Legal, illegal ...

Was ist eine Abschalteinrichtung?

Im Dieselskandal fällt ständig das Wort "Abschalteinrichtung". Das liegt daran, dass es praktisch keine PKW ohne gibt. Die Frage ist nur, was man damals durfte und was schon damals zu dreist war. Für die Zukunft hat die EU nachgelegt.

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Eines der meistbenutzten Wörter im Abgasskandal lautet „Abschalteinrichtung“. Es bezeichnet im Kontext alle Mechanismen egal welcher Art, die Abgasreinigungssysteme in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigen, was letztendlich zu einem Anstieg der Emissionen führt. Es gibt und gab keine mir bekannten PKW mit Abgasreinigungen, die keine Abschalteinrichtungen verwenden. Die Gründe sind recht unspektakulär. Sie heißen „Kundennutzen“ und „Kosten“.

Autokäufer kaufen nicht nach Umweltschutzgründen, daher sind sie auch nicht bereit, für besseres Abgasverhalten mehr zu bezahlen. Zur Sicherheit: Wir sprechen hier von einem virtuellen, statistisch gemittelten Autofahrer, also nicht unbedingt von Ihnen als Person, die ihre Umwelt in der Priorität höher ansiedelt. Deshalb lohnte es sich nicht, über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinauszugehen. Da es damals noch keine Realbetriebsmessungen wie im NFZ-Bereich gab, hieß das: Die Abgaswerte müssen zu den Zulassungsbedingungen stimmen. Was darüber hinaus ging, ließ sich nur mit Erfahrung im Zielmarkt (siehe BMWs Abgasausrüstungen für den US-Markt) verargumentieren.

Als die ersten (im NFZ-Betrieb bewährten) SCR-Anlagen in PKW auf den Markt kamen, planten viele Hersteller zum Beispiel noch, die Existenz der Adblue-Einspritzung vor dem Kunden in der Praxis weitestgehend zu verbergen. Die Tanks sollten nur zu den Wartungsintervallen aufgefüllt werden, in der Werkstatt. Das geht aber bei sinnvollen Tankgrößen nur, wenn die Dosierung auf diese Bequemlichkeit hin spart. Diese Argumentationen gehören jedoch der Vergangenheit an, seit PKW wie NFZ im Realbetrieb nachgemessen werden sollen.

What is right

Das US-Recht (§ 86.1803) unterscheidet seit langem zwischen illegalen Aschalteinrichtungen („defeat devices“) und potenziell legalen Abschalteinrichtungen, die dort „auxiliary emissions control device“ (AECD) heißen. Jedes AECD, das „die Effektivität des Abgasreinigungssystems unter Bedingungen reduziert, die vernünftigerweise beim normalen Fahrzeugbetrieb vorkommen“, ist zunächst ein Defeat Device, also nicht erlaubt. Das Gesetz erlaubt Ausnahmen, zu denen ein AECD kein Defeat Device sein muss:

– Motorstart/Warmlauf

– Abschaltungen zu den Bedingungen der Zulassungsmessungen, denn dort muss das Fahrzeug ja den Grenzwert einhalten

– Einsatzfahrzeuge wie etwa Rettungswagen

– Das AECD ist nötig, um das Fahrzeug vor Unfall oder Schaden zu schützen.

Das Zulassungsrecht der EU fasst AECD und Defeat Device zusammen zur „Abschalteinrichtung“ (deutsch) und verbietet so etwas. Es erlaubt jedoch bis auf die Einsatzfahrzeuge dieselben Ausnahmen vom Verbot wie das US-Recht, von dem es sich ableitet. Im Endeffekt sagen also beide Gesetze fast das Gleiche. Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen den Zulassungsrechtssystemen diesseits und jenseits des Atlantiks, und der liegt in den Zulassungspapieren.

