Undercover-Story: Wie Heilpraktiker einen Krebspatienten behandeln

Seite 2: Wird er mir abnehmen, dass ich todkrank bin?

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Nach der Recherche haben wir alle Heiler kontaktiert und sie darüber aufgeklärt, dass wir als Undercover-Journalisten bei ihnen waren – und sie gebeten, schriftlich Stellung zu beziehen. Uwe Reuter hat nicht die ihm gestellten Fragen beantwortet, sondern unsere Vorgehensweise infrage gestellt. "Inwieweit in unserem Bereich diese Recherche ethisch und wahr ist, müssen Sie mit sich selbst ausmachen."

Teuer wird es auch bei unserem nächsten Termin. Wir sind bei dem bekannten alternativen Arzt Klaus Maar in Düsseldorf. Die Praxis wirkt einladend, im Wartezimmer steht eine Schüssel mit frischem Obst. Ein Gästebuch liegt aus, in dem ehemalige Patienten den Doktor mit Lob überschütten. Klaus Maar strahlt Zuversicht aus. In seinem runzligen Gesicht thront eine große Nase, sein Haar ist beneidenswert dicht und schwarz für einen Mann seines Alters. "Na", sagt er mit seiner tröstlichen Stimme, "dann schildern Sie doch mal, was bei Ihnen war." Ich bin nervös. Wird er mir abnehmen, dass ich todkrank bin? Ich erzähle stotternd meine Geschichte. Er hört mir zu, schaut mich an, antwortet ruhig, nimmt sich Zeit – eine Aufmerksamkeit, die sich heute die wenigsten Schulmediziner leisten können, was einer der Gründe ist, der die Menschen in die Arme der alternativen Heiler treibt.

Schließlich rät Maar zu einer "Wärmetherapie", bei der der Tumor lokal erhitzt wird. Dabei ist Klaus Maar noch einer der seriöseren Heiler. Er rät nicht direkt ab von der Chemotherapie, mahnt aber vor den Nebenwirkungen. Am Ende empfiehlt er, sie zwei Wochen lang aufzuschieben und möglichst umgehend mit der 8000 Euro teuren Hitzebehandlung zu beginnen. "Aber nicht rauszögern, nicht, dass Sie mir die Schuld geben und sagen, ich habe die Chemotherapie verzögert", sagt Maar. So will er sich wohl absichern: Würde er mich erfolgreich von der Chemotherapie abbringen, könnten meine Hinterbliebenen ihn dereinst verklagen. Diese wachsweichen Formulierungen, auch sie begegnen mir immer wieder.

Als wir uns verabschieden, legt er seine Hand väterlich auf meine Schulter. "Jetzt strahlt er", sagt er. Auch Klaus Maar hat sich im Nachhinein nicht für seine Behandlungsmethode gerechtfertigt. Sondern per Fax mitgeteilt, die Kosten der Behandlung "ergeben sich aus einer 3wöchigen täglichen Behandlung von MO-FR täglich ca. 4 Stunden und werden analog zur GÖA berechnet", der Gebührenordnung für Ärzte. Wahrscheinlich hätte ich diese Behandlung überlebt. Meine Brieftasche war in Gefahr, nicht aber mein Leben. Das ändert sich beim nächsten Besuch. Die Heilpraktikerin Ursula Stoll hat sich auf die "Germanische Neue Medizin" spezialisiert

Ryke Geerd Hamer, ehemaliger Arzt, hat die Lehre Anfang der 1980er-Jahre als Reaktion auf die "jüdische" Schulmedizin begründet. Kein Wunder, dass sie sich in völkischen Kreisen großer Beliebtheit erfreut. Die abstrusen und gefährlichen Theorien von Hamer führten zum Entzug seiner Zulassung. Er praktizierte aber illegal weiter, mehrere seiner Patienten starben. Er wird international von der Polizei gesucht, in Deutschland liegt gegen ihn ein Haftbefehl wegen Volksverhetzung vor. 2007 floh Hamer nach Norwegen, wo er bis heute als Rektor einer Scheinuniversität auftritt und Bücher verlegt.

Selbst Ursula Stoll hält ihn für verrückt – nicht aber seine Theorie. Deren Kern: Alle Krankheiten seien Ausdruck eines Konfliktes. Hamer veranschaulicht das mit Beispielen aus dem Tierreich: Ein Hirsch, der aus seinem Revier verdrängt wird, erhöht den Blutdurchfluss zum Herzen, um Kraft zu haben und sein Gebiet zurückzuerobern. Dem Menschen ergeht es ähnlich, wenn er eine Erniedrigung erlebt. Doch er kann seine aufgestaute Energie nicht, wie das Tier, im Kampf freisetzen. Die sinnvolle Überschussreaktion führt zum Herzinfarkt. Stoll praktiziert in Öhringen, einem idyllischen Städtchen im Norden von Stuttgart, in ihrem unscheinbaren Einfamilienhaus. Sie trägt ein weißes Hemd und eine Hornbrille, die braunen Haare hat sie zu einem Zopf zusammengesteckt, eine akkurate Gouvernante mit strengem Blick.

Auch ihr erzähle ich von meinem Leiden, doch sie unterbricht mich schnell: "Was ist Krebs?", fragt sie. Man müsse sich von dem Begriff verabschieden. Krebs als solchen gebe es nicht. Ich habe erst mal nur eine Schwellung der Lymphknoten am Hals. Punkt.

Die Ursache: eine Selbstabwertung, und zwar beruflicher Art. Bei mir käme noch eine existenzielle Angst dazu, und wie ein Fisch an Land lagere ich Wasser in meinen Körper ein, um zu überleben. Daher die geschwollenen Lymphknoten. Metastasen? Gebe es nicht. Den ärztlichen Befund? Überfliegt sie beiläufig. Stattdessen fragt sie: Haben Sie geschwitzt, als Sie krank waren? Hat der Schweiß gerochen? Hatte er eine Farbe? Wo genau war der Juckreiz?

Ich erzähle ihr von einem Vortrag, der meinem Chef nicht gefallen hat. Ja! Das könne der Grund der Krebserkrankung sein. Meine Symptome seien eine Reaktion auf diese Kränkung, mein Körper versuche, sich selbst zu heilen, doch die erste Chemotherapie habe den Vorgang unterbrochen und gestört.

Ihr Rat, um den Krebs zu besiegen: Ich soll wieder zu meinen Eltern ziehen, das Leben als Single ĂĽberfordere mich, Berlin sei ohnehin eine furchtbare Stadt. Und ich soll lernen, mich selbst zu lieben.