Selbstläufer

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Hamburg, 2. Juli 2015 – Wer einen Porsche Macan haben will, muss abwarten wie einst die Interessenten beim Mercedes SL R129. Unter sechs Monaten Lieferzeit geht nichts, es können auch neun oder bei speziellen Ausstattungswünschen noch mehr Monate werden. Porsche hat mit dem Macan offenbar einen Volltreffer beim Geschmack der Kunden gelandet. Die Deutschen greifen zu rund 70 Prozent zur Selbstzünderversion, die ab 59.120 Euro zu haben ist. Wir stiegen in den Macan S Diesel um ein Gespür dafür zu kriegen, was dieses Auto so attraktiv macht.

Wird das SUV zur neuen Norm?

Die Klasse der Sport Utility Vehicles, abgekürzt SUV, entwickelt sich prächtig, wie man auf einen Blick auf die Zulassungszahlen im langfristigen Verlauf erkennt: 1995 waren nur zwei Prozent der neuen Autos SUVs; zehn Jahre später hatte sich der Anteil auf 5,8 Prozent mehr als verdoppelt. Ab spätestens 2010 (11,4 Prozent) beginnt der Boom. Ende dieses Jahres könnten über 20 Prozent aller Neuwagen SUVs sein. Design-Professoren reden davon, dass diese Form zur zukünftigen Norm des Autos werden könnte. Und die Käufer begründen ihre Entscheidung mit Sätzen wie „der ist so praktisch“ und „ich fühle mich so sicher“.

Der Porsche Macan S Diesel punktet bereits mit seiner Form. Er wirkt schlanker und feiner gezeichnet als der mächtige Cayenne, obwohl er genauso breit ist. Die Farbe des Testwagens, ein Beigeton mit dem Namen Palladium-Metallic, ist in Hamburg, einer Hochburg der SUV-Leidenschaft, weit weniger beliebt als Schwarz. Auf dem von uns gefahrenen Exemplar waren riesige Räder mit Reifen der Dimension 295/35 R21 hinten sowie 265/40 R21 vorne aufgezogen. Optisch ist das extrem cool und erinnert an eine Studie auf einer Automesse – aber wie wirkt sich das beim Fahren aus?

Die äußeren Voraussetzungen wirken wenig einladend für eine dynamische Tour. Porsche weist ein DIN-Leergewicht von 1880 Kilogramm aus. Auf dem Begleitzettel des Testwagens (Bruttolistenpreis: 81.195,67 Euro), der wie üblich mit den meisten denkbaren Extras vom „Großdachsystem“ über die Burmester-Surroundanlage bis zum elektrischen 18-Wege-Sportsitz angeliefert wurde, steht ein Gesamtgewicht von 2120 Kilogramm.

Eine knappe Vierteltonne Ausstattung

Es ergibt sich also eine knappe Vierteltonne nur für Zusatzausstattung. Dieses schwere Fahrzeug wird von dem 190 kW (258 PS) starken V6-Dieselmotor mit knapp drei Litern Hubraum kräftig nach vorne gewuchtet. Wer die Sport-Plus-Taste drückt, kann in 6,1 Sekunden auf 100 km/h (Werksangabe) beschleunigen. Dabei vermittelt das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe („PDK“) das Gefühl einer wandlerfrei-spontanen Umsetzung der Gaspedalbefehle. Herausragend ist die Lenkung: Sie ist präzise und arbeitet so direkt, wie es für jedes SUV wünschenswert wäre.

Und ja, es lässt sich nicht leugnen: Der Macan ist fraglos der Porsche unter den SUVs. Er ist der Sportlichste unter seinen Wettbewerbern. Aber er kann die Rahmendaten bei Größe, Gewicht und Aerodynamik (Cw-Wert 0,35; Stirnfläche A: 2,61 qm2) nicht vergessen machen. Man kann die Kuh fliegen lassen, wenn man möchte, und es ist erstaunlich, was dann möglich ist. Dennoch haben wir gerne auf dauerhaft schnelles Fahren verzichtet, weil es einfach keinen Spaß macht. Zu unhandlich und schwer ist der Macan, und auf der Autobahn, wo viele Verkehrsteilnehmer unaufgefordert das Feld räumen, ist er kaum oder nur unter Mühen schneller als die Limousinen mit Vierzylinder-Dieselmotor vom Schlag eines 3er BMW.

Wie sinnlos die Raserei ohnehin ist, konnten wir auf der Autobahn A7 erleben. Wir fuhren eine Etappe zwei Mal. Zuerst mit dem Tempomat und automatischer Abstandsregelung auf 130 bis 160 km/h, was zu einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 114 km/h und einem Verbrauch von 7,8 Litern führte. Danach stellten wir 220 km/h ein, was angesichts der üblichen Verkehrsdichte nie erreicht werden konnte. Das Resultat war ein auf 9,4 Liter gestiegener Spritkonsum bei einem auf 109 km/h gesunkenen Schnitt, die freie Bahn war rar. Beschleunigen wie verrückt, Bremsen, Lückenspringen – alles Unsinn, der Macan S Diesel ist ein komfortabler Cruiser.

Wohlgefühl überlegener Gelassenheit

Vielleicht macht das wohlige Gefühl der Gelassenheit einen Teil des Erfolgs aus. Der Macan rollt – mutmaßlich wegen der aufpreispflichtigen Luftfederung (2629,90 Euro) mit Niveauregulierung inklusive Porsche Active Suspension Management – sehr geschmeidig ab. Die Bandbreite der Abstimmung reicht von bestem Langsamfahrkomfort bis zum absurden Schnellfahren wie mit der Playstation. Wie gesagt, wir kamen immer schnell zum Gleiten zurück. Der Kraftstoffkonsum von 8,2 Litern (720 gefahrene Kilometer, Werksangabe 6,3 Liter entsprechend 164 Gramm CO2 pro Kilometer) darf angesichts des Allradantriebs sogar als niedrig bezeichnet werden, und immerhin ist der Macan S Diesel der emissionsärmste Porsche diesseits der Plug-In-Hybride.

Das souveräne Surfen auf der Woge der 580 Nm Drehmoment im qualitativ hochwertigen Innenraum kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Stadt zwar das tatsächlich häufige, aber nicht das bevorzugte Einsatzgebiet des Macan ist. Die Karosserie ist zu ausladend, und die Übersichtlichkeit wegen der Höhe nur scheinbar gut. In Wirklichkeit ist die Rundumsicht ein Desaster, und alle Besitzer sind gut beraten, in Spielstraßen äußerst langsam zu rollen – alles, was nah am Auto und klein ist, kann leicht übersehen werden. Kinder zum Beispiel.

Die Welt will SUVs

So ist das Fazit klar. Der Porsche Macan S Diesel ist der perfekte Ausdruck des Zeitgeistes. Er liegt nicht im Trend, er bestimmt den Trend. Das Design kommt gut an, die Marke sowieso, und der hohe Preis ist ganz offensichtlich irrelevant – eine gute Nachricht für den Produktionsstandort und die Arbeiter in Leipzig. Der Erfolg ist dem Macan wahrscheinlich auch weiterhin garantiert. Nur die Freunde der klassischen Modelle werden ihn niemals verstehen. Aber die Käufer von 911, dem Kurvenkünstler Cayman und dem Boxster sind in der Minderheit: Auf den Macan entfielen laut KBA im ersten Quartal 2015 29,4 Prozent aller neu zugelassenen Porsches, weitere 23,2 Prozent der Käufer wählten den Cayenne. Die Welt will SUVs.