Erderwärmung: Wie Wüstenstaub und Industrieabgase bislang das Klima abkühlten

Die Effekte von Aerosolen in der Atmosphäre tragen nicht unerheblich zur Verlangsamung der Erderwärmung bei, sagt Klimaforscher Jasper Kok im TR-Interview.

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(Bild: Dewald Kirsten / Shutterstock.com)

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Inhaltsverzeichnis

Der Atmosphärenphysiker Jasper Kok ist Associate Professor im Fachbereich Atmosphären- und Meereswissenschaften der University of California in Los Angeles (UCLA). Im Interview mit MIT Technology Review spricht er über seine neue Studie zu Staub in der Erdatmosphäre – und die Frage, welche Klimaeffekte der hat – beziehungsweise hatte.

Herr Professor Kok, Sie und Ihr Team haben herausgefunden, dass Staub in der Atmosphäre uns offenbar vor noch schwerwiegenderen Auswirkungen der Erderwärmung bewahrt hat. Wie sind Sie zu dieser Erkenntnis gekommen?

Jasper Kok ist Atmosphärenphysiker an der UCLA.

(Bild: UCLA)

Dass solche Partikel einen Kühlungseffekt in der Atmosphäre haben, weil sie das Sonnenlicht im Rahmen des Treibhauseffektes ablenken, ist schon lange bekannt. Wir wussten aber nicht genau, wie die Bilanz aussieht, also ob es wirklich einen mildernden Effekt auf den Klimawandel hatte. Wir haben das nun errechnet und kommen auf der Grundlage des derzeitigen Wissens zu dem Schluss, dass das Klimasystem dadurch höchstwahrscheinlich in seiner Gesamtheit abgekühlt wurde. Wir haben dazu alle möglichen Auswirkungen von Staub auf das Klimasystem kalkuliert. Und da gibt es sehr viele. Zum Beispiel streut Wüstenstaub das Licht zurück in den Weltraum, was abkühlt, er tangiert aber auch beispielsweise das Entstehen von Wolken auf eine Reihe verschiedener komplexer Arten. Umgekehrt dient er als Senke für anthropogene Verschmutzungen wie Sulfate und Nitrate in der Atmosphäre, die andernfalls Partikel erzeugen und abkühlend wirken würden. Hier steigt also wiederum das Wärmepotenzial.

Sie haben außerdem untersucht, wie sich die Staubkonzentration verändert. Bislang stieg sie an.

Das kann man zum Beispiel an Eisbohrkernen sehen, wenn man in das Eis hineinbohrt und unterschiedliche Staubkonzentrationen in verschiedenen Eisschichten feststellt, die mit verschiedenen Jahren korrespondieren. Bei etwa 20 dieser verschiedenen Messungen auf der ganzen Welt haben wir festgestellt, dass die meisten davon zeigen, dass der Staub im Laufe der Zeit zugenommen hat.

Daraus schließen wir, dass verschiedene große natürliche Staubproduktionsgebiete wie Nordafrika, die Wüste Sahara, die Wüste Gobi, die Wüsten Zentralasiens und Amerikas seit ungefähr Mitte des 19. Jahrhunderts mehr Partikel abgesondert haben, etwa 50 bis 60 Prozent mehr. Dieser Kühleffekt hat also zugenommen. Und das hat die Erwärmung durch Treibhausgase teilweise ausgeglichen.

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Was passiert da?

Im Allgemeinen ist die Klimaerwärmung ein Kampf zwischen den Treibhausgasen, die den Planeten erwärmen, und den Aerosolen. Feinstaub kühlt also den Planeten ab. Wüstenstaub ist eine dieser Arten von Aerosolen. Und dann gibt es noch eine ganze Reihe von Aerosolen, die vom Menschen erzeugt werden. Das sind insbesondere Sulfataerosole, die bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe entstehen.

Wie hoch ist der kühlende Effekt?

