Gericht erklärt Anti-Hassrede-Gesetz für teilweise europarechtswidrig

Mit Eilanträgen gingen Facebook, Google, Twitter und TikTok gegen die BKA-Meldepflicht im reformierten NetzDG vor – und bekamen recht.

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(Bild: nepool/Shutterstock.com)

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Die letzte Bundesregierung hat bei ihrem Kampf gegen Hassrede im Netz gesetzgeberisch offenbar deutlich über die Stränge geschlagen: Mit Beschluss vom 1. März hat das Verwaltungsgericht (VG) Köln Beschwerden der europäischen Ableger von Facebook und Google (Meta Platforms Ireland Ltd. und Google Ireland Ltd.) im Eilverfahren größtenteils stattgegeben (Az. 6 L 1277/21). Die beiden US-Konzerne stellten sich gegen das von der GroKo reformierte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG).

Eigentlich hätten die Regelungen der NetzDG-Reform seit dem 1. Februar angewandt werden müssen. Gemäß dem neuen § 3a NetzDG sollen große Betreiber sozialer Medien mutmaßlich strafrechtlich relevante Nutzerinhalte wie Hassbeiträge, Terrorismuspropaganda oder Bedrohungen sowie Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs nicht mehr nur löschen, sondern unaufgefordert mit IP-Adresse und Port-Nummer an das Bundeskriminalamt (BKA) melden. Das BKA soll gegebenenfalls strafrechtliche Ermittlungen gegen die Nutzer einleiten.

Google und Facebook halten diese Vorschrift für europarechtswidrig. Der Argumentation haben sich mit eigenen Anträgen mittlerweile auch die Twitter International Unlimited Company (Az. 6 L 140/22) und die TikTok Technology Ltd. (Az. 6 L 183/22) angeschlossen. In letzteren Verfahren hat das VG Köln noch nicht entschieden.

Die schriftliche Begründung des Gerichts fiel für ein Eilverfahren ungewöhnlich umfangreich aus. Beobachter gehen deshalb davon aus, dass sich die Richter intensiv mit der Materie beschäftigt haben und daher in der noch ausstehenden Hauptsache-Entscheidung zum selben Ergebnis kommen dürften.

In der EU gilt gemäß der "Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr" ("ECR", 2000/31/EG) das sogenannte Herkunftslandprinzip. Telemedien – und damit auch soziale Netzwerke – müssen sich an die Gesetze jenes Staates halten, in dem sie ihren EU-Hauptsitz haben – und zwar nur an diese. Weil Facebook, Google, Twitter und TikTok in Irland sitzen, sind bundesdeutscher Sonderregulierung die Hände gebunden. Genau dies hat das VG Köln nun mit deutlichen Worten festgestellt.

Außerdem monierte das VG den Gesetzgebungsprozess zur NetzDG-Reform: Der Bund hatte als Antragsgegner eine Ausnahme vom Herkunftslandprinzip eingefordert. Dazu hätte er aber laut VG nachweisen müssen, dass die GroKo bereits in der Planung zur NetzDG-Reform sowohl Irland als auch die EU-Kommission konsultiert hat. Doch das sei nicht der Fall gewesen.

Darüber hinaus stellte das VG fest, dass auch § 4a NetzDG gegen EU-Recht verstößt – namentlich gegen die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste ("AVMD", 2010/13/EU). Google hatte im Antrag moniert, dass gemäß dieser Richtlinie Aufsichtsbehörden zu Videodiensten wie YouTube rechtlich und funktionell unabhängig sein müssten. Gemäß § 4a NetzDG ist aber das Bundesamt für Justiz (BfJ) zuständig, das wiederum dem Bundesjustizministerium gegenüber weisungsgebunden ist und damit alles andere als unabhängig agiert.

Weil die Meldepflicht ans BKA derzeit auf Eis liegt, rufen die Justizministerien der Länder derzeit dazu auf, ihre Online-Meldestellen zu nutzen.

Die Begründung des VG Köln wird in der juristischen Fachwelt als schallende Ohrfeige für den NetzDG-Ausbau der GroKo betrachtet. Und nun? Gegenüber c’t verwies Ariane Keitel, Sprecherin des Bundesjustizministeriums, darauf, dass die einstweilige Anordnung des VG Köln noch nicht rechtskräftig sei: "Der Bundesrepublik und den beiden Anbietern steht dagegen das Rechtsmittel der Beschwerde zu. Die Prüfung, ob Beschwerde eingereicht werden soll und welche Folgerungen insgesamt aus der Entscheidung zu ziehen sind, läuft derzeit." (Stand: 15.3.2022) Die Stillhaltezusagen gegenüber Facebook und Google laufen Keitel zufolge weiter. Sie wurden auf Twitter und TikTok ausgeweitet.

Ob, und wenn ja, wie, das Gesetz an die neue rechtliche Situation angepasst werde, sei noch offen. Augenscheinlich will die Bundesregierung erst einmal die abschließenden Verhandlungen zum Digital Services Act (DSA) im EU-Trilog-Verfahren abwarten. Ein Ergebnis wird noch in der ersten Jahreshälfte 2022 erwartet. Im DSA sind viele Elemente des NetzDG aufgegriffen. Laut Keitel plant die Bundesregierung, "das NetzDG nach Verabschiedung des Gesetzes über digitale Dienste (Digital Services Act) gemäß den europäischen Vorgaben anzupassen".

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(hob)