potenzial bei weitem nicht genutzt, „da ist noch eine Menge Spielraum“, so Fennel. Das Problem sei der traditionelle Entwicklungsprozess, die Komponenten werden vertikal nebeneinander entwickelt und im Nachhinein verbunden. „Was wir brauchen, ist mehr Horizontalität, mehr interdisziplinäre Querverbindung, ein ganzheitliches System-Engineering. Wir müssen mit unseren Prozessen näher an jene der Flugzeugentwicklung, ohne aber die unterschiedlichen Time-to-market-Zyklen aus den Augen zu verlieren.“ Wozu Software fähig ist, zeigt ein vergleichsweise unspektakuläres Beispiel: Der von Continental für die Golf-Plattform entwickelte ESP-Regler kann mit einer einzigen Software theoretisch 28.000 verschiedene Kombinationen bedienen, was die Spezifikation von Fahrwerk, Motor, Gewicht oder Bremsen der einzelnen Modelle betrifft. Tatsächlich genutzt werden nur rund zwanzig, aber man bekommt eine Ahnung, was an Variantenreichtum, Individualisierung, Modellierung und Konfigurierbarkeit des Fahrens möglich ist.

Leistung per Datenstick

Die Entwicklung eines Autos wird zu einem kontinuierlichen Prozess werden. Wie es heute Facelifts gibt, wird es in Zukunft Software-Updates geben, Extras wie ein Parkassistent müssen nicht beim Autokauf bestellt, sondern können jederzeit freigeschaltet werden. In den Seitenarmen eröffnen sich neue, reizvolle Geschäftsfelder: Der Komfortbereich etwa bietet ein riesiges Potenzial, von zeitlich befristeten Navigationsdaten und Telematikdiensten bis zum Film- und Musikdownload für die Kids im Fond. Bremsenexperte Fennel kann sich vorstellen, speziell auf die jeweilige Reifenmarke abgestimmte Programme anzubieten, um bei Winterreifen die Traktion zu verbessern, bei Sommerreifen den Bremsweg. Ein herkömmliches Bremsensystem muss im Normalfall mit unterschiedlichsten Reifen und unterschiedlichsten Reibwerten zurechtkommen. Kennt man aber den Reibwert des konkreten Reifens, kann man den idealen Bremsdruck schneller einregeln und den Bremsweg verkürzen, weil das System nur den Reibwert des Untergrunds berechnen muss.

Für Christian Reinema, Leiter der Technik und Entwicklung bei Abt Tuning, ist es wiederum denkbar, über die Homepage zusätzlich Leistung für die Golfs und A4s dieser Welt anzubieten, auch zeitlich begrenzt, für den Ausflug zur Nordschleife. Die entsprechende Schnittstelle vorausgesetzt, braucht es nicht mehr als einen Datenstick, um ein paar Mehr-PS nachzuladen, zehn bis zwanzig Prozent, will man die Abgasnormen einhalten. Umgekehrt könne man bei fünf Litern serienmäßigem Durchschnittsverbrauch noch bis zu maximal einen Liter sparen, „sofern man ein etwas schlechteres Ansprechverhalten in Kauf nimmt“, sagt Reinema. Das Kundeninteresse für derartige Eingriffe ist allerdings überschaubar.

Fahrer lenkt, Auto denkt

Der totalen Vernetzung nach innen folgt jene nach außen: Unsere Autos werden in Zukunft sowohl untereinander als auch mit der Infrastruktur, zum Beispiel Verkehrszeichen, kommunizieren. Ende letzten Jahres haben sich Audi, BMW, DaimlerChrysler, Fiat, Renault und Volkswagen zu einem Konsortium zusammengeschlossen, das einen gemeinsamen Standard für die Car-to-car-Kommunikation erarbeiten will. Die Idee ist, Informationen über Witterung, Verkehrsfluss und Straßenzustand von Auto zu Auto weiterzureichen, jedes Auto kann dabei als Sender, Empfänger oder Router eingesetzt werden.

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Der Austausch soll über Ad-hoc-Netze auf Basis von Wireless-LAN-Technologie erfolgen. Ihr Auto wird nicht nur wie heute schon besser bremsen, lenken und schalten, sondern auch die Verkehrslage besser einschätzen können als Sie selbst. Einmal mit allen Sensoren und Aktuatoren ausgestattet – und eine neue S-Klasse ist davon nicht mehr weit entfernt –, erledigt den Rest des Fahrens die Software des Autos.

