Das "Wunder" Chipfabrik wird zu den Akten gelegt

Statt sprudelnder Steuerquellen, 1500 neuer Arbeitsplätze und solventer Mieter für leer stehende Plattenbauten gibt es nun ein Millionenloch im Haushalt der Stadt.

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Von
  • Thorsten Gehrke
  • dpa

Ein entlassener Wirtschaftsminister, eine finanziell überbelastete Kommune und eine Fabrikhalle als weitere Investitionsruine im Land Brandenburg. Das "Wunder von Frankfurt" in Gestalt der geplanten Chipfabrik bleibt aus. Statt sprudelnder Steuerquellen, 1500 neuer Arbeitsplätze und solventer Mieter für leer stehende Plattenbauten gibt es nun ein Millionenloch im Haushalt der Stadt, die zu Gunsten begleitender Infrastrukturmaßnahmen sogar soziale Vorhaben drosselte.

Der Ausbau von Frankfurt (Oder) zum Hightech-Standort war in der Mark von Anfang an umstritten. Als der damalige Wirtschaftsminister Wolfgang Fürniß (CDU) im Februar 2001 das Vorhaben der erstaunten Öffentlichkeit präsentierte, winkten viele sofort ab. In Brandenburg waren schließlich schon zahlreiche kostspielige Großprojekte kläglich gescheitert. Eine Investition von 1,3 Milliarden Euro erschien angesichts von Brandenburgs Haushaltsproblemen um einige Nummern zu groß, auch wenn der US-Chiphersteller Intel und das arabische Emirat Dubai die Gesellschafter sein sollten. Finanzministerin Dagmar Ziegler (SPD) warnte Fürniß umgehend vor unübersehbaren Millionenrisiken für die Steuerzahler. Skeptiker sahen das Land schon um die am Frankfurter Institut IHP entwickelte Technologie geprellt. Der US-Konzern Intel als kleiner Gesellschafter könnte sie beim Scheitern des Projekts quasi kostenlos mitnehmen.

Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) resümierte gerade dieser Tage massive Fehler bei der Planung des vor drei Jahren angeschobenen Prestige-Vorhabens. Damals hatte Platzecks Vorgänger, der heutige Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD), die Regierungsverantwortung. Stolpe, der nie müde wurde, die Wichtigkeit des Projekts für ganz Ostdeutschland zu betonen, hatte in der vergangenen Woche gemahnt, Brandenburg müsse "endlich seine Hausaufgaben in Sachen Chipfabrik machen". Die Projektfinanzierung war von Anfang an die Schwachstelle der Chipfabrik. Kaum ein Tag verging, an dem nicht Medien über neue Finanzlöcher, steigende Kosten und über ergebnislose Suche nach Mitgesellschaftern berichteten. Je undurchsichtiger und schwieriger die Situation wurde, desto verschlossener gaben sich die Ministerien. "Wir können dazu nichts sagen. Es ist Stillschweigen vereinbart", hieß es stereotyp aus dem Wirtschaftsressort, das anfangs jeden noch so kleinen Projektfortschritt vermeldet hatte.

Alle waren besorgt, durch eine unbedachte Äußerung das wacklige Konstrukt zum Einsturz zu bringen. "Ich bin froh, dass ich von dem Vorhaben nichts weiß", bekannte ein Sprecher in Potsdam freimütig. Die spärlichen Informationen wiederum ließen Spekulationen, Gerüchte und Halbwahrheiten sprießen -- nicht gerade zum Nutzen des Vorhabens. Nachdem sich das Wirtschaftsvorhaben längst zum handfesten Politikum ausgewachsen hatte, ruhten schließlich die Hoffnungen auf Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Doch der "Genosse der Bosse", der im August 2002 den Grundstein für die Fabrik in der strukturschwachen Region legen sollte, kam von einer Reise zu den Scheichs mit leeren Händen zurück. Das arabische Emirat Dubai als Hauptinvestor wollte nicht mehr Geld geben, verlangte seinerseits Bürgschaften von Bund und Land Brandenburg für die erforderlichen Millionenkredite.

Und der Bürgschaftsausschuss von Bund und Land, der sein Votum über Monate hinauszögerte, erteilte schließlich Auflagen, die vielfach als unüberwindliche Hürde betrachtet wurden. Die CDU-Fraktionsvorsitzende im Potsdamer Landtag, Beate Blechinger, warf der Bundesregierung vor, die Chipfabrik scheitern lassen zu wollen. "Der Schwarze Peter soll nun dem Land Brandenburg und dem Emirat Dubai zugeschoben werden." Es sei schwer vorstellbar, dass Brandenburg seine Landesbeteiligung um weitere 38 Millionen Euro erhöhen könne. Denn das Land müsse Milliarden einsparen.

Für Fürniß wurde der Ausflug in die internationale Welt der Hochtechnologie zum Stolperstein. Der aus dem Badischen stammende Minister musste seinen Hut nehmen, nachdem bekannt wurde, dass er von einem Dubai-Scheich einen privaten Millionen-Kredit bekommen hatte. Fürniß-Nachfolger Ulrich Junghanns konnte nur noch den Notstand verwalten und musste nun mit bitterer Miene das Aus verkünden.

Das jahrelange Zittern um die Chipfabrik

Vor fast drei Jahren fiel der Startschuss für eines der ehrgeizigsten Investitionsvorhaben in den neuen Bundesländern -- die Chipfabrik in Frankfurt(Oder). Das Werk in Frankfurt (Oder) sollte nach den ursprünglichen Plänen eigentlich einmal 1.300 Arbeitsplätze bieten und mit Verfahren für Silizium-Germanium-Kohlenstoff-Strukturen (SiGe:C) arbeiten. Die entsprechenden Techniken wurden vom Institut für Halbleiterphysik (IHP) in Frankfurt (Oder) in Zusammenarbeit mit Motorola entwickelt. Hergestellt werden sollten in der Foundry SiGe:C-BiCMOS-Halbleiter in einem 0,18-µm-Prozess für Kommunikationsanwendungen. Mit dem Start des Prestige-Projekts im äußersten Osten Deutschlands begannen auch die Schwierigkeiten:

7.2.2001: Brandenburgs Wirtschaftsminister Wolfgang Fürniß (CDU) informiert die Öffentlichkeit erstmals über das Hightech-Projekt.

15.2.2001: Finanzministerin Dagmar Ziegler (SPD) wirft Fürniß vor, er habe die Auswirkungen des Projekts auf die Haushalts- und Finanzplanung "völlig unzureichend" dargestellt.

3.4.2001: Ein Anwohner des Chipfabrik-Geländes stellt einen Eilantrag auf Baustopp. Dieser wird abgelehnt.

24.4.2001: Die für April geplante Grundsteinlegung wird verschoben.

7.5.2001: Der Bau des Werkes beginnt -- ohne offiziellen Akt.

3.8.2001: Die Stellenausschreibung startet.

12.9.2001: Die Finanzierung des Projektes werde bis Jahresende stehen, verkündet Fürniß im Landtag.

5.2.2002: Die Finanzierungsverhandlungen befinden sich in der entscheidenden Phase, teilt Communicant mit.

12.2.2002: Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) bezeichnet den Bau der Chipfabrik als unverzichtbar.

5.3.2002: Das Potsdamer Kabinett beschließt eine indirekte Landesbeteiligung an der Chipfabrik.

28.3.2002: Die Investoren Intel und Dubai und die Investitionsbank des Landes Brandenburg unterschreiben die Vorverträge.

1.8.2002: Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sagt zu, den Grundstein für die Fabrik am 14. August zu legen.

14.8.2002: Grundsteinlegung- ohne den Kanzler - er wird von Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) vertreten.

30.10.2002: Die EU-Kommission genehmigt mehr als 370 Millionen Euro staatliche Beihilfen.

Dezember 2002: Die Bauarbeiten sind bis auf weiteres gestoppt.

17.7.2003: Trotz der weiter ausstehenden Entscheidung des Bund-Land- Bürgschaftsausschusses wird weitergebaut.

10.10.2003: Bürger beginnen Unterschriftensammlung für die Chipfabrik

18.11.2003: Bund-Land-Bürgschaftsausschuss reicht Entscheidung über Finanzierung der Chipfabrik an die zuständigen Ministerien weiter.

19.11.2003: Brandenburgs Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU) kündigt eine Entscheidung über die Bürgschaft "bis zum Wochenende" an und erklärt zugleich: "Ich bin nicht Herr des Verfahrens."

25.11.2003: Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) stellt in Aussicht, dass Brandenburg nochmals 38 Millionen Euro für die Chipfabrik aufbringt. Er spricht von massiven Fehlern bei der Planung des Vorhabens vor knapp drei Jahren.

27.11.2003: Platzeck und Junghanns sprechen davon, dass die geforderten Bürgschaftsauflagen für die Investoren nicht erfüllbar sind. "Deshalb kann ich nicht damit rechnen, dass das Projekt fortgeführt wird", kündigt Brandenburgs Wirtschaftsminister das Aus für das Chipfabrik-Projekt an. (anw)