Computergeschichte: "Ideen von Frauen hätten unsere Welt radikal verändert"

Seite 3: "Ernsthaft, ist das das Problem?"

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Sie zitieren auch die Soziologin Sherry Turkle, die sagt, dass sogar die Sprache, die die Informatik beschreibt, eine männliche, dominante, aggressive Sprache sei, die über das "excecuting" eines Programmes und "killing" von Prozessen spricht. Und als ich das las, dachte ich: "Ernsthaft, ist das das Problem?"

Es ist nicht DAS Problem. Es gibt nicht den einen Punkt, auf den wir das Problem reduzieren können. Es ist ein viel breiteres gesellschaftliches Problem, das wir angehen müssen. Technologie funktioniert nach dem Prinzip: Müll rein, Müll raus, richtig? Wenn das, was wir der Software als Input geben, historisch voreingenommen oder fehlerhaft ist oder auf einer sexistischen Logik beruht oder voller problematischer Sprache ist oder was auch immer, wird sich das im Output widerspiegeln.

Übrigens glaube ich nicht, dass es technische Lösungen für soziale Probleme gibt. Das ist eine der absoluten Illusionen von Technologie – diese Vorstellung, dass das Neue das Alte auslöschen wird. Oder dass ein neues Protokoll oder eine neue Technologie oder Konvention auftauchen und einen neutralen, offenen, utopischen Spielplatz bereitstellen wird.

All diese Technologie, die wir als grundlegend und unverzichtbar ansehen, ist das Resultat von Ideen, die sich jemand zu einem bestimmten Zeitpunkt unter den sehr spezifischen Bedingungen seiner Zeit und den sehr spezifischen Bedürfnissen und Anforderungen seiner Projekte ausgedacht hat. Und sie waren nicht unbedingt dazu gedacht, für alle Zeiten in Stein gemeißelt zu werden. Dinge können im Fluss sein und wir können neue Entscheidungen treffen. Vielleicht ist das optimistisch, aber wir haben immer die Macht, die Dinge zu verändern.

Wenn wir das Problem der männlichen Dominanz in der Gesellschaft lösen könnten, würde das eine andere Art von Technologie inspirieren?

Ich versuche, jede Art von grundsätzlichem Argument darüber zu vermeiden, wie Frauen und Männer denken. Wir müssen neu definieren, was es bedeutet, technisch zu denken, und wir müssen das Menschliche als Teil davon miteinbeziehen. Um gute Software zu entwickeln, muss man verstehen, wie man diese chaotischen Probleme der realen Welt an die Maschine weitergibt und ein Werkzeug entwickelt, das diese Probleme löst, anstatt neue Probleme zu schaffen. Und das erfordert ein Verständnis für die Gesellschaft als Ganzes und die Bereitschaft, über die Konsequenzen dessen, was man tut, nachzudenken.

Das klingt abstrakt. Können Sie das anhand eines Beispiels konkretisieren?

Es gab im Laufe der Geschichte viele Fälle, in denen Projekte, Ideen und Frameworks, die von Frauen entwickelt wurden, die Art und Weise, wie unsere Welt funktioniert, wirklich radikal hätten verändern können – wenn diese Frauen bekannt gewesen wären oder das Projekt zur richtigen Zeit ans Licht gekommen wäre. Hypertext ist ein großartiges Beispiel dafür. Es gab fast 20 Jahre lang Leute, die wirklich ausgeklügelte und interessante Hypertext-Plattformen und -Systeme (siehe Kasten) entwickelt haben, die sich Gedanken über die ganzheitliche Beziehung gemacht haben, warum Ideen miteinander verbunden sind und was es bedeutet, wenn eine Tatsache mit einer anderen Tatsache verbunden werden kann. Viele davon Frauen. Und sie haben Systeme entwickelt, in denen so etwas wie ein 404-Fehler (Seite nicht gefunden, Anm. d. Red.) unmöglich ist, weil die Verbindungen, die Links das Wichtigste in diesem System sind. Hätten wir heute solche Systeme als primäre Informationsbrowser, würden wir vielleicht anders denken. Wenn ich mir solche Dinge anschaue, stelle ich mir vor, was wäre dann gewesen? In der Zukunft könnten ähnliche Dinge passieren. Wir müssen einfach in der Lage sein, an die Gegenwart zu denken, statt die Dinge im Rückspiegel zu betrachten.

Es gibt hier einen gut sichtbaren Zyklus: Solange Frauen als Reservekräfte gebraucht werden, können sie arbeiten, werden sie nicht mehr gebraucht, werden sie rausgeschmissen. Haben Sie eine Idee, wie man diesen Kreislauf durchbrechen kann?

Nein, das weiß ich nicht. Wenn man sich die Geschichte anschaut, gab es immer wieder Punkte, an denen Frauen die Möglichkeit hatten, in eine Branche einzusteigen, die ihnen sonst verwehrt geblieben wäre. Und diese Gelegenheiten ergaben sich, wenn die Männer im Krieg waren oder wenn die Industrien so in Bewegung waren, dass ein massiver Bedarf an Programmiertalenten bestand. Wir befinden uns jetzt in so einer Phase. Aber die Welt ist komplexer geworden.

Ich glaube auch nicht, dass der Gegenpol zu einer großen männlichen Weltgeschichte eine große weibliche Weltgeschichte ist. Die Wahrheit liegt dazwischen. Es geht um die kollektive Anstrengung. Es kann nur wirklich vorwärtsgehen, wenn wir zusammenarbeiten. Ich weiß, das ist eine Art Plattitüde, aber ich glaube, es ist wahr.

Die Ursprünge des Hypertext

Eine der Eigenschaften, die dem World Wide Web in den frühen 1990er-Jahren zu seinem Durchbruch verhalfen, war die einfache Möglichkeit, mithilfe von Links von den eigenen Webseiten auf Texte auf anderen Computern im Netzwerk zu verweisen. Das technische Instrument dazu war und ist HTML, die Hypertext Markup Language, die ein Stichwort mit einer Internetadresse verbindet.

Das Wort "Hypertext" in dieser Bezeichnung verweist allerdings auf eine sehr viel allgemeinere Idee, die zudem um einiges älter ist: Hypertext – der Begriff wurde erstmals 1965 eingeführt – sollte miteinander vernetzten Medieninhalten eine Art Überstruktur verleihen, die Wissenszusammenhänge verdeutlicht. Eines der frühen, tatsächlich funktionsfähigen Systeme, die das implementierten, wurde 1989 von der britischen Informatikerin Wendy Hall geschaffen. Im Unterschied zum heutigen HTML speicherte das Microcosm genannte System Verweise nicht direkt im Dokument, sondern in externen Datenbanken, den Linkbases. Die konnten je nach Verwendungszweck und Nutzer – grober Überblick, wissenschaftliches Studium, aktuelle Kommentare zur Diskussion – unterschiedlich gewählt werden. Beim Aufrufen eines Textes fügte die Software dann automatisch die entsprechenden Verweise ein. Wenn ein Verweis nicht mehr funktionierte, wurde er auch gar nicht erst angezeigt. Der berüchtigte "Error 404", mit dem zerbrochene Links enden, taucht in diesem System schlicht nicht auf.

(wst)