Emissionshandel: Deutschlands Kosten für fehlenden Klimaschutz

Deutschland verfehlt offenbar seine Klimaziele. Schon 2022 musste es dafür erstmals Geld an andere EU-Staaten zahlen – und kam damit noch billig davon.

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Kraftwerk Bremen-Hastedt

(Bild: heise online / anw)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Emissionszertifikate für knapp 11,4 Millionen Tonnen CO2 hat Deutschland von Ungarn, Tschechien und Bulgarien erworben. Dies geschah im Rahmen der "Effort Sharing Decision" der EU. Seit 2013 ermöglicht das Programm einen Handel mit Emissionsrechten zwischen den EU-Staaten. Wer seine Klimaziele übererfüllt, kann seine überschüssigen Zertifikate weiterverkaufen (siehe Kasten am Ende).

In den ersten Jahren fand kaum Handel statt, weil fast alle Länder ihre Ziele erreichten. Lediglich Malta musste regelmäßig Zertifikate von Bulgarien kaufen. Deutschland lag in den ersten Jahren noch im Plus, doch irgendwann war der Überschuss aufgebraucht. Kürzlich musste es deshalb erstmals in die Kasse greifen (siehe Tabelle).

Effort Sharing 2013 – 2020
Käufer Verkäufer Datum t CO2
Deutschland Bulgarien 16.11.2022 3.789.668
Deutschland Ungarn 10.11.2022 3.789.668
Deutschland Tschechien 01.11.2022 3.789.668
Irland Slowakei 16.02.2023 4.149.944
Malta Bulgarien 2017 - 2022 1.366.610
Quelle: EU (Transaction type = 10, Supp Transaction Type = 15)

"Das ist eine nachträgliche Ohrfeige für die schwache Klimapolitik der Großen Koalition und ein Warnschuss für Deutschland insgesamt", sagte Europa-Staatssekretär Sven Giegold (Grüne) laut Pressemitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums. Was das Ganze kostet, darüber gibt die Mitteilung nur vage Auskunft. Von "mehreren Millionen Euro" ist dort die Rede. Wer es genauer wissen will, muss lange suchen. Die Summe taucht gut versteckt auf Seite 678 des Bundeshaushalts von 2022 auf (Kapitel 0903, Titel 541 41): gut 13,5 Millionen Euro.

Abgesehen von der Peinlichkeit, als einziges Land neben Malta und Irland seine Klimaziele nicht erreicht zu haben, kommt Deutschland damit ziemlich billig davon. Dafür gibt es zwei Ursachen. Zum einen wurden beim CO₂-Überschuss von 11,4 Millionen Tonnen weniger Zertifikate benötigt als erwartet. Schätzungen waren zuvor von 22 bis 40 Millionen Tonnen CO₂-Überschuss ausgegangen. Zum Vergleich: Der deutsche Gesamtausstoß betrug 2020 rund 731 Millionen Tonnen CO₂.

Zum anderen waren die Zertifikate spottbillig – nur etwas mehr als ein Euro pro Tonne. Im "regulären" Emissionshandel der EU (siehe Kasten am Ende) liegt der Kurs derzeit bei rund 85 Euro. Hätte Deutschland die Zertifikate zu diesem Preis ankaufen müssen, wäre fast eine Milliarde Euro fällig gewesen.

Das nun überwiesene Geld wird zweckgebunden ausgegeben: "Ungarn wird die Anschaffung zusätzlicher elektrisch betriebener Stadtbusse im öffentlichen Personenverkehr fördern, in Tschechien wird die energetische Sanierung von Eigenheimen und in Bulgarien die Sanierung von Schulen und anderer öffentlicher Gebäude unterstützt", erklärt das Bundeswirtschaftsministerium.

Warum aber nun genau diese drei Länder den Zuschlag bekommen haben, ist völlig intransparent. Vielleicht machten sie die günstigsten Angebote, vielleicht gefielen den zuständigen Beamten und Politikern die geplanten Projekte besonders gut – man weiß es nicht.

Ebenso undurchsichtig ist die Preisbildung. Denn anders als beim herkömmlichen Emissions-Börsenhandel gibt es keinen öffentlichen Markt, sondern nur bilaterale Verhandlungen zwischen Käufern und Verkäufern. "Eine Verpflichtung zur Veröffentlichung der vereinbarten Preise besteht nicht", teilt die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) auf Anfrage mit.

