90 Jahre King Kong: Die Schöne und das Biest

Seite 2: Der Schöpfungsprozess

Inhaltsverzeichnis

Studio-Chef ist der berühmte David O. Selznick. Der hat schon einen Abenteuer-Film in Arbeit, der zu scheitern droht. Eine Art Nachfolger von "The Lost World" namens "Creation", mit den Stop-Motion-Figuren von Willis O'Brien. Doch die Kosten explodieren, es sind nur wenige Minuten gedreht, und die sind langweilig, weil es an Action zwischen den Sauriern mangelt.

Man kombiniert kurzerhand beide Projekte. "Creation" wird eingestellt; aber die Dino-Puppen, die Crew und manche Szenen lassen sich verwenden. Und das Dschungel-Set. RKO besitzt dafür ein riesiges Außengelände.

Man hat zwar schon Filme an exotischen Orten gedreht, aber das dauert sehr lange, ist teuer und riskant. Bei "Trader Horn" zum Beispiel, das kurz zuvor in Zentralafrika entsteht, erkranken mehrere Mitglieder des schlecht vorbereiteten Teams an Malaria; eines wird von einem Krokodil getötet, ein anderes von einem Nashorn. Die Hauptdarstellerin braucht sechs Jahre, um sich von den Strapazen zu erholen; der Film markiert zugleich das Ende ihrer Karriere.

Und so entsteht die Insel, die man später unter dem Namen Skull Island kennt, im Studio. Dort wird parallel mit "King Kong" ein zweiter Film gedreht; mit den gleichen Kulissen und Schauspielern: "Graf Zaroff", im Original "The Most Dangerous Game". Er begründet das Genre des Menschenjagd-Thrillers ("Game" bedeutet nicht nur Spiel, sondern auch Jagdwild) und kommt bereits im September 1932 mit einer Länge von nur 62 Minuten in die Kinos. Solche Doppel-Produktionen gibt es zuweilen, um Zeit und Kosten zu sparen – zumal die Schauspieler typischerweise beim Studio angestellt sind, also ein Festgehalt bekommen.

Das Drehbuch für "King Kong", das zunächst den Arbeitstitel "The Beast" trägt, soll Edgar Wallace schreiben; doch der stirbt während der Arbeit mit 56 Jahren an einer Lungenentzündung. James Creelman, der auch das Buch zu "Graf Zaroff" verfasst, arbeitet weiter am Skript; doch Cooper findet das Ergebnis zu langsam, zu schwerfällig, zu dialoglastig. Schoesacks Frau Ruth Rose bringt es in Form und kürzt eine Menge heraus. Sie gilt als Schöpferin des berühmten Schluss-Satzes: "Oh nein, es waren nicht die Flugzeuge. Es war Schönheit, die das Biest getötet hat." (In der deutschen Fassung wird daraus das weniger poetische "Er hat das Mädel zu sehr geliebt.")

Die Bezeichnung Kong ist vermutlich dem Stummfilm "Isle of Sunken Gold" entlehnt, in dem ein Affe dieses Namens eine zentrale Rolle spielt. Nur "Kong" ist dem Studio aber zu fad. Über "King Ape" findet man dann zum endgültigen Titel.

Bei "King Kong" kommen verschiedene Modelle und Techniken zum Einsatz. Der Affe ist eine 45 Zentimeter große Puppe, dessen Bewegungen Bild für Bild aufgenommen und mit realen Aufnahmen kombiniert werden. Sie ist am Boden verschraubt, damit sie nicht umfällt. Für Nahaufnahmen gibt es ein Modell nur vom Kopf und eines nur von einer Hand, mit beweglichen Fingern, groß genug, um einen Menschen zu fassen.

Für Nahaufnahmen von King Kong gibt es ein Modell vom Kopf und eines nur von einer Hand.

(Bild: RKO Pictures)

Bei einem starren Hintergrund trickst man mit einem Matte Painting, einem Gemälde auf einer Glasscheibe. Zuweilen steht die Figur von Kong zwischen zwei Glasscheiben, um neben dem Hintergrund auch einen Vordergrund darzustellen. Einen beweglichen Hintergrund erreicht man mit Rückprojektion: Die Schauspieler stehen vor einer Leinwand, die von der anderen Seite mit dem Hintergrund angestrahlt wird. Und dazu eine bewegliche Kamera: Das ist in der Zeit noch die Ausnahme, zumal neben dem Bild auch der Ton der Schauspieler aufgenommen werden muss.

Für die Haare von Kong verwendet Willis O'Brien Kaninchen-Fell. Bei den Aufnahmen stellt er fest, dass seine Handabdrücke das Muster des Fells Bild für Bild verändern. Er ist zerknirscht über den Fehler – wird aber stattdessen für seinen Realismus gelobt, weil es so wirkt, als ob sich durch den Wind die Haare bewegen würden. Bei der Choreografie der Kampfszenen zwischen den Monstern, die von zwei Animatoren inszeniert werden, orientiert man sich an Boxkämpfen.

