Interview zur Automatisierung: "Nahezu kein Beruf fällt komplett weg"

Künstliche Intelligenz werde viele Tätigkeiten automatisieren, sagte Ökonom Erik Brynjolfsson vor sieben Jahren vorher. Sieht er das immer noch so?

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Automatisierung, Roboter

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Jenson / Shutterstock.com)

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Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Eva Wolfangel
Inhaltsverzeichnis

Stanford-Professor und Bestseller-Autor Erik Brynjolfsson, Jahrgang 1962, erforscht den Einfluss von Informationstechnologie auf Unternehmensentwicklung und Produktivität.

(Bild: Erik Brynjolfsson)

Sie haben im Buch "The Second Machine Age" 2014 vorhergesagt, dass viele Jobs automatisiert werden, insbesondere jene, die als recht sicher galten wie Wissensarbeiter, Logistik oder Kundenservice. Damals haben das viele nicht geglaubt, aber jetzt sehen wir, wie maschinelles Lernen immer besser wird und solche Tätigkeiten übernimmt. Was kommt als nächstes?

Als nächstes werden wir davon profitieren. Diese Entwicklung wird zu einem Produktivitätsboom führen.


Dieser Artikel stammt aus Ausgabe 04/2021 MIT Technology Review (als pdf bestellen). Das Heft beschäftigt sich als Sonderheft mit der Zukunft der Arbeit.


Wie genau profitieren wir davon, dass Jobs wegfallen?

Erst mal: Uns geht keine Arbeit verloren. Wenn eine neue Technologie auf den Markt kommt, drückt diese zunächst scheinbar die Produktivität – einfach, weil zunächst in sie investiert werden muss und weil es Zeit braucht, bis wir uns an die Technologie gewöhnt und unsere Prozesse umgestellt haben. Das nenne ich die "J-Curv". Nach dem ersten Knick setzt diese Technologie im Laufe der Zeit ein viel stärkeres Wachstum frei. Wir stehen vor einem Produktivitätsboom.

Die von Brynjolfsson entwickelte "J-Curve" stellt dar, dass die Produktivität nach Einführung einer neuen Technologie zunächst scheinbar einbricht, später aber wieder stärker ansteigt.

Ist denn die Angst vieler Menschen, ihre Jobs wegen der Automatisierung zu verlieren, völlig unbegründet?

Ja. Ich teile die Bedenken überhaupt nicht, dass Technologie in absehbarer Zeit zu Massenarbeitslosigkeit führt. Für einen Artikel in "Science" haben wir uns die Art von Aufgaben angeschaut, die Maschinen übernehmen können. Maschinelles Lernen ist in vielen Dingen sehr gut, aber noch können die meisten Tasks von Menschen besser erledigt werden. Zum Beispiel Kinderbetreuung, Altenpflege, kreative Arbeit, Coaching, Beratung, verhandeln und verkaufen, Menschen motivieren – die Liste ist endlos.

Das klingt ja gerade so, als seien Sie froh, dass Maschinen diese Arbeit nicht übernehmen können.

Nein, im Gegenteil, ich bin begeistert von den Möglichkeiten, die uns Maschinen bieten. Allerdings glaube ich, dass es große Umstrukturierungen in der Arbeitswelt geben wird, weil Maschinen einen Teil der Arbeit von Menschen übernehmen. Deshalb muss uns aber die Arbeit nicht ausgehen, denn es wird noch genug für uns übrig bleiben. Kinderbetreuung oder Arbeit im Gesundheitsbereich werden zum Beispiel Roboter auch in 10 oder 20 Jahren nicht übernehmen können. Das Problem, das wir jetzt lösen müssen, ist die Umgestaltung der Arbeit, das Umstrukturieren von Arbeitsprozessen; die Menschen dafür aus- und weiterzubilden, damit sie die vielen Jobs übernehmen können.

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Wie verändert sich die Arbeit denn konkret?

Ein konkretes Beispiel: In unserer Studie haben wir uns 18.000 Tasks in rund 900 Berufen angeschaut. Jeder Job besteht schließlich aus vielen verschiedenen Tasks. Nehmen wir das Beispiel Radiologie: Viele Leute sagen, Radiologen werden arbeitslos, weil Algorithmen sehr gut darin sind, medizinische Bildgebung auszuwerten. Aber es sind 27 verschiedene Teilaufgaben, die Radiologen übernehmen – nur eine einzige davon ist es, Bilder auszuwerten; 26 andere – wie beispielsweise die Sprechstunde mit Patienten oder der Austausch mit anderen Ärzten über die weitere Versorgung eines Patienten – können nicht von Maschinen übernommen werden. Das sehen wir bei fast allen Berufen, die wir uns angeschaut haben. Durch maschinelles Lernen können zwar einige Tasks automatisiert werden, das betrifft aber eher einen kleinen Teil.