Für die zurückliegende Handelsperiode von 2013 bis 2020 kritisierte der Bundesrechnungshof, dass das Bundesumweltministerium den Bundestag "in Anbetracht absehbarer Zielverfehlungen nicht über zu erwartende Belastungen im Bundeshaushalt unterrichtet hatte", sagte der Pressesprecher Jens Hamer gegenüber MIT Technology Review. Das Ministerium argumentierte, es habe dem Parlament keine Preise nennen können, weil dies die Verhandlungsposition Deutschlands verschlechtert hätte. Dies will der Bundesrechnungshof nicht gelten lassen: Das Ministerium habe "die Möglichkeit nicht geprüft, die aus seiner Sicht zu schützenden Daten zu anonymisieren oder zu aggregieren", heißt es in einer Mitteilung.

Für die aktuelle Handelsperiode von 2021 bis 2030 ist nicht mehr das Umwelt-, sondern das Wirtschaftsministerium zuständig. Doch das Problem mit der intransparenten Preisbildung dürfte bleiben – und sich sogar noch verschärfen. In der neuen Handelsperiode ändere sich die Lage "dramatisch", warnt das Öko-Institut. Unter anderem, weil die Emissionen insgesamt stärker sinken sollen als bisher (siehe Kasten am Ende) – und weil sich Einsparungen aus der Vergangenheit nur noch eingeschränkt anrechnen lassen.

Staatssekretär Giegold warnt: "Bei weiterem Verfehlen unserer Klimaziele werden wir weit höhere Strafzahlungen begleichen müssen." Die Gegenstrategie des Bundeswirtschaftsministeriums ist schlicht: "Der Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung sieht vor, zukünftig Ankäufe unter der EU-Lastenteilung zu vermeiden", teilt es auf Anfrage mit.

Angesichts der aktuellen Projektionen vom Öko-Institut und weiteren Forschungspartnern im Auftrag des Umweltbundesamtes klingt das ziemlich hemdsärmelig. "Mit den aktuell beschlossenen Klimaschutzmaßnahmen erreicht Deutschland sein selbstgestecktes Klimaziel bis 2030 – 65 Prozent Treibhausgase im Vergleich zu 1990 weniger zu emittieren – nicht", teilt das Öko-Institut mit. "So käme Deutschland lediglich auf eine Minderung von 63 Prozent. Insgesamt bleibt eine Lücke von 331 Millionen Tonnen Treibhausgasen." Bis 2045 werde die Treibhausgasneutralität "vollständig verfehlt". Mit den aktuell beschlossenen Maßnahmen verblieben dann noch 212 Millionen Tonnen Treibhausgase zu viel in der Atmosphäre.

Während der Energiesektor laut Studie seine Ziele übererfüllt, reißen Verkehr, Industrie und Gebäude die Ziele deutlich. Ab 2027 oder 2028 sollen auch diese Sektoren einem europaweiten Börsenhandel für Emissionsrechte ("ETS 2") unterliegen – parallel zum bestehenden ETS, der vor allem Energiewirtschaft und Teile der Schwerindustrie umfasst. Die Auswirkungen auf das Effort Sharing seien noch unklar. "Das wird interessant", meint Sabine Gores vom Öko-Institut gegenüber MIT Technology Review.

Eines jedoch ist sicher, wenn es um die Kosten für den Klimaschutz geht: Kein Klimaschutz wird auch teuer. Die Defizite im Rahmen des Effort Sharings beziffert der Projektionsbericht auf 152 Millionen Tonnen – und das sogar in einem Szenario, das nicht nur alle geplanten Instrumente berücksichtigt, sondern auch alle weiteren Maßnahmen , die eine realistische Chance haben, verabschiedet zu werden. "Wie viel man für das Defizit wird zahlen müssen, ist noch nicht klar", sagt Sabine Gores "Die Kosten pro Defizittonne können von 50 Euro bis mehrere hundert Euro reichen."

So günstig wie bisher wird es wohl nie wieder, seine Klimaziele zu verfehlen.

Effort Sharing Decision ("Lastenausgleich")
  • Regelt den Handel von "Annual Emission Allocations" (AEA) zwischen EU-Ländern
  • Betrifft Emissionen, die nicht vom Emissions-Börsenhandel ETS (u.a. Energie, Großindustrie) abgedeckt werden. In Deutschland umfassen diese „Non-ETS-Emissionen“ (u.a. Verkehr, Landwirtschaft, Gebäude, Abfall) rund die Hälfte des gesamten Treibhausgas-Ausstoßes.

Einsparziele gegenüber 2005 (abhängig von der Wirtschaftskraft der einzelnen Länder):

  • Handelsperiode 2013 – 2020 ("Effort Sharing Decision"): EU-Durchschnitt: 10 Prozent; Deutschland: 14 Prozent
  • Handelsperiode 2021 – 2030 (“Effort Sharing Regulation“): EU-Durchschnitt: 30 bis 40 Prozent; Deutschland: 38 bis 50 Prozent (genaue Ziele noch in der Verhandlung)

Update, 23.8.2023, 10 Uhr: Aktualisierung des letzten Absatzes.

(grh)