Atomenergie: Kleine, modulare Reaktoren als Weg für Japan?

11 Jahre nach der Atomkatastrophe sucht die japanische Regierung nach der Rolle für die Kernenergie. Der Ex-Chef der IEA setzt auf kleine, modulare Reaktoren.

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Luftbild des AKW Isar 2

Ein KKW, hier in Deutschland (abgeschaltet).

(Bild: E.ON Kernkraft GmbH CC BY-SA 3.0)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Martin Kölling

Als Chef der Internationalen Energieagentur (IEA) wachte Nobuo Tanaka jahrelang über die globale Atomindustrie. Seit Jahren setzt er sich auch in Japan für eine Wiederbelebung der Atomkraft ein, die nach der Reaktorkatastrophe von 2011 bis heute nur auf Sparflamme läuft. Auf dem COP28-Klimagipfel hatte er einen ersten Erfolg: Japan schloss sich der Initiative an, die Atomkraft zu verdreifachen. Der Energieexperte hat sich auch schon einen Trick ausgedacht, wie Japans skeptische Bevölkerung für die Idee gewonnen werden kann: ein Beratungsausschuss, der außer ihm selbst als Vorsitzenden nur aus Frauen besteht.

Er hat das Gremium prominent am Canon Institute for Global Studies platziert, einem renommierten japanischen Thinktank. Frauen seien Außenseiterinnen im japanischen Energiesektor und könnten daher das System der Atomenergie eher verändern, begründet Tanaka die ungewöhnliche Personalwahl in einem Online-Seminar. "Das könnte dann auch die Akzeptanz der Atomkraft in der japanischen Öffentlichkeit erhöhen."

Der Klimagipfel stärkt sein Sendungsbewusstsein zusätzlich. "Die Kernenergie kann also eine sehr wichtige Rolle spielen“, sagt er. Nur fürchtet er, dass Japan diesen Trend verpassen könnte. Denn die drei Kernschmelzen im Atomkraftwerk Fukushima 1 haben Japans Plan durchkreuzt, den Anteil der Kernenergie an der Stromproduktion von 30 auf 50 Prozent zu erhöhen. Nun kann die Regierung froh sein, wenn sie den Atomstromanteil bis 2030 wieder auf 20 bis 22 Prozent steigern kann, wie es die Energiestrategie vorsieht.

Der Grund: Nach dem GAU schaltete die japanische Regierung zunächst alle 54 bestehenden Reaktoren ab, von denen 33 noch als betriebsfähig gelten. Aber nur zehn Reaktoren erfüllen die neuen Richtlinien und produzieren wieder Strom. Nach Angaben der World Nuclear Organisation müssten bis Ende des Jahrzehnts zehn weitere Reaktoren wieder Strom produzieren, um die offiziellen Emissionspläne einzuhalten.

Tanaka und sein Team halten deshalb kleine modulare Reaktoren (SMR) für unverzichtbar, wenn Japan jemals wieder eine eigene Atomindustrie aufbauen will. Wie der Name schon sagt, sind diese Reaktoren deutlich kleiner als herkömmliche Meiler der Gigawatt-Klasse. Außerdem, so versprechen die Entwickler, sollen sie dank modularer Bauweise in größeren Serien und damit billiger zu bauen sein – und von Haus aus sicherer obendrein.

Als Gewinner der globalen Energiewende sieht Tanaka die USA, Europa, China und Indien. In Japan sei der Ausgang noch offen. Wasserstoff und Kernenergie sind für ihn aber "der Schlüssel, um unter den Gewinnern zu bleiben". Und da große Reaktoren nach dem Atomunfall in Fukushima als unsicher gelten, setzt er auf kleine Meiler. Einige der neuen Reaktortypen könnten sogar den Atommüll aus dem havarierten AKW in Fukushima nutzen und damit reduzieren, wirbt er.

Die Regierung sieht das ähnlich. Seit Jahren ist die Förderung von SMR eine Säule der Energiepolitik. Das zeigte sich erneut im Januar 2023. Damals vereinbarten Japan und die USA, bei der Entwicklung dieses neuen AKW-Typs zusammenzuarbeiten. Allerdings sind japanische Unternehmen im Rennen um SMRs nicht stark vertreten.

Am weitesten fortgeschritten sind die Planungen beim Schwerindustriekonzern Mitsubishi Heavy Industries. Dessen Nuklearsparte hat nicht nur eine Studie für einen SMR, sondern auch für einen Mikroreaktor in Containergröße entwickelt. Das mobile Kraftwerk soll hinreichend Brennstoff an Bord haben, um 25 Jahre lang Wärme und eine elektrische Leistung von 500 Kilowatt zu liefern. Gedacht ist es als dezentrale Energieversorgung für abgelegene Dörfer, zum Beispiel auf einer der vielen japanischen Inseln.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Weiterhin ist Hitachi über das Joint Venture GE Hitachi Nuclear Energy mit dem Siedewasserreaktor "BWRX-300" weltweit technologisch am Start. Das Joint Venture beteiligt sich bereits an einer Ausschreibung für SMR in Großbritannien.

Ansonsten sind Regierungen und Unternehmen als Investoren aktiv. So haben sich die staatliche Japan Bank for International Cooperation und drei Unternehmen an Nuscale beteiligt, das gerade ein wichtiges Projekt in den USA abgesagt hat. Denn mit der Inflation explodieren auch bei kleinen Kraftwerken die Baukosten.

Auch andere Probleme wie der Abfall sind bislang nicht gelöst. Ein Thema könnte die weltweite Verbreitung von SMRs ohnehin bremsen, warnt Tanaka: die Angst vor der Weiterverbreitung von Atomwaffen, vorrangig in den USA. Große Hoffnungen setzt der japanische Energieexperte deshalb darauf, dass auf der Weltklimakonferenz Bewegung in die Kernfusion kommt. Anders als bei der Kernspaltung entsteht bei der Fusion kein radioaktives Material, das sich für Atomwaffen eignet. "Wir sollten also von der Kernspaltung zur Kernfusion übergehen, denn das ist eine sehr rosige Zukunft für die Kerntechnik", meint Tanaka.

(bsc)