Keine Hektik beim sozialen Netzwerken

Auch Facebook, Twitter, Xing und Co. sind kein Garant fĂĽr Kundenfindung und -Bindung. Ohne Plan, Prozesse und passende Mitarbeiter kann man sich Sozialstress im Web 2.0 erst einmal sparen.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Andrea van Baal
Inhaltsverzeichnis

Ohne Fans bei Facebook, Follower bei Twitter, Kontakte und Gruppen bei Xing, LinkedIn oder anderen sogenannten sozialen Netzwerken muss man sich als Unternehmen heutzutage doch eigentlich vorkommen wie hinter dem Mond. Zumindest wenn man den Beratern glaubt, die das Etikett "Social" derzeit auf alles kleben, zwischen Akquise und Zielgruppe. Anbieter von Oracle über IBM bis SAP treiben "Social CRM"-Lösungen schon seit einer Weile als das nächste große Ding durchs Dorf. Im deutschen ITK-Channel aber gelingt es bisher nur wenigen Unternehmern, die sozialen Netzwerke für den echten Dialog mit Kunden und Interessenten und auch als Rückkanal zu nutzen.

Für einige große Anbieter wie etwa Dell funktioniert die "Sozialstrategie" laut eigener Aussage hingegen bereits bestens und optimiert sämtliche Kundenprozesse bis herunter zu Service und Support. Für die Mehrheit der Branche ist die spannendere Frage jedoch erst einmal, auf welchen Plattformen die Interaktion mit Kunden, Partnern und Interessenten überhaupt stattfinden soll – und vor allem wie.

Selbst etablierte Online-Händler bespielen die Austausch- und Mitmachplattformen im Web bisher eher wie eine Bühne. Echte Interaktion findet kaum statt. Anstatt Gesprächsangebote zu machen und in die viel beschworenen "Konversationen" einzusteigen, arbeitet das durchschnittliche deutsche IT-Unternehmen auch bei Xing, Twitter, Facebook & Co. vornehmlich mit den klassischen Marketing- und PR-Instrumenten. Die "Kommunikation" verläuft weiterhin nur in einer Richtung. Auch lässt man sich bei der Wahl der Plattformen von quantitativen Berater- und Verkäuferargumenten wie "Anzahl erreichbarer Nutzerprofile" und "Reichweite" leiten und von sinnlosen Erklärungs-Diskussionen irritieren.

Für eine sinnvolle 'Sozialarbeit' im Netz fehlt es bisher fast überall noch an Strategien, Leitlinien, abgesteckten Zielen, Zuständigkeiten und qualifiziertem Personal. Und so sind die meisten Unternehmen im Web 2.0 (altdeutsch für Social Networks/Social Media) eher aktionistisch als koordiniert und zielorientiert unterwegs: Hier ein bisschen Getwitter, da eine neue Xing-Gruppe, dort eine Firmenseite bei Facebook – den meisten der Marktbegleiter geht es in Sachen Sozialer Netzwerke/Medien ähnlich: Sie wollen etwas tun, wissen aber noch nicht so recht wie und was.

Das belegen verschiedene aktuelle Studien in ungewohnter Übereinstimmung, so auch eine der Analysten bei IDC. Sie kommen in einem Whitepaper für Oracle zu dem Ergebnis, dass 43 Prozent der deutschen Unternehmen Social Media in "irgendeiner Weise" nutzen, während 52 Prozent es noch gar nicht tun und die restlichen fünf Prozent ihren Mitarbeitern rundheraus verbieten, sich Internet-öffentlich zu äußern.

Theoretisch sind die sozialen Austausch- und Mitmachplattformen eine echte Chance für IT-Unternehmen, bieten sie doch die Möglichkeit, schnell einzugreifen, Erklärungen und/oder Unterstützung anzubieten und als die Guten da zu stehen, selbst wenn es mal kracht. Ganz zu schweigen von den positiven Effekten, die Klicks auf den "Gefällt mir"-, "Empfehlen"- oder den "Retweet"-Knopf bei Produkt- und sonstigen Kampagnen auslösen können. Die Interaktion mit Kunden und Interessenten nützt dem Kundendienst und dem Service, dem Vertrieb und sogar der Produktentwicklung. Marketing und PR erfahren innerhalb kürzester Zeit, ob sie mit ihren aktuellen Maßnahmen auf dem "richtigen Dampfer" sind. Kunden und Interessenten fühlen sich individuell angesprochen und ernst genommen.

In der idealen "sozialen" Zukunft des ITK-Handels flieĂźt alles, was Menschen im Web ĂĽber die Firma und deren Produkte/Leistungen sagen, in die tiefschĂĽrfenden Analysen der Business Intelligence ein. Auf diese Weise kann der Reseller zeitnah reagieren, beispielsweise mit Cross- und Upselling-Angeboten. Gibt es negative Kommentare zu Wettbewerbern, die man (bzw. ein automatisches Monitoring Tool) online findet, kann man die Unzufriedenen ansprechen und sie mit Links zu eigenen Produkten, Testergebnissen und positivem Feedback versorgen lassen.

