Die X-Akten der Astronomie: Der unmögliche Weiße Zwerg

Seite 2: Auftritt KIC 8145411

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Das Doppelsternsystem KIC 8145411 nun wurde vom Weltraumteleskop Kepler entdeckt, es besteht aus einem Weißen Zwerg, der einen sonnenähnlichen Stern umkreist. Wir schauen genau auf die Kante der Umlaufbahn, sodass der Weiße Zwerg bei jedem Umlauf einen Transit vor dem Primärstern vollführt. Die Schwerkraft des Weißen Zwergs ist dabei so groß, dass er das Licht des Primärsterns im Transit wie ein Linse bündelt und ihn somit nicht abschattet, sondern heller erscheinen lässt, ein sogenanntes selbstlinsendes System; man beobachtet diesen Gravitationslinseneffekt üblicherweise nur bei sehr verschieden weit entfernten Sternen, bei denen der nähere zufällig die Sichtlinie zum entfernteren kreuzt und diesen ein paar Stunden bis Tage lang aufleuchten lässt.

Die beiden von Kepler gemessenen Aufhellungen des Primärsterns im System KIC 8145411 im Abstand von 910 Tagen – einen Puls dazwischen verpasste Kepler. Auf der senkrechten Achse der Lichtstrom, wobei die Helligkeit des Systems außerhalb von Transits und Bedeckungen auf 1 normiert wurde („Normalized Flux“). Die blauen Punkte entsprechen den Messdaten nach Korrektur von Störungen. In der Aufhellung wird der Lichtstrom maximal etwa 1 ‰ heller. Die Linien entsprechen Modellen mit verschiedenen von den Autoren aus Beobachtungen mit anderen Teleskopen abgeleiteten Größen des Systems, wobei die rot gestrichelte Linie das Modell mit der besten Übereinstimmung zu den Daten repräsentiert. Subtrahiert man dieses Modell von den Daten, ergibt sich die Gerade im unteren Teil der Graphen, um welche die Daten durch die unvermeidlichen Messfehler streuen („Residual“). Die Zeit ist wie in der Astronomie üblich im Julianischen Datum gemessen, einer fortlaufenden Tageszählung, wobei Tag 2454833 hier als Nullpunkt gewählt wurde; das ist der 1. Januar 2009 – im März 2009 begannen die Beobachtungen von Kepler.

(Bild: Masuda, Kawahara et al., CC BY 3.0)

Schematische Darstellung des Systems von KIC 8145411. Der große Primärstern wird vom kleineren Weißen Zwerg umkreist, der ihn einmal pro Orbit im Transit passiert und einen halben Orbit später von ihm bedeckt wird. Die Helligkeit des Weißen Zwergs ist so gering, dass die Bedeckung im Messrauschen von Kepler unterging, jedoch beobachtete Kepler eine Aufhellung im Transit, weil die Schwerkraft des weißen Zwergs das Licht des Sterns um sich herum bündelt, hier als aufgehellte Delle dargestellt.

(Bild: Autor)

Der Weiße Zwerg selbst ist so lichtschwach, dass seine Bedeckungen durch den Hauptstern für Kepler unsichtbar waren. Da er den Hauptstern jedoch bei seinem Umlauf mächtig hin- und herzerrt, was sich als periodisch variierende Dopplerverschiebung der dunklen Absorptionslinien im Spektrum des Sterns beobachten lässt, konnte ein US-japanisches Team von Wissenschaftlern der Universitäten Princeton/New Jersey, Harvard & Smithsonian, Cambridge/Massachusetts, und Tokio seine Masse bestimmen: in ihrer im August 2019 veröffentlichten Arbeit geben sie 0,2±0,01 Sonnenmassen an.

0,2 Sonnenmassen? Sagte ich nicht vorhin, dass es solche Sterne nicht geben kann?

Doch, es gibt eine Hintertür für die Entstehung solch ultraleichter Weißer Zwerge: Wenn der allmählich wachsende Rote Riesenstern einen engen Begleitstern hat, kann sein Gas zum Nachbarstern hinüberfließen und den Kern freilegen, wenn er noch klein ist. Zahlreiche solcher Sternsysteme sind bekannt (siehe Bild), sie haben Umlaufzeiten von weniger als 10 Tagen und ihr Lichtwechsel beim Umlauf zeigt manchmal das Profil eines von der Schwerkraft des engen Begleiters elliptisch in die Länge gezogenen Primärsterns.