Wir haben kalkuliert, dass dies etwa ein Drittel der Erwärmung durch den Treibhauseffekt kompensiert haben könnte. Etwa 10 Prozent dieses Drittels sind auf die Zunahme natürlichen Staubes wie dem aus der Wüste zurückzuführen, aber die anderen 90 Prozent stammen aus Stoffen wie Sulfaten, die durch menschliches Handeln zugenommen haben.

Im Laufe der Zeit hat dann aber die Luftverschmutzung abgenommen, was auch dazugeführt hat, dass die die Aerosolkonzentration abgenommen hat?

Die Sulfate haben um das Jahr 2000 herum ihren Höhepunkt erreicht. Die Abkühlung, der Schutz, den wir durch diese Aerosole hatten, ist also weggefallen. Und das ist womöglich einer der Gründe dafür, dass sich das Klima in den letzten Jahrzehnten so schnell erwärmt hat – schneller als früher.

Auch beim Wüstenstaub haben Sie eine Abnahme festgestellt, nachdem er seit Mitte des 19. Jahrhunderts zugenommen hatte.

Dieser atmosphärische Staub hat offenbar in den Achtzigerjahren seinen Höhepunkt erreicht und geht seitdem zurück. Warum das so ist, wissen wir noch nicht.

Inwieweit ist atmosphärischer Staub bereits Bestandteil der aktuellen Klimamodelle?

Fast alle Klimamodelle berechnen ihn zwar ein, doch Staub ist wirklich kompliziert. Er hängt von der Trockenheit ab, er hängt von den Pflanzen ab, er hängt an den Winden und der Meteorologie. Keines der Klimamodelle, die wir kennen, war in der Lage, die von uns festgestellte Zunahme von atmosphärischem Staub zu reproduzieren. Und das hat die Erwärmung durch Treibhausgase offenbar verdeckt.

Man könnte jetzt natürlich argumentieren: Lasst uns mehr verschmutzen, dann sind wieder mehr Partikel in der Atmosphäre und es kühlt sich mehr ab.

Es stimmt, dass dieser "Schutz" vor noch mehr Erwärmung, den wir durch die vom Menschen verursachte Umweltverschmutzung erhalten haben, immer weiter abnimmt. Die Klimaerwärmung beschleunigt sich. Und es gibt tatsächlich Vorschläge, dass, wenn die Erwärmung ein besonders gefährliches Niveau erreicht – also z.B. die 1,5 oder 2 Grad des Pariser Klimaabkommens übersteigt –, man versuchen könnte, den Planeten technisch abzukühlen. Dazu gehört die Idee z.B. Aerosole in die Stratosphäre einzubringen, hoch oben in der Atmosphäre. Das will aber natürlich niemand. Aber die Welt könnte sich in eine Richtung bewegen, in der diese Diskussion immer relevanter wird.

Wie sähe so etwas aus?

Man würde die Partikel hoch oben in der Atmosphäre – etwa 20 Kilometer – zur Abkühlung des Planeten einsetzen, wo sie keine großen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben. Das ginge mit Ballons oder sehr hoch fliegenden Fluggeräten. Die genauen technischen Details müssen noch ausgearbeitet werden, aber es gibt verschiedene Vorschläge dafür. Klar ist aber schon: Das hätte viele andere negative Auswirkungen, wie z. B. die Beeinflussung von Niederschlagsmustern, also wo und wie viel es regnet. Und es wirft alle möglichen schwierigen geopolitischen Fragen auf. Das wäre also nur ein letzter Ausweg. Auf Englisch würden wir das einen "Hail Mary Pass" nennen.

Was sind die nächsten Schritte, jetzt wo wir Ihre Studie haben?

Es geht jetzt darum, dafür zu sorgen, dass diese Erkenntnisse in den Klimamodellen abgebildet werden. Dass wir also dieses Wissen zum Staub und seinen Kühlungseffekten darin aufnehmen, damit wir noch genauere Vorhersagen darüber bekommen, wie viel Erwärmung wir erhalten. Wir sprechen bereits mit den Entwicklern solcher Modelle und organisieren dazu ein großes Modellierungsexperiment.

(bsc)