Die Erwartungen, die Unternehmen an die Nutzung sozialer Netzwerke und -Anwendungen haben, sind hoch. Die erhofften Ziele erreichen bisher jedoch nur wenige…

(Bild: McKinsey / F.A.Z., Januar 2011, Befragungsbasis: 3249 Unternehmen)

Soviel zur Theorie. Knapp gesagt besteht der Unterschied zur klassischen Kontaktpflege darin, dass "Social CRM" berücksichtigt, wie die Kunden untereinander über die Produkte, Dienstleistungen und den Anbieter reden. Ob und was mit den daraus gewonnenen Daten dann passiert, ist eine ganz andere Geschichte. Leadmanagement war und ist einer der wunden Punkte im ITK-Handel, an dem wahrscheinlich auch ein "Social CRM" erst einmal nichts ändern wird. Zumal Berater wie auch Anbieter bei ihren Ausführungen zur Bedeutung des Sozialen gern vergessen, dass die Tools immer nur so gut sind wie die Menschen, die sie bedienen.

Zielführend ist eine Teilnahme an den sozialen Netzwerken nur dann, wenn man Offenheit und Authentizität im Dialog zumindest glaubhaft simulieren kann und etwas Interessantes zu sagen hat. Dabei hilft keine Software. Für den aktiven, öffentlichen Austausch mit seinen Kunden, Partnern und Interessenten – vor allem den kritischen und unzufriedenen – braucht man vor allem Menschen, denn an ihnen hängt die Umsetzung der Strategie und die tägliche Präsenz innerhalb der Netzwerke.

…Je strukturierter und intensiver die Bemühungen und die Nutzung der "Vernetzungsinstrumente", desto deutlicher sind die erkennbaren Verbesserungen – nach innen und außen.

(Bild: McKinsey / F.A.Z., Januar 2011, Befragungsbasis: 3249 Unternehmen)

Soziale Netzwerke machen viel Arbeit. Denn der Dialog auf Plattformen wie Facebook oder Xing bedeutet, Themen zu setzen und Geschichten zu erzählen. Hier gilt es, kontinuierlich für Gesprächsstoff zu sorgen und sich den Fragen und Kommentaren dazu möglichst individuell zu widmen – und das sehr zeitnah. Wer erst zwei Tage nach Absetzen eines Postings wieder herein schaut, hat oft schon verloren.

Damit Ziele wie Kundenfindung, -Betreuung und -Bindung im Web erreicht werden können, benötigt man Geld, Zeit, gute Planung und kompetente Mitarbeiter an der Kommunikationsfront. Vor allem aber braucht man die Unterstützung der Firmenleitung. Pragmatisch betrachtet lohnt sich eine Investition in den "sozialen" Dialog nämlich nur dann, wenn Kundenservice, Vertrieb und Marketing eng verzahnt miteinander arbeiten. Vor der Frage, in welche sozialen Netzwerke und Medien man investiert, steht also immer die Betrachtung der eigenen, internen Kommunikationsprozesse. Und bei der kommt man um die Geschäftsleitung ebenso wenig herum wie bei der Freigabe von Budgets.

Marktbeobachter gehen davon aus, dass hierzulande bisher nur 15 Prozent der Unternehmen strukturiert mit sozialen Netzwerken arbeiten. Oft haben selbst die Kommunikationsverantwortlichen keine klare Vorstellung davon, wie die 'Sozialarbeit' im Netz funktioniert und welche Möglichkeiten sie bietet. Kompetenz in diesem Bereich bescheinigen sich derzeit weniger als 20 Prozent.

Wer also soll die Budgetentscheider davon überzeugen, dass und welchen Nutzen die sozialen Netzwerke für den Geschäftserfolg haben? Geschäftsführer und Abteilungsleiter höheren Alters sind oft wenig Web-affin. Viele halten Xing in erster Linie für einen Jobmarkt, Facebook und Twitter für Zeitfresser und Videochats für modischen Schnickschnack. Hier klafft neben einer Kompetenz- auch eine Generationslücke. "Je mehr Online-Erfahrungen die Organisation hat und je jünger und web-affiner die Kommunikationsmanager sind, umso positiver werden Social Media bewertet", bestätigt auch die Studie "Social Media Governance 2010" der Uni Leipzig.

Statt sich mit Einzelaktionen verschiedener Mitarbeiter ins soziale Getümmel zu stürzen, empfiehlt es sich, ein Team zu betrauen, das die verschiedenen Aktivitäten plant und koordiniert.