Das Problem bei KIC 8145411 ist allerdings, dass seine Umlaufzeit 455 Tage beträgt, woraus ein Abstand der Sterne von 1,28 Astronomischen Einheiten folgt – der 1,28-fache Abstand der Erde von der Sonne. Viel zu viel für einen Massentransfer, denn ein Riesenstern mit einem entarteten Kern von 0,2 Sonnenmassen kann höchstenfalls 9 Sonnenradien oder 0,04 Astronomische Einheiten durchmessen. Das macht ihn in der Grafik oben links in der Ecke sehr einsam.

Die Umlaufzeiten in Tagen von Weißen Zwergen (sowie 10 Pulsaren als blaue Stern-Symbole) in Doppelsternsystemen über ihrer Masse aufgetragen. Die Umlaufzeiten dienen als Maß für die Entfernung der Sterne zueinander. Punkte verschiedener Farbe gehen auf verschiedene Datenquellen zurück. Die graue durchgezogene Linie entspricht der maximalen Entfernung, in welcher der Stern in seiner Roter-Riese-Phase noch kontinuierlich Masse an den umkreisten Partner übertragen kann. Offensichtlich passen die mit gewissen Unsicherheiten (waagerechte Fehlerbalken um die Messpunkte) behafteten Massen fast aller Objekte sehr gut zu der Annahme, dass sie ihre Wasserstoffhüllen durch Massentransfer an ihre Primärsterne verloren haben, denn sie sind alle rechts unterhalb der grauen Linie (rechts: Roter Riese größer, unterhalb: Entfernung kleiner als nötig für den Massentransfer). KIC 8145411 ist allerdings ein einsamer Außenseiter tief im Bereich einer zu kleinen Masse bei zu großer Umlaufzeit für einen Massentransfer.

(Bild: Masuda, Kawahara et al., CC BY 3.0)

Könnte es sich einfach um einen Messfehler handeln? Die Masse des Weißen Zwergs ist nur im Verhältnis zur Masse des Primärsterns bekannt, und diese wird aus dessen Oberflächendruck und Temperatur (die sich aus den Spektrallinien sehr genau bestimmen lassen) ermittelt. Damit der Weiße Zwerg plausiblere 0,4 Sonnenmassen hätte, müsste der Hauptstern 3,3 Sonnenmassen haben. Dann wäre er aber kein sonnenähnlicher gelber G-Stern, sondern ein viel hellerer weißer oder blauweißer Stern der Spektralklassen A oder B – das hätte man gemerkt.

Die Masse des Weißen Zwergs wiederum wird aus der Geschwindigkeit bestimmt, mit der er den Stern hin- und herzerrt, und die lässt sich aus der periodischen Dopplerverschiebung seiner Spektrallinien ermitteln, die sich zum Roten verschieben, wenn der Stern sich von uns wegbewegt, und zum Blauen, wenn er sich uns nähert.

Künstlerische Darstellung des Gravitationslinseneffekts bei KIC 8145411

(Bild: NASA/JPL-Caltech)

Wie könnte also ein Massentransfer zwischen den Sternen zustande gekommen sein? Möglicherweise könnte ein unentdeckter oder aus dem System geschleuderter dritter Stern involviert gewesen sein, der die Umlaufbahn des später als Weißer Zwerg endenden Roten Riesen stark elliptisch gemacht haben könnte, sodass er dem Primärstern viel näher kam als heute.

Alternativ könnte der dritte Stern den Weißen Zwerg bei einer Begegnung von einer engen Umlaufbahn auf eine höhere angehoben haben und selbst in den G-Stern gestürzt sein. Dazu passt allerdings nicht, dass die Umlaufbahn des Weißen Zwergs fast perfekt kreisförmig ist, ein Begleitstern kann nur die der Begegnung gegenüberliegende Seite dessen Orbits anheben, der Weiße Zwerg müsste danach unweigerlich wieder an den Ort der Interaktion in der Nähe des Hauptsterns zurückkehren und somit auf einer stark elliptischen Bahn verbleiben.