1933 ist der Tonfilm noch neu. Zwar ist auch der Stummfilm nicht stumm, sondern wird durch ein Klavier, eine Kinoorgel oder ein ganzes Orchester begleitet. Doch zunächst ist die Musik improvisiert, oder es werden bekannte Stücke gespielt. Erst in den Zwanzigern entstehen für große Stummfilme eigene Kompositionen. Um 1930 setzt sich langsam der Tonfilm durch – der ja auch Kinosäle mit der nötigen Ausstattung benötigt.

Die Musik für "King Kong" stammt von dem Österreicher Max Steiner, der 1924 in die USA auswandert und großen Einfluss gewinnt. 24 Mal wird er für den Oscar nominiert; dreimal erhält er ihn. "King Kong" ist ein früher Vertreter des Leitmotivs, bei dem bestimmten Personen oder Situationen wiederkehrende Melodien zugeordnet sind (wie man es auch aus "Krieg der Sterne" und "Der Herr der Ringe" kennt); und es ist der erste Film, bei dem auch Dialoge mit Musik unterlegt sind.

Lars Dreyer-Winkelmann: "Der große Erfolg von 'King Kong' beruht auch darauf, dass der Film im Gegensatz zu vielen anderen frühen Tonfilmen eben genau den Ton als so ungeheuer wichtig erachtet. Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen Anfang der Dreißiger hat 'King Kong' einen eigens komponierten Score und tolle Soundeffekte."

Natürlich muss man auch die gellenden Schreie erwähnen, die der Hauptdarstellerin, der "weißen Frau", der Kanadierin Fay Wray, den Spitznamen "Scream Queen" geben, den sie in weiteren Filmen verteidigt. Bei einem Stummfilm hätte das nicht geklappt.

Fay Wray verdiente sich mit ihren hingabevollen Schreien den Spitznamen "Scream Queen".

(Bild: RKO Pictures)

Das Finale findet auf dem Dach des Empire State Building statt; des ersten Gebäudes mit mehr als 100 Stockwerken. Es ist damals brandneu und bis 1972 das höchste Gebäude der Welt (bis es vom World Trade Center übertroffen wird). Ein Wesen aus der Urzeit gegen das leuchtendste Wahrzeichen der modernen Zivilisation; die Idee gefällt den Machern.

Als Fay Wray 2004 stirbt, wird das Licht des Wolkenkratzers für 15 Minuten abgeschaltet. Dabei ist sie gar nicht die Frau, die auf der Spitze zu Kongs Füßen liegt. Die Aufnahmen des Finales sind misslungen und müssen wiederholt werden; doch der Star arbeitet bereits am nächsten Film. So greifen sich die Filmemacher als Double eine andere Schauspielerin, die gerade zufällig über's Studio-Gelände läuft, kleiden sie ein und geben ihr eine blonde Perücke: Pauline Wagner (die erst 2014 im Alter von 103 Jahren stirbt). Der Dreh dauert nur drei Stunden.

"King Kong" ist nichts für schwache Nerven und wird im Laufe der Jahre immer mal um brutale Szenen gekürzt. Eine Stelle ist so schrecklich, dass Cooper sie noch vor dem Kinostart herausnimmt, weil das Testpublikum entsetzt aus dem Saal läuft: Kong schüttelt Matrosen von einem Baumstamm, sodass sie in eine Grube stürzen. Dort werden sie von riesigen Spinnen, Skorpionen und ähnlichem Getier überfallen und gefressen. Die Aufnahmen gelten als verloren; es sind nur Standfotos erhalten. Im Laufe der Jahre werden sie zum Heiligen Gral der verlorenen Filmszenen.

In Deutschland wird der Film zunächst verboten. Die Europa Filmverleih AG zieht dagegen vor Gericht, wo der vom Reichsgesundheitsamt bestellte Sachverständige argumentiert, es wäre eine "Provokation des Rasseinstinkts" und eine "Verletzung des gesunden Rasseempfindens des deutschen Volkes", wenn eine blonde Frau von germanischem Typ in der Hand eines Affen dargestellt werde.

Beistand erhält Kong von einem anderen Monster: Adolf Hitler. Der lässt sich fast jeden Abend mehrere Spielfilme vorführen. Am liebsten solche aus Hollywood, nach Kriegsbeginn eingeschleust etwa über die Botschaft im neutralen Schweden. "King Kong" ist einer seiner Lieblingsfilme, sagt man, und der Legende nach setzt er sich für eine Freigabe ein. So kommt er am 1. Dezember 1933 doch noch in die deutschen Kinos, beschnitten und unter dem Titel "Die Fabel von King Kong". Den heute geläufigeren Namen "King Kong und die weiße Frau" erhält er bei der Wiederaufführung in den Fünfzigerjahren.