Die unsichtbare Gefahr

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Eine Frage der Dosis: vom "Strahlenkater" zum Strahlentod

Erste Probleme können schon unterhalb von 200 Millisievert auftreten: Durch die Strahlung kann es zu Schäden im Erbgut kommen, die zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise zu Krebs führen. Im Unterschied zu diesen sogenannte "stochastischen Strahlenschäden", deren Auftreten mit steigender Dosis wahrscheinlicher wird, aber nicht sicher ist, spricht man oberhalb von 200 Millisievert von deterministischen Schäden - die zwangsläufig passieren, wenn genügend Zellen geschädigt werden.**

Bis 500 Millisievert treten äußerlich noch keine Symptome auf, allerdings sinkt die Zahl der weißen Blutkörperchen, die für die Abwehr von Infektionen zuständig sind. Zwischen 500 Millisievert und 1,0 Sievert kommt es zum sogenannten "leichten Strahlenkater", bei dem die niedrige Blutkörperchenzahl mit einem erhöhten Infektionsrisiko einhergeht und Symptome wie Kopfschmerzen, aber auch schon eine vorübergehende Unfruchtbarkeit bei Männern auftreten können.

Ab einer Strahlendosis von 1,0 Sievert ist mit der sogenannten "akuten Strahlenkrankheit" zu rechnen, die manchmal noch in drei Stufen unterteilt wird. Generell gilt: Je höher die Dosis und je schwerer das Strahlensyndrom, desto schneller treten die Auswirkungen auf und desto kürzer ist die symptomfreie Latenzzeit zwischen den ersten unspezifischen Symptomen – wie Übelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen – und deutlichen Symptomen wie Haarausfall oder Schäden im Knochenmark, den Schleimhäuten des Magen-Darm-Traktes und des zentralen Nervensystems. Zudem steigt statistisch gesehen der Anteil der Betroffenen, die innerhalb von 30 Tagen nach der Verstrahlung an den Folgeschäden sterben.

Ab Werten zwischen 1,0 bis 2,0 Sievert sprechen Experten von einer leichten Strahlenkrankheit. Erste Symptome wie Übelkeit und Erbrechen können bereits innerhalb weniger Stunden auftreten. Nach einer Übergangsphase von etwa zwei Wochen, in der die Symptome abklingen, folgen weitere Probleme wie Appetitlosigkeit, Ermüdung und fast immer werden die betroffenen Männer vorübergehend unfruchtbar. Laut Statistik stirbt jedes zehnte Opfer innerhalb des ersten Monats.

Dosen zwischen 2,0 bis 4,0 Sievert führen zu der sogenannten schweren Strahlenkrankheit, deren unspezifischen Symptome – ähnlich wie bei der leichten Strahlenkrankheit – bereits nach einer Stunde auftreten. Nach der Erholungsphase kommt es dann häufig zu schwereren Gesundheitsschäden wie Haarausfall, Durchfall, einem – durch die rapide gesunkene Zahl der weißen Blutkörperchen hervorgerufenen – stark erhöhten Infektionsrisiko, Blutungen der Mundschleimhaut, unter der Haut sowie in den Nieren. Frauen können dauerhaft steril werden. Ein Drittel bis die Hälfte der Betroffenen stirbt noch im ersten Monat.

Ab 4,0 Sievert tritt die akute Strahlenkrankheit sehr schnell auf, die ersten Symptome machen sich schon innerhalb von einer halben Stunde bemerkbar. Später kommt es zu ähnlichen Auswirkungen wie bei der schweren Strahlenkrankheit, allerdings treten sie nun viel häufiger auf. Fast zwei Drittel der Betroffenen erliegen den schweren Blutungen und Infektionen innerhalb von 30 Tagen. Die Angestellten im Atomkraftwerk von Tschernobyl waren offenbar einer Strahlendosis von etwa 5,5 Sievert ausgesetzt. Ab dieses Dosisstufe kann unter Umständen nur noch eine Knochenmarktransplantation helfen.

Oberhalb von 6,0 Sievert wird es noch dramatischer. Die Wirkung der Verstrahlung tritt fast umgehend, innerhalb von Minuten ein. Die darauf folgende scheinbare Erholung wird als "Walking Ghost"-Phase bezeichnet, denn in Wirklichkeit sind diese Menschen fast unweigerlich einem schnellen Tod innerhalb von maximal zwei Wochen geweiht. Ihr Knochenmark ist so stark zerstört, dass nur noch eine Transplantation sie retten kann. Auch die Magen-Darm-Schleimhaut ist schwerstens geschädigt.

Ab 10 Sievert nimmt die Schwere der Symptome weiter zu und der Tod tritt immer früher ein. Der Magen-Darm-Trakt wird immer schwerer geschädigt, neben Darmblutungen kämpfen die Opfer mit einem hohen Wasser- und Elektrolytverlust, bis sie schließlich innerhalb von drei bis sieben Tagen an Kreislaufversagen sterben. Ab dem extremen Wert von 50 Sievert tritt der Tod nach schweren Schäden am zentralen Nervensystem innerhalb von wenigen Stunden ein, ab 80 Sievert praktisch sofort.

* Cäsium reichert sich nicht nur in der Schilddrüse an, wie wir in der ersten Fassung geschrieben haben. Neben dieser Korrektur haben wir auch die verschiedenen Halbwertszeiten der radioaktiven Isotope ergänzt, die sich im Körper anreichern.

** In der urprünglichen Fassung stand irrtümlich, dass "erste Gesundheitsschäden schon ab 200 Millisievert" statt "unterhalb von 200 Millisievert" auftreten können. Ergänzend wurde die Unterscheidung zwischen diesen "stochastischen" Schäden (können auftreten) und den ab 200 Millisievert auftretenden deterministischen Schäden (werden auftreten) eingefügt.

Eine aktualisierte Chronologie der Ereignisse im AKW Fukushima I gibt es hier. (vsz)