Datenzugriff von Außen

Das Braunschweiger Software-Unternehmen Nordsys arbeitet bereits an einer Programmschnittstelle namens Vehicle Application Programm Interface, die den drahtlosen Zugriff auf die Steuergeräte eines Autos von außen und unabhängig vom jeweiligen Busprotokoll möglich machen soll. Eine Entwicklung, die für den Einsatz in Mähdreschern dem Serieneinsatz schon ziemlich nahe ist, dort genutzt wird, um – abhängig von äußeren Bedingungen wie Luftfeuchtigkeit oder Bodenbeschaffenheit – die Maschine so einzustellen, dass sie den besten Ernteertrag abwirft. „Das Prinzip ist auf Pkws ebenso übertragbar“, sagt Firmenchef Manfred Miller, „etwa für die Car-to-car-Kommunikation. Wir sind gerade dabei, eine Glatteiswarnung für nachfolgende Fahrzeuge zu entwickeln.“

Telematik-Dienstleistungen

Nichts ist unmöglich, die entsprechende Software vorausgesetzt. Etwa das Schließen des Verdecks vom PDA aus, wenn es überraschend zu regnen beginnt. Oder Car-to-service-Dienste, die über eine Telematik-Box Defekte automatisch an die Werkstatt funken. Oder umgekehrt: Sofern es sich um einen Softwarefehler handelt, könnten sich die Hersteller in Zukunft den einen oder anderen teuren Rückruf ersparen. Oder weniger technisch: Avia, Englands größte und weltweit sechstgrößte Versicherungsgesellschaft, bietet seit 2004 Realtime-Autoversicherungen an: Die Höhe der Prämie errechnet sich aus der Anzahl der gefahrenen und per Telematik an die Versicherung übermittelten Kilometer, interessant für Menschen, die zwar ein Auto brauchen, aber wenig fahren und wenig empfindlich sind, was Privatsphäre und Datenschutz betrifft.

Prämien nach Fahrstil

„Dieses Businesskonzept kann man ausbauen“, sagt Heinz Hubert Weusthof, Bereichsleiter für On-demand-Technologien bei IBM, einen Schritt weiter „zum Beispiel durch die Einbeziehung des Fahrstils in die Prämienberechnung“. M5-Fahrer also, die sich vorwiegend im P500 Sport/S6/ESP aus/Sport-Modus bewegen, könnten in Zukunft nicht nur an der Tankstelle etwas mehr bezahlen. Natürlich müsse man kulturelle Unterschiede beachten, so Weusthof, der selbst kein Problem hätte, der Versicherung ein lückenloses persönliches Fahrtenbuch zu liefern, aber bei deutschen Kunden solchen Modellen gegenüber doch größere Skepsis vermutet.

Angriffsziel Auto

Die Sicherheit der Software gegen Virenbefall, Missbrauch und Manipulation entwickelt sich zur neuen und entscheidenden Qualität. Als seinerzeit das Gerücht auftauchte, Lexus-Modelle könnten über ihre Bluetooth-Schnittstelle mit einem Virus befallen werden, schien bewiesen, dass die vom Heim-PC bekannten Probleme nun auch das Auto erreichen. Was zwar grundsätzlich stimmen mag, im konkreten Fall allerdings nicht mehr als ein später widerlegtes Gerücht blieb. Später wurde Audis Bluetooth-Schnittstelle für die Freisprechanlage geknackt: Martin Herfurt, Autor des Programms CarWhisperer und Gründer der Bluetooth-Forschungsgruppe trifinite.org, konnte sich von außen in die Freisprechanlage einklinken, mithören und mitreden. Die Sicherheitslücke ist simpel zu schließen, durch Veränderung des Standard-Zugangscodes, zeigt aber, dass mit jeder Schnittstelle nach außen – ob Bluetooth, UMTS, Diagnose-Interface oder WLAN – die Gefahr steigt, Opfer eines Angriffs zu sein.

Schutz vor Viren und Hacker

Heute darf man sich im Auto sicher fühlen, weil die meisten Steuergeräte keine Verbindung nach außen haben, von eigenständigen Betriebssystemen verwaltet werden. Noch das schwächste Glied ist das Navigationssystem, das einem herkömmlichen Rechner am stärksten gleicht und mit Standard-Betriebssystemen betrieben wird. Von dort erreicht man aber keine sicherheitsrelevanten Bereiche. „Spannend wird es in fünf Jahren“, sagt André Weimerskirch, Leiter der Entwicklung bei Escrypt, einem Unternehmen, das sich auf die Sicherheit von Embedded Systems spezialisiert hat. „Sobald man Autos externe Kommunikation erlaubt, braucht man Zugangskontrollen, muss die Anonymität der gesendeten Daten oder der Schutz digitaler Inhalte gewährleistet sein.“ Firewalls, Verschlüsselung, Authentifizierung, Digital Rights Management werden zur Standardausrüstung zukünftiger Software im Auto gehören. Abgesehen von den etwas verschärften Bedingungen im automobilen Umfeld, was etwa die Robustheit und Haltbarkeit einer Firewall betrifft, sei dies „technisch nicht so schwierig“, sagt Weimerskirch. Der Experte baut auf die Vorsicht und den Weitblick der Automobilhersteller: „Die lebensbedrohlichen Horrorszenarien werden nicht eintreten“, prophezeit Weimerskirch, „weil die Autohersteller die Gefahr sehen und traditionell sehr vorsichtig sind.“ (Markus Honsig, 09/05)