Probefahrt: Polaris RZR RS1

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Polaris hat mit dem RZR RS1 eine neue Fahrzeugkategorie geschaffen. Der „Razor“ hat nur einen Sitz und ist daher kein Side-by-side mehr, der Fahrer wird zum Einzelkämpfer. Obwohl der RS1 mit Überrollkäfig und Allradantrieb für den extremen Offroad-Einsatz konzipiert wurde, besitzt er eine Straßenzulassung.

Andreas Rosenlöcher findet noch beruhigende Worte am Eingang der Motocross-Strecke: „Lass es einfach langsam angehen“. Mit weichen Knien klettere ich auf den Sitz. Das Gefährt unter mir hat einen Liter Hubraum und 110 PS. Nein, es ist kein Motorrad, mein Fahrzeug hat vier Räder, zuschaltbaren Allradantrieb, kein festes Dach, aber einen soliden Überrollkäfig, einen Sicherheitsgurt und eindrucksvolle 534 Millimeter Federwege. Polaris hat mit dem RZR RS1 eigentlich eine neue Fahrzeugklasse geschaffen. Es ist kein Side-by-side wie der schon länger produzierte RZR XP 1000 EPS, der RS1 besitzt nur einen Sitz in der Mitte. Die Bezeichnung Mono-Side-by-side wäre widersinnig, Single-Seater trifft es wohl eher. RZR steht übrigens als Kürzel für „Razor“, also Rasierklinge. Das soll sicher martialisch klingen, sorgt bei mir aber eher für Nervosität ...

Spontaner Vortrieb des Zweizylinders

Die winzige, scheibenlose Tür klappt zu – sie dient ohnehin nur dazu, dass nicht zuviel Dreck auf den Fahrer spritzt. Vor mir ein kleines Lenkrad, unten je ein Pedal für Gas und Bremse, neben meinem rechten Ellenbogen der Wählhebel für die CV-Automatik. Ich drehe den Zündschlüssel und der 999-cm3-Zweizylinder erwacht in meinem Rücken zum Leben. Der Sound ist nicht übertrieben laut, macht aber unmissverständlich klar, dass hier viele Pferdestärken zum Galopp bereit stehen. Tief durchatmen und den Wahlhebel auf „H“ stellen. Ein zaghaftes Streicheln des Gaspedals wird spontan in Vortrieb umgesetzt. Zum Glück funktioniert die direkt übersetzte Lenkung leichtgängig, von Anschlag zu Anschlag bedarf es nur etwas mehr als einer Umdrehung des Lenkrads. Ich habe noch keine dreißig Meter auf der holprigen Piste zurückgelegt, als sich eine Wand vor mir auftut. Die Steilauffahrt weist vielleicht vier Meter Höhenunterschied auf, aber sie erscheint mir so unbezwingbar wie das Matterhorn. Worauf habe ich mich da bloß eingelassen?

Kompromisslose Reifen

Ich weiß, dass man die Steilauffahrt hochkommen kann, denn der mehrfache Deutscher Meister Andreas Rosenlöcher hat sie auf der Einführungsrunde in seinem Side-by-side mit mir auf dem Beifahrersitz genommen als wäre sie nur ein Maulwurfshügel. Also, Zähne zusammenbeißen und Gas! Mit 97 Nm Drehmoment drückt der Motor den RS1 lässig die Auffahrt hoch. Hoppla, das ging ja viel einfacher als gedacht! Dahinter folgt eine langgezogene S-Kurve mit anschließender 180-Grad-Kehre. Das grobe Profil der 29-Zoll-Reifen krallt sich in den losen Boden und es geht viel schneller vorwärts als mir lieb ist. Vor der Kehre trete ich beherzt auf die Bremse und der Polaris steht fast augenblicklich. Die Bremsleistung ist hervorragend und ich rolle in völlig unangemessener Schrittgeschwindigkeit durch die Kurve. Doch Andreas hat mir bei der Einführung noch erklärt, dass es auf der Motocross-Strecke für den RZR eigentlich nur zwei Möglichkeiten in den Kurven gibt: Entweder ganz langsam oder im Drift – und empfahl mir die erste Variante zu wählen, während er das Biest querstehend durch die Kurve schickte.

Die langen Federwege schlucken fast jede Unebenheit

Die erste Abfahrt taucht vor mir auf, eigentlich nicht tief, aber steil. Andreas würde sie wahrscheinlich mit Vollgas nehmen und die folgende Gerade komplett im Flug zurücklegen. Ich hingegen falle quasi den Hang hinunter, doch unten folgt kein derber Schlag ins Kreuz, denn der RS1 verfügt über derart lange Federwege, dass sich so ziemlich alles anfühlt als wäre dort glatt asphaltiert.

Eigentlich war ich mir vorher sicher, dass ich noch auf der ersten Runde in Panik aus dem Polaris springen würde, aber zu meiner eigenen Überraschung tritt das Gegenteil ein. Man fasst sehr schnell Vertrauen in das Fahrzeug, der RZR strahlt unglaublich viel Souveränität aus. Auf der nächsten Runde traue ich mir schon mehr zu, lasse das Gas länger stehen, Bremse später, fahre nicht mehr um Löcher herum. Ab der dritten Runde werde ich übermütig, nehme die 180-Grad-Kehre im dezenten Drift (es ist zum Glück viel Platz, so dass ich nirgendwo mit dem Heck einschlage) und lupfe an Sprunghügeln per Gasstoß leicht die Front. Himmel, zu was ist dieses Gerät alles fähig!

