Analyse der Hype-Aktie Nvidia: Geht die Euphorie zu Ende?

Seite 2: Opfer des eigenen Erfolgs

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Oft genug sind Marktbeobachter darauf bedacht, solch symbolische Ereignisse, einen sogenannten "Titelseitenindikator" als mögliche Top-Bildung auszurufen. Das maximale öffentliche Interesse scheint erreicht, jeder und sein Nachbar scheinen bereits in die Aktie investiert zu sein – das Aufwärtspotenzial scheint eingepreist.

Anleger wären mit einem rechtzeitigen Investment in Nvidia tatsächlich sehr, sehr vermögend geworden. Wer vor eineinhalb Jahren zugriff, konnte seine Anlage mehr als verzehnfachen. Wer indes sogar vor einer Dekade in den US-Techkonzern investierte, der seinerzeit noch weit von dedizierten KI-Lösungen entfernt war, und seine Umsätze in erster Linie mit Grafikkarten und Chips für den Gaming-Sektor erzielte, hätte seinen Einsatz mehr als verfünfhundertfacht. Aus 10.000 US-Dollar wären über 5 Millionen US-Dollar geworden.

Entsprechend haben Anleger nunmehr viel zu verlieren und gehen bei einer Verlangsamung des Wachstums in Deckung. So spektakulär und von anderen Big Techs unerreicht eine Umsatz- und Gewinnverdopplung binnen eines Jahres erscheint, so sehr flacht damit doch das Hyperwachstum von Ende 2023 und Anfang 2024 ab. Zu Jahresbeginn etwa wies Nvidia noch eine Umsatzsteigerung von 265 Prozent und eine Gewinnexplosion von über 700 Prozent aus.

Entsprechend umstritten sind unter Analysten die weiteren Wachstumsaussichten des Superhighflyers der Techindustrie. "Die Pessimisten werden sagen, dass die Quartalszahlen von Nvidia gut, aber nicht großartig waren. Die Optimisten werden argumentieren, dass die positive Prognose für das Juli- und das Oktober-Quartal nicht mal eine Rolle spielt, weil das Potenzial in den nächsten zwei Jahren weiterhin besteht, da KI größer sein wird als das Internet", fasst der langjährige Techanalyst und heutige Fondsmanager Gene Munster von Deepwater Asset Management die Ambivalenz zusammen.

Die Wall Street stellt sich unterdessen nach dem besser als erwarteten Zahlenwerk mit gleich neun Anhebungen des Kursziels geschlossen hinter die aktuell nach Apple und Microsoft nun wieder drittwertvollsten Firma der Welt. Morgan Stanley und JP Morgan sehen Kursziele von 150 beziehungsweise 155 US-Dollar, während die Bank of America und Wells Fargo gar Zielmarken von 165 US-Dollar ausrufen.

Tatsächlich erscheint Nvidia nach klassischen Kriterien gar nicht mehr so turmhoch bewertet wie zu Beginn des Gipfelsturms, als die Zuwachsraten noch nicht absehbar erschienen und nicht eingepreist waren. Bei Kursen von aktuell 117 US-Dollar wird die Aktie mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 46 für das bereits im Januar zu Ende gehende Geschäftsjahr und mit einem KGV von 33 auf Basis eines (konservativ) erwarteten Gewinns je Aktie von 3,50 US-Dollar gehandelt. Das ist natürlich nach klassischen Bewertungsmaßstäben noch durchaus teuer, aber auch kaum teurer als die Big-Tech-Rivalen Apple oder Microsoft, die jedoch kaum beziehungsweise gerade zweistelliges Wachstum aufweisen können.

Charttechnisch dagegen hat die Nvidia-Aktie nach dem jüngsten Ausverkauf, aber auch dem Rücksetzer im jüngsten Mini-Börsencrash durchaus einigen Schaden genommen. Die psychologisch wichtige 100-Dollar-Marke, die Anfang August kurzzeitig unterschritten wurde, könnte angesichts zunehmender Investorenskepsis möglicherweise nochmals in Visier rücken, zumal wenn sich das Gesamtumfeld für Tech-Aktien in den volatilen Herbstmonaten verdunkeln sollte.

"Ich erwarte, dass in den nächsten sechs Monaten eine Konsolidierungsphase einhergehend mit einem entsprechenden Rückgang des Aktienkurses einsetzt, gefolgt von einem weiteren Ausbau der KI über die nächsten Jahre", sagt etwa der renommierte Tech-Investor Dan Niles von Niles Investment Management. Er rechnet mittelfristig mit einigem Gegenwind und sieht Parallelen zu einem Tech-Superstar der ersten Internet-Ära: Cisco.

"Zur Erinnerung: Die Cisco-Aktie verzeichnete innerhalb eines Jahres Rückgänge von 26 Prozent Ende 1995, 38 Prozent Anfang 1997 und 37 Prozent Ende 1998, während die Erwartungen an das Wachstum schwankten. Dennoch stieg die Aktie von Ende 1994 bis zu ihrem Höchststand letztlich um etwa 4000 Prozent. Ich erwarte eine ähnliche Volatilität für Nvidia in den kommenden Jahren, während sowohl der Umsatz als auch der Aktienkurs sich in dieser Zeit verdoppeln, da der Ausbau der KI weitergeht", bleibt Niles für die nächsten Jahre dennoch optimistisch.

Für Nvidia-Aktionäre wären das gute Nachrichten – sofern sie starke Nerven besitzen und sich bei scharfen Kursrückgängen nicht abschütteln lassen. Das Ende der Party könnte indes irgendwann dann doch schmerzhaft ausfallen: Bestätigt sich langfristig die Cisco-Parallele, könnte nach dem Gipfelsturm ein langer Abstieg erfolgen. Die Aktien des Netzwerkausrüsters Cisco notieren nämlich auch heute, knapp ein Vierteljahrhundert später, immer noch unter den Höchstkursen von Anfang 2000.

(mma)