Die Ein-Dollar-Hörhilfe für altersbedingten Hörverlust

Saad Bhamla möchte Hörgeräte so billig und einfach zugänglich machen wie heute eine Lesebrille.

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(Bild: Craig Bromley)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

„Wenn wir im Alter weitsichtig werden, gehen wir einfach in die Drogerie oder Apotheke und kaufen eine günstige Lesebrille“, sagt der Bioingenieur vom Georgia Institute of Technology. Für die häufigste Form von Altersschwerhörigkeit aber gebe es kein vergleichbares Angebot.

Als Bhamla vor 15 Jahren als Student seinen Großeltern Hörgeräte finanzieren wollte, musste er feststellen, dass sie für ihn unbezahlbar waren. Jetzt arbeitet er an einem günstigen Modell, das nur einen Dollar kosten soll – weniger als eine Flasche Wasser.

Ältere Menschen können meist hohe Töne über 1000 Hertz – etwa die Laute „s“ und „th“ – schlechter wahrnehmen. Allerdings ist die Hörverlustkurve nicht bei allen gleich. Ein modernes Hörgerät ist daher auf alle Eventualitäten ausgerichtet. Bei Bhamlas Variante ist das nicht möglich – was er aber nicht für ein großes Problem hält. „Wenn man sich die Hörverlustkurven von Patienten zwischen 65 und 79 Jahren anschaut, gibt es sehr viele mit einem ähnlichen Profil“, sagt er. „Ähnlich wie bei Brillen können wir also fünf, sechs Modelle mit verschiedenen Verstärkungen im Frequenzbereich oberhalb von 1000 Hertz designen.“ Diese könnte man anprobieren und testen wie eine Lesebrille.

TR 12/2020

Dieser Beitrag stammt aus Ausgabe 12/2020 der Technology Review. Das Heft ist ab 5.11. 2020 im Handel sowie direkt im heise shop erhältlich. Highlights aus dem Heft:

Hinzu kommen eine Reihe weiterer Vereinfachungen. So steckt die Elektronik seiner Hörgeräte in einem um den Hals tragbaren, 3D-gedruckten Gehäuse von der Größe einer Streichholzschachtel. Dort können Nutzer die Lautstärke regeln oder das Gerät ausschalten. „Für ältere Patienten ist es schwierig, die winzigen klassischen Hörgeräte zu bedienen. Wenn ihre Hände dann auch noch zittern, fallen die Geräte leicht runter und gehen verloren.“ Ein Mikrofon im Gehäuse fängt den Umgebungston ein, über einen Verstärker und einen Frequenzfilter werden dann gegebenenfalls nur die Töne oberhalb von 1000 Hz lauter. Der Ton kommt über einfache, kabelgebundene Kopfhörer ins Ohr.

Vor zehn Jahren waren solche Hörverstärker mit einem Stigma behaftet. „Heute laufen wir alle mit Kopfhörern herum, da gibt es keine Ablehnung mehr“, sagt der Bioingenieur. Wer sich selbst am 30-minütigen Selbstbau versuchen will, kann die Pläne kostenlos bei GitHub herunterladen. Der Preis für die Bauteile liegt bei 15 bis 20 Dollar. Mit Massenfertigung und ohne Spezialbatterien könnte er auf einen Dollar sinken.

Mit seinem Kollegen Soham Sinha und dem Audiologen Vinaya Manchaiah von der Lamar University im texanischen Beaumont unterzog Bhamla das Gerät ausführlichen Tests: Im Schnitt verstärkte es die hohen Frequenzen um 15 Dezibel, schützte vor plötzlichen, lauten Geräuschen wie Autohupen und minimierte störende Obertöne stärker, als es die Weltgesundheitsorganisation WHO für Hörgeräte empfiehlt. Insgesamt erfüllte es fünf der sechs WHO-Kriterien. Die Ergebnisse veröffentlichte das Team im Fachjournal „Plos One“ (DOI: 10.1371/journal.pone.0238922) „Wir konnten nur das Hintergrundsummen der Platine nicht auf die empfohlenen 32 dB senken, aber daran arbeiten wir noch“, sagt der Bioingenieur.

Der robust designte Prototyp steckte zwölf Stürze aus einer Höhe von 1,80 Meter weg und ist bis zu einer Tiefe von sechs Zentimetern für 15 Sekunden wasserdicht. Insgesamt hielt er anderthalb Jahre. Das klingt auf den ersten Blick nicht nach einer beeindruckenden Lebenserwartung. Aber auch Lesebrillen aus der Drogerie sind nicht für die Ewigkeit. Ein neues US-Gesetz würde den Verkauf ohne FDA-Zulassung ermöglichen, solange die Hörhilfe nicht als Hörgerät bezeichnet wird.

(bsc)