Gibt es denn Jobs, die von der Automatisierung nicht betroffen sind?

Meiner Analyse nach kaum. Beinahe jeder Beruf verändert sich, aber nahezu keiner fällt komplett weg.

Aber es sind doch schon einzelne Berufe nahezu komplett ersetzt worden beziehungsweise auf dem Weg dorthin. Ich denke zum Beispiel an die Kassiererin im Supermarkt, die jetzt nur noch die Aufgabe hat, Kassen zum Selberscannen zu beaufsichtigen. Widerspricht das nicht Ihrer Aussage?

Das ist ein Beispiel dafür, Arbeiten eines Menschen auf andere Menschen zu übertragen – nämlich mir als Kunde.

Aber was tun die Kassiererinnen jetzt?

Sie werden andere Arbeit finden müssen. Aber wie ich schon sagte: Es gibt eine lange Liste an Jobs, die nur Menschen übernehmen können – im Gesundheitswesen, in der Kinderbetreuung, kreative Arbeit. Wir sehen, wie die kreative Arbeit zunimmt, beispielsweise auf Youtube oder auf Instagram, Coaching, Fitness-Trainer, Meditation – ich sehe wirklich viele Bereiche, in denen neue Berufe entstehen.

Die wenigsten verdienen auf Youtube oder Instagram nennenswert Geld. Zählt das als Arbeit?

Einige Leute verdienen viel Geld damit, andere machen diese Arbeit einfach sehr gerne. Auch auf Substack [eine Plattform für Newsletter, Anm. d. Red.] verdienen manche gutes Geld. Aber natürlich kämpfen einige damit, neue Aufgaben zu finden. Die Lösung ist aber nicht, einen Status Quo dauerhaft zu erhalten – so hat unsere Wirtschaft noch nie funktioniert. Sie ist flexibel, es entstehen neue Jobs, alte verändern sich – und letztlich führt das zu einem höheren Lebensstandard. Manche genießen neue Aufgaben und Veränderungen. Und die meisten der neuen Jobs sind tendenziell kreativer und erfordern mehr soziale Interaktion. Vielen Leuten macht das mehr Spaß als die alten Jobs, die sehr repetitiv sind und deshalb ja auch besser von Maschinen übernommen werden können.

Aber können diese Menschen jetzt ohne Weiteres diese neuen, kreativeren, oft auch anspruchsvolleren Tätigkeiten übernehmen?

Ich glaube, das ist ein generelles Missverständnis in dieser Debatte, dass diese neuen Jobs anspruchsvoller sind oder mehr Ausbildung benötigen. Viele benötigen eine hohe emotionale Intelligenz wie Kinderbetreuung, Coaching oder Verkauf – diese Jobs brauchen nicht einfach nur einen hohen IQ. Es ist nicht so eindimensional wie häufig behauptet wird, dass die Berufe für weniger Qualifizierte verschwinden und die für Hochqualifizierte immer mehr zunehmen. Amazon beispielsweise stellt gerade immer mehr Arbeiter in ihren Logistiklagern ein, auch weil die motorischen Fähigkeiten von Maschinen noch nicht so gut sind. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das langfristig so bleibt, denn dieser Job wird in fünf bis zehn Jahren vermutlich ebenfalls automatisiert sein.

Was ist denn das größte Missverständnis in der Öffentlichkeit, wenn es um die Zukunft der Arbeit mit Robotern geht?

Eine Fehlannahme ist etwa die verbreitete Angst davor, was Roboter oder was Künstliche Intelligenz (KI) uns alles antun werden. Dabei wird vergessen, dass diese Maschinen von Menschen entwickelt werden und dass wir mit ihrer Hilfe eine inklusivere Gesellschaft gestalten können. Wir können entscheiden, ob wir sie nutzen wollen, um Reichtum und Macht zu konzentrieren. Und ich gehe noch einen Schritt weiter und sage: Weil diese Technologie so machtvoll ist, gibt sie uns die Möglichkeit, die Welt besser zu machen. Wir haben mehr Kontrolle über die Welt als je zuvor.

Wie können wir die Welt verbessern mithilfe von Automatisierung?

Ich sehe da sehr viele Ansatzpunkte. Technologen können diese Tools so gestalten, dass sie unsere Arbeit spannender machen und uns lästige Tätigkeiten abnehmen. Ich berate beispielsweise ein Unternehmen, das KI im Callcenter einsetzt. Aber nicht, um Mitarbeiter zu ersetzen, sondern um ihnen zu helfen: Die KI gibt ihnen Ratschläge, welche Themen sie in einem laufenden Gespräch als nächstes ansprechen könnten, wie sie gerade auf den anderen wirken oder wo die Interaktion gerade stockt. Mensch und Maschine zusammen machen hier einen deutlich besseren Job als der Mensch oder die Maschine allein.

