Das EU-Reifenlabel sagt so gut wie nichts über die Qualität von Winterreifen aus

Winterreifenentwicklung im Zeichen des EU-Reifenlabels

Das EU-Reifenlabel ist gut gemeint, doch Reifen sind keine weiße Ware. Die Prüfkriterien Rollwiderstand, Nasshaftung und Abrollgeräusch sind nur ein Bruchteil der tatsächlichen Entwicklungsfelder – und die Eigenschaften von Winterreifen werden völlig ignoriert

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  • Gernot Goppelt
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München, 10. Oktober 2012 – Das EU-Reifenlabel rollt unerbittlich auf uns zu: Ab November müssen alle in der EU angebotenen Pkw-Reifen nach einem einheitlichen System gekennzeichnet werden, heise Autos berichtete im Frühjahr. Bei einem Winterreifen-Workshop der Reifenhersteller Goodyear und Dunlop hatten wir Gelegenheit, mehrere Fachleute zu diesem Thema zu hören. So viel vorweg: Der wahre Jakob ist das EU-Reifenlabel nicht.

Drei statt 50 Kriterien

Die Reifenhersteller, das hört man auch bei Goodyear und Dunlop, haben ein gespaltenes Verhältnis zum EU-Reifenlabel. Einerseits zweifelt niemand an, dass es eine gute Idee sein kann, den Verbraucher auf einfache Weise über die Qualitäten von Reifen zu informieren. Die Markenhersteller können durchaus davon profitieren. Aber muss man die Qualitäten eines Reifens wirklich auf drei Prüfkriterien reduzieren? Um sie noch einmal zusammenzufassen: Das EU-Reifenlabel, im Stile einer Kühlschrank-Energieeffizienz-Kennzeichnung ausgeführt, gibt Auskunft über Kraftstoffeffizienz (Rollwiderstand), Haftung auf nasser Fahrbahn und das Außengeräusch beim Abrollen. Die beiden ersten Kategorien werden von A bis G gekennzeichnet, das Abrollgeräusch mit einem dreistufigen Lautsprechersymbol und einer absoluten dB-Angabe.

Eine AA-Wertung plus geringem Laufgeräusch müsste demnach für einen hervorragenden Reifen stehen. Im Falle von Goodyear, Dunlop oder beispielsweise auch Continental, Michelin und Pirelli wird das in der Regel auch so sein. Renommierte Hersteller mit jahrzehntelanger Erfahrung in Europa haben genügend Sachverstand, um gute Labelwerte zu erreichen, ohne dass andere Kriterien allzu sehr darunter leiden. Wie Goodyear-Dunlop-Chefentwickler Bernd Löwenhaupt allerdings darlegt, gibt es weitaus mehr Kriterien, welche die Qualität eines Reifens bestimmen – und zwar über 50. In Bild 3 ist ein Teil dieser Kriterien dargestellt, wobei schnell sichtbar wird, dass das EU-Reifenlabel nur einen Bruchteil davon abdeckt.

Aquaplaning, na und …

Sicherlich ist es eine feine Sache, dass der Reifenkäufer über die Nasshaftung informiert wird, immerhin geht es dabei um Bremswege, die darüber entscheiden können, ob man einen Unfall vermeiden kann. Zwischen den Güteklassen A und G liegen immerhin 18 Meter. Das Handling bei Nässe dagegen, welches etwas über die Sicherheit bei Nässe und Kurvenfahrt aussagt, wird überhaupt nicht erfasst. Das gilt auch für andere Bereiche: Warum werden Handling und Bremsen bei Trockenheit nicht bewertet? Warum wird das Thema Aquaplaning ignoriert? Und warum werden eigentlich die Wintereigenschaften komplett ausgeblendet? Erstaunlich: Das EU-Reifenlabel macht keinen Unterschied zwischen Sommer- und Winterreifen. Was der Winterreifen im Winter leistet, spielt für seine Bewertung keine Rolle. Da könnten weniger versierte Hersteller auf die Idee kommen, die Wintereigenschaften zugunsten der Label-Anforderungen zu vernachlässigen, auf dass sich ihre Produkte im Regal genauso gut machen wie die renommierter Anbieter.

Wie schwierig es ist, verschiedene Reifeneigenschaften ausgewogen unter einen Hut zu bringen, zeigt eine Grafik von Continental, Bild 6, in der in einem Kreis die Kriterien Nassbremsen, Nasshandling, Trockenbremsen, Trockenhandling, Aquaplaning, Rollwiderstand, Laufleistung, Geräusch und Komfort aufgetragen ist. Darin werden unter anderem die Sommerreifen Conti EcoContact 5 und Conti PremiumContact 5 verglichen. Wie zu erwarten, bietet der EcoContact einen geringeren Rollwiderstand als der PremiumContact, doch besonders beim Nassbremsen dreht sich das Bild.