Kürzerer Radstand als beim Side-by-side

Um einen Vergleich mit einem Side-by-side zu bekommen, darf ich nach drei Runden in den RZR XP 1000 EPS wechseln. Das Fahrwerk entspricht dem des RS1, der Überrollkäfig bietet allerdings mehr Platz für den zweiten Sitz und laut Polaris wiegt der Zweisitzer 50 Kilogramm mehr, was sich im Gelände schon bemerkbar macht. Der ProStar-H.O.-Motor mit zwei oben liegenden Nockenwellen im Side-by-side ist identisch mit dem im RS1. Der Radstand ist mit 2286 Millimeter länger als beim RS1, der sich mit 2108 Millimeter agiler zeigt. Auch der RZR XP 1000 EPS ist unfassbar schnell auf der Piste unterwegs, muss aber in Kurven mit mehr Vorsicht genossen werden. Wenn niemand auf dem Beifahrersitz hockt, ist die Kippgefahr in Rechtskurven wegen der ungleichmäßigen Gewichtsverteilung höher als im einsitzigen RS1. Dafür müsste man den Side-by-side allerdings schon brutal heftig in die Kurve zwingen.

Top auf der Trialstrecke

Nach drei weiteren Runden werden wir vom Polaris-Vertriebsleiter Filip Pawelka rausgewunken. Ich bin von Endorphinen überflutet und will unbedingt weiterfahren. Pawelka lächelt nachsichtig, die euphorische Reaktion und das breite Grinsen ist er von Novizen im RZR gewohnt. Er erklärt uns, dass die Runden auf der Motocross-Piste quasi nur die Pflicht waren, jetzt käme die Kür. Er schickt uns im RS1 mit Andreas auf die Trialstrecke. Die verläuft kreuz und quer durch einen dichten Wald mit ausgewaschenen Rinnen, garstigen Steilauf- und abfahrten, quer liegenden Baumstämmen, metertiefen Löchern, Schlammdurchfahrten und Tiefsandpassagen. Der RS1 wiegt zwar nur 608 Kilogramm trocken, aber wenn er kippen würde, hätte ich ein massives Problem.

Kletterkünstler

Andreas empfiehlt uns den kurz übersetzten L-Modus des Automatikgetriebes für die kniffligen Passagen. Die kommen schneller als mir lieb ist, mehrere Stapel Autoreifen liegen quer über der Strecke. Mit jedem anderen Fahrzeug wäre ich hier umgedreht, doch Andreas schwebt mit einem kurzen Gasstoß über die Altreifen. Der Begriff „Trial“ bedeutet auf deutsch bekanntlich „Versuch“, und da ein Kollege hinter mir bereits ungeduldig mit dem Gas spielt, folge ich dem Beispiel von Andreas. Der RS1 verblüfft mich immer mehr – er klettert völlig unbeeindruckt über den Reifenstapel.

Die Trialstrecke scheint jeden einzelnen Baum zu umkurven und der Polaris kann seine Handlichkeit demonstrieren. Falls die Kurve doch mal zu eng genommen wurde, muss nur kurz der Rückwärtsgang bemüht werden. Mitten im Wald wird es diffizil: Eine zwar kurze, aber steile Abfahrt, dann ein enger Rechtsknick mit einer direkt folgenden Steilauffahrt und oben muss gleich scharf links abgebogen werden, sonst trifft man einen massiven Baum – und das alles im Sand und mit Spurrillen. Der RS1 krabbelt den Hang runter und wieder rauf, schlägt Haken und lässt sich auch von großen Steinen nicht beeindrucken. Der Kletterkünstler verfügt über 343 Millimeter Bodenfreiheit, da müssen schon sehr große Felsbrocken kommen, bis er aufsetzt.

Mit Straßenzulassung

Keine Frage, der RZR RS1 ist für den extremen Geländeeinsatz konzipiert und kann seine Herkunft aus dem Rallyesport nicht leugnen – Polaris hat unter anderem mehrfach die Rallye Dakar in der Side-by-side-Klasse gewonnen. Doch jetzt komm der Clou an dem RZR RS1: Er hat eine Straßenzulassung. Der RS1 bekam von Polaris Scheinwerfer, Rücklicht, Blinker und Hupe mit auf den Weg. Er hat auch einen analogen Tacho und Drehzahlmesser, sowie ein Digitaldisplay mit diversen Informationen, aber ich gestehe, dass ich im Gelände erst nach Stunden zum ersten Mal darauf geguckt habe und das auch nur, weil der Tank fast leer war.

Angeblich rennt der RZR RS1 Topspeed 129 km/h. Auf der Piste war ich irgendwann mal gefühlt kurz vor Schallgeschwindigkeit und ein kurzes Schielen auf den Tacho verkündete mir Tempo 80. Das war einfach zu erkennen, denn nach der 80 gehen die fett geschriebenen Zahlen in kleine, dünne Ziffern über, als wolle Polaris den Fahrer warnen: Bedenke, was du da tust! Auf der Straße sollte man natürlich in Anbetracht der grobstolligen Reifen höchste Vorsicht walten lassen, sie dürften auf Asphalt ziemlich rutschgefährdet sein. Ein Helm ist übrigens in einem Side-by-side mit Überrollkäfig nicht vorgeschrieben, wird aber aus guten Gründen dringend empfohlen.