Ganze Berufe zu automatisieren würde also die Möglichkeiten der KI gar nicht optimal ausnutzen?

Ja, und viele Manager denken gerade nicht kreativ genug. Sie schauen sich etwas an und fragen: Wie können wir das automatisieren? Dabei sollten sie fragen: Wie können wir das besser machen? Manager können Menschen mit Technologie unterstützen statt sie zu ersetzen. Und wenn wir mehr Menschen beschäftigen, erarbeiten wir mehr Reichtum für alle.

Anders als in "The second machine age" sagen Sie jetzt also, dass Mensch und Maschine zusammenarbeiten werden. Haben Sie Ihre Ansichten geändert?

Ich würde sagen nein, aber vielleicht habe ich das damals nicht klar genug ausgedrückt. Schon in unserem Buch "Race against the machine" von 2011 haben Andrew McAfee und ich gesagt, dass es eigentlich "Race with the machines" heißen müsste. Dass wir nicht gegen die Maschine ankämpfen sollten, sondern uns zusammentun, um mehr Wert zu erarbeiten. Wir haben die Chance auf so viel mehr Produktivität, also sollten wir sie nutzen. Ich bin erstaunt, dass so viele Menschen fordern, diese Entwicklung zu bremsen. Wir erhöhen damit doch den Wohlstand aller.

Wirklich aller? Wer profitiert denn von dieser gesteigerten Produktivität? Sind es nicht die, die ohnehin schon viel besitzen, die großen Unternehmen?

Oh ja, das stimmt natürlich. Wir können mehr Reichtum schaffen, aber es gibt natürlich keinen Automatismus, der dafür sorgt, dass dieser Reichtum breit geteilt wird. Wir müssen aktiv werden als Unternehmer und Politiker und dafür sorgen, dass es so kommt. Das ist die Herausforderung. Und das ist keine Entscheidung, die Maschinen für uns treffen können, die müssen wir selbst treffen.

Ich bin mir nicht sicher, ob Ihre Message in der Breite ankommt. Woran liegt es, dass in der Bevölkerung trotzdem verbreitet Vorbehalte gegenüber der Automatisierung bestehen?

Viele Menschen wurden in den vergangenen Jahren zurückgelassen. Sie haben in der Tat schlechte Erfahrungen mit neuen Technologien und Globalisierung gemacht – und wir haben verpasst, sie mitzunehmen. In der Folge haben sie Demagogen zugehört statt Ökonomen und das hat die Dinge bisher schlimmer gemacht statt besser.

Ich bin sehr enttäuscht über die Politik. Statt auf den Nutzen dieser Technologien hinzuweisen, sind Politiker den Vorbehalten in der Bevölkerung gefolgt. Ich würde gerne sehen, dass meine Idee umgesetzt wird, dass wir den Kuchen größer machen und breiter teilen können. Wenn wir solche Leute besser ausbilden würden, wären sie auch offener.

In einem Interview haben Sie hervorgehoben, dass die Automatisierung Phänomene wie Uber möglich gemacht hat, weil nun niemand mehr für große Taxidienstleister fahren muss. Aber sind es nicht gerade solche Uber-Fahrer, die zurückgelassen wurden? Sind nicht gerade das die prekären Jobs?

Wir alle nutzen Uber mehr als wir früher Taxis genutzt hätten, oder? Weil es bequem ist und günstig. Hier ist der Kuchen schon größer geworden. Es gibt mehr solche Jobs und das ist schon mal gut. Aber auch hier besteht ein riesiges Missverständnis: Diese Fahrer arbeiten sehr selbstbestimmt. Wenn der Arbeitgeber entscheidet, wann du arbeitest, ist das ein prekärer Job. Bei Uber ist es genau andersherum.

Die meisten sind froh über die Flexibilität, sie können beispielsweise mitten am Tag zum Klaviervorspiel ihrer Tochter gehen und wenn sie samstags frei haben, können sie vier Stunden extra arbeiten. Es ist das Gegenteil von prekär, es ist eine große Freiheit. Die Leute verstehen es falsch, wenn sie das prekäre Arbeit nennen. Sprechen Sie mit Uber-Fahrern?

Ja, immer. Die meisten scheinen in der Tat zufrieden zu sein, zumindest im Vergleich zu ihrem vorherigen Job. Aber das heißt doch vor allem, dass der vorige Job noch schlechter war. Heißt das aus Ihrer Sicht, dass Uber-Fahrer ein guter Job ist? Werden diese nicht unglaublich schlecht bezahlt?

Wenn sich jemand für Job A statt für Job B entscheidet, dann ist der zweite Job besser, jedenfalls für ihn. Klar, es wäre besser, wenn sie mehr verdienen würden. Aber wenn wir jetzt durch Automatisierung und Zusammenarbeit mit Maschinen die Produktivität steigern und den Reichtum gerecht verteilen – dann verdienen sie mehr.

(lca)