Autohersteller endlich elektrisch

Fast alle großen europäischen Hersteller haben für 2020 mindestens ein Elektroauto angekündigt. Ihr Verband scheint von deren Erfolg aber nicht überzeugt zu sein, denn er fordert mehr staatliche Unterstützung.

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(Bild: Volkswagen AG)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Sascha Mattke
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Die europäische Autoindustrie hat gekämpft und verloren – und beginnt jetzt einen neuen Kampf: Nachdem es den Herstellern nicht gelungen ist, immer strengere CO2-Grenzwerte der EU für ihre Autos zu verhindern, fordert sie jetzt mehr staatliche Unterstützung für Elektroautos. "Die Regierungen der EU müssen ihre Investitionen in Ladeinfrastruktur erhöhen und erhebliche und dauerhafte Anreize zur Stimulierung des Verkaufs von Autos mit alternativen Antrieben schaffen", heißt es in einer neuen Studie der European Automobile Manufacturers Association (ACEA).

BMW iX3, Mercedes EQV, Opel Corsa e, Peugeot e-208, Porsche Taycan, Skoda Citigo e oder VW ID3: Dies ist nur eine Auswahl aus den vielen reinen Elektroautos, die auf der diesjährigen IAA präsentiert wurden und spätestens im Jahr 2020 auf den Markt kommen sollen. Der Grund dafür allerdings ist weniger, dass die Hersteller ihre Liebe zum Fahren mit Strom entdeckt hätten. Stattdessen dürften sie darauf spekulieren, mit elektrischer Hilfe um erhebliche Strafzahlungen herumzukommen.

Denn ab 2020 gilt EU-weit ein stark verschärfter Grenzwert für die CO2-Emissionen von Autos, der mit Verbrennungsmotoren allein kaum zu erreichen sein dürfte. Maximal 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer dürfen neu zugelassene Autos dann noch ausstoßen, wobei zunächst nur die 95 Prozent effizientesten Fahrzeuge jedes Herstellers berücksichtigt werden, ab 2021 aber seine gesamte Flotte.

Gemessen an den für 2018 berechneten gut 120 Gramm pro Kilometer muss sich bis 2020/21 noch viel tun – und von da an geht es mit einer weiteren Reduktionsvorgabe um 25 Prozent bis 2025 und um insgesamt 37,5 Prozent bis 2030 ambitioniert weiter. Und die EU macht Ernst: Bei einer Überschreitung der zulässigen Maximalemissionen in der Flotte drohen mit dem Inkrafttreten der 95-Gramm-Grenze erhebliche Strafen. Pro Gramm und Fahrzeug werden 95 Euro berechnet, was sich bei großen Herstellern schnell auf mehrere Milliarden summieren kann.

Elektroautos in Deutschland (70 Bilder)

Volkswagen liefert seit September 2020 mit dem ID.3 den ersten Elektro-Pkw seiner Großoffensive auf dem E-Sektor aus.
(Bild: heise Autos)

Mit Elektroautos können sie buchstäblich doppelt etwas dagegen tun. Zum einen bezieht sich die EU-Vorgabe auf die Emissionen im Fahrbetrieb, die bei elektrischer Fahrt nicht vorhanden sind – wer 2 Millionen Autos verkauft, von denen die Hälfte Verbrenner mit 190 Gramm CO2 pro Kilometer sind und die andere Hälfte rein elektrisch, würde auch so den Grenzwert einhalten. Zudem wird jedes verkaufte Elektroauto im Jahr 2020 bei der CO2-Berechnung für die Flotte sogar zweimal gezählt, 2021 noch 1,66-mal und 2022 dann 1,33-fach.

Die vielen neuen E-Modelle kommen also zur richtigen Zeit, was keineswegs Zufall sein dürfte. Schließlich gibt es mit Tesla bereits seit Jahren einen reinen Elektroauto-Hersteller, der sich über mangelnde Nachfrage nach seinen Fahrzeugen nicht beklagen kann, obwohl sie relativ teuer sind.

Die Konkurrenten dagegen kommen überwiegend erst jetzt mit elektrischen Autos auf den Markt – und offenbar fürchtet die Branche, dass sie nicht genügend Absatz finden werden, wenn der Staat nicht nachhilft. Laut der ACEA-Studie lag der Elektro-Anteil in Europa Ende 2018 bei 2 Prozent, wobei darin auch Plugin-Hybride eingerechnet sind.

Außerdem zeigt die Analyse: Die Verbreitung von Elektroautos und Hybriden zum Einstöpseln (zusammen als elektrisch aufladbare Autos bezeichnet) hängt eng mit dem Wohlstand in den einzelnen Ländern und mit der Verfügbarkeit der nötigen Ladeinfrastruktur zusammen. So liegt der Anteil der elektrischen Autos in EU-Staaten mit einem BIP pro Kopf unter 29.000 Euro laut ACEA jeweils unter 1 Prozent. Und auch, wenn in einem Land weniger als ein Ladepunkt pro 100 Straßenkilometer zu finden ist, wird in den meisten Fällen nur dieser niedrige Anteil erreicht.

Dass die Neigung zu elektrischem Fahren stark von finanziellen Faktoren abhängt, zeigt auch eine weitere Statistik: Gut 80 Prozent aller Elektroautos und Plugin-Hybride werden bislang in sechs Mitgliedsstaaten zugelassen, deren Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung zur höchsten in der EU zählt. Ein Extremfall in Europa ist dabei Norwegen, das allerdings nicht zur EU gehört. Das BIP pro Einwohner ist hier mit 73.200 Euro doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt – und der Anteil aufladbarer Autos an den Neuwagen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres betrug dank Einführung von Teslas Model 3 fast 50 Prozent.

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Bei der Ladeinfrastruktur zeigt sich eine ähnlich deutliche Korrelation zum Elektro-Anteil, wobei sich hier weniger leicht erkennen lässt, was Ursache ist und was Wirkung. Ladesäulen lassen sich viel schneller installieren, als ein Land reicher werden kann – möglicherweise folgt die Infrastruktur hier also eher der Verbreitung als umgekehrt. Jedenfalls hält der ACEA fest, dass die Zahl der Ladesäulen nach einer konservativen Schätzung der EU-Kommission bis 2030 um den Faktor 20 gesteigert werden muss.

Darüber hinaus fordert der Verband mehr finanzielle Anreize für Elektroautos. Zuschüsse oder Prämien für den Kauf wurden für die Studie nur in 12 der 28 EU-Mitgliedsländer identifiziert, in Kroatien, Estland, Litauen und Polen gibt es bislang nicht einmal Steuervergünstigungen. Auf der anderen Seite ist großzügige staatliche Förderung aber ohnehin keine Garantie für hohen E-Absatz: In Rumänien und Slowenien können Käufer bis zu 11.500 bzw. 7.500 Euro dazubekommen – und trotzdem liegt der elektrische Anteil in beiden Ländern unter 1 Prozent.

(sma)