Zum Zeitpunkt der Typzulassung verlangen die Behörden der USA nach §86.1844 eine Liste aller AECD, eine vollständige Beschreibung dieser Systeme und eine ausführliche technische Begründung, warum das jetzt kein Defeat Device ist. Die Behörde behält sich dabei das Recht vor, unschlüssige Begründungen abzulehnen, wenn es zum Beispiel bereits bessere Serientechnik gibt, die eine Konstruktion ohne die dokumentierten Abschaltungen ermöglicht hätte. Aktuell geht der US-Staat zum Beispiel gegen Fiat-Chrysler vor, denen das Department of Justice 8 nicht angemeldete Abschalteinrichtungen in seinen Dieselmotoren vorwirft.

In Europa nicht explizit

Hier endet die große Nähe der jeweiligen Gesetze, denn in Europa gibt es diese sehr eindeutigen, spezifischen und vor allem expliziten Vorgaben zur Dokumentation von Abschalteinrichtungen nicht. Ein Autohersteller, der die beschriebenen Ausnahmen (hauptsächlich den Motorschutz) geltend machen wollte, musste sich nicht explizit dafür verantworten. Deshalb berufen sich alle Hersteller in Europa darauf, alles zumindest nach dem Buchstaben des Gesetzes legal auf die Straßen gebracht zu haben.

Diese Konstellation hat die Verfolgung von Verstößen in Europa erheblich erschwert. Die Behörden waren darauf angewiesen, anderweitige Indizien außerhalb des Motorsteuerungsverhaltens zu finden, idealerweise also belastende Aussagen oder gleich Geständnisse à la Volkswagen. Wo die Behörden nicht durch Firmen-Emails suchen, wie es in Deutschland passiert, bleiben die Untersuchungen im Morast stecken. Fiat mauert bis heute, obwohl die Zeitschaltung, bis der Test vorbei ist, sowohl den Behörden als auch Konkurrenten, die es etwas ernster nahmen, durch ihre Dreistigkeit die Galle steigen lässt.

Letztendlich hat der Abgasskandal gezeigt, dass die implizite Dokumentationspflicht der EU nicht ausreichte, um für die vorgesehene Gesetzeswirkung zu sorgen. Die Lage war ein bisschen, wie einem Kind zu sagen: „Du darfst aus diesem Eimer keine Gummibärchen nehmen, außer, du hast einen guten Grund!“ So ein guter Grund findet sich schnell, vor allem, wenn man ihn nur sich selbst gegenüber rechtfertigen muss. Deshalb hat die EU im April 2016 die Zulassungsmodalitäten geändert, siehe (EU) 2016/646. Einleitende Begründung:

„Abschalteinrichtungen“ im Sinne von Artikel 3 Absatz 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zur Verringerung der Emissionsminderungsleistung sind verboten. Die jüngsten Ereignisse haben deutlich gemacht, dass die Durchsetzung von Rechtsvorschriften in dieser Hinsicht verstärkt werden muss. Daher ist es angemessen, eine bessere Überwachung der vom Hersteller bei der Typgenehmigung angewandten Emissionsminderungsstrategie zu verlangen, gemäß den Grundsätzen, die nach der Verordnung (EG) Nr. 595/2009 und ihren Durchführungsbestimmungen bereits für schwere Nutzfahrzeuge gelten (Euro 6).

Annäherung an NFZ

Seitdem unterscheidet die EU zwischen zwei Abgasreinigungs-Strategien. Einmal gibt es die „Base Emission Strategy“ BES, die standardmäßig läuft, und es gibt die Möglichkeit, zusätzlich eine „Auxiliary Emission Strategy“ AES zu fahren, die für bestimmte Zustände die BES überregelt. Mit dieser Verordnung kamen anlehnend an die USA explizite Dokumentationspflichten nicht nur für AES, sondern auch für die BES, damit die Prüfer Unterschiede besser erkennen.

In ersten Gesprächen mit Autoherstellern stellte ich fest, dass sich dadurch die Zulassungsunterlagen für PKW deutlich vermehrt haben und im Umfang an die der Nutzfahrzeuge heranreichen. Nun sagt die Metrik „Seitenzahlen“ alleine natürlich noch nichts über den Erfolg der Maßnahme aus, aber wir können durchaus darauf hoffen, dass die Annäherung an das US-Recht den EU-Staaten auch dessen verbesserte Handhabe gibt. Die Behörden der USA blicken immerhin auf Jahrzehnte der Verfolgung von Defeat Devices zurück.