Schritt 1: Klären, wie das Unternehmen und/oder einzelne Mitarbeiter bereits im Web unterwegs sind und welche Aktivitäten sich ggf. einbinden lassen. Gibt es beispielsweise bereits

  • Unternehmensseiten mit Videos, Webcasts, Studien, Anwendergeschichten, Testberichten, etc. ?
  • Experten Blogs, Wikis, Communities?
  • Präsenz in B2B Netzwerken/Plattformen (z.B. Xing, LinkedIn, Verbände, Branchen-Portale )?
  • Mitarbeiter-Präsenz auf allgemeineren Plattformen (z.B. Facebook, Wer kennt wen)?
  • Microblogging/Twitter? (firmenbezogen? einzelne Mitarbeiter)?
  • Kanäle bei Broadcasting-Plattformen (YouTube o.ä.)?

Schritt 2: Die Erstellung eines Redaktions- und Kampagnenplans sollte in Abstimmung mit dem Vertrieb sowie Marketing/PR erfolgen.

  • Was steht auf der Unternehmensagenda und was davon eignet sich zur öffentlichen Thematisierung? Wann? In welcher Frequenz?
  • Gibt es z.B. Beschreibungen neuer Produkte/Leistungen, Testberichte, Studien, Whitepapers, die man auf der sozialen Plattform anreiĂźen und dann weiterfĂĽhrend verlinken kann?
  • Lassen sich "exklusive" Infos (z.B. Sneak Previews, Bilder, Videos, Podcasts, Präsentationen...) fĂĽr die sozialen Netzwerke zusammenstellen, die man dort anreiĂźt und Interessierte dann auf die eigenen Seiten lenkt?
  • Welche Ideen gibt es fĂĽr Mitmach/Mobilisierung (z.B. Wettbewerbe zu Design-Vorschlägen, mein schönstes Server-Raum Photo, WerbesprĂĽche...)

Schritt 3: Netzwerke aufbauen

Wer die Wortführer und Multiplikatoren in seinem Bereich noch nicht kennt, muss recherchieren und sich dann "ranwanzen" – in der ersten Stufe, in dem man zu ihrem Follower/Freund/Fan wird und ihren Gruppen bei Xing & Co. beitritt, im zweiten Schritt die Verbindung dann durch kluges Kommentaren, Zitieren, Verlinkungen usw. vertiefen.

Schritt 4: Erfolgskriterien klären

Wie erfolgreich man als Reseller oder Distributor seinen Konversationen und sonstigen Aktionen in den sozialen Netzwerken ist, misst sich kurz und mittelfristig nicht am Neukunden-Umsatz, sondern an Faktoren wie diesen:

  • Anzahl neuer Kontakte Leads
  • Empfehlungen/Verlinkungen
  • Erwähnungen und Bewertungen (Re-Tweets, Links, Diskussionen/Dialoge)
  • Externe Berichte ĂĽber die MaĂźnahmen/Aktionen (z.B. virale Werbung)
  • Zusätzliche Inhalte von Kontakten/Anwendern (user generated content)
  • Teilnehmerzahlen bei On/Offline Events
  • RĂĽcklauf bei Ideenwettbewerben und sonstigen Mitmachaktionen
  • "Popularität" = Wachstum der Follower bei Twitter, Fans bei Facebook, Gruppenmitglieder bei Xing o. anderen Communities)
  • Mitgliederzahl in eigenen Communities und Foren
  • Zugriffszahlen auf die "Home" Seiten des Unternehmens

Händler, die für ihre "Sozialarbeit" bisher weder einen ganzheitlichen Plan noch die Mittel und Mitarbeiter haben, sollten in den Netzwerken besser erst einmal nur ihr Revier abstecken, Basisinformation liefern und auf ihre anderen Angebote im Web hinweisen.

Sorgsame Vorbereitung ist definitiv kein Wettbewerbsnachteil. Da die Anderen bisher offenbar auch nicht mehr wissen als man selbst, wird es wohl noch ein Weilchen dauern, bis der IT-Channel die Interaktion in sozialen Netzwerken systematisch zum Auf- und Ausbau der eigenen Marke nutzen wird – und noch länger bis die sozialen Netzwerke tatsächlich zum wichtigsten Service-Kanal werden. Bis dahin gilt, was ein bis heute erfolgreicher, unabhängiger IT-Großhändler aus München schon vor 15 Jahren sagte: "Netzwerken ist wichtig, aber wenn man vor lauter Schulterreiben nicht mehr zum Verkaufen kommt, ist es verschwendete Zeit."

Erfolgsfaktoren

– Unterstützung durch das Management, Budget
– Bereitschaft zu offener Kommunikation und (maßvoller) Transparenz
– Sehr wichtig: Interessante/qualitativ ansprechende Inhalte
– Authentische Gesprächsführung, kein Abwimmeln
– Dezidierte, "sozial"-kompetente Mitarbeiter
– Klare Zielsetzung/Strategie
– Enge Verzahnung mit Marketing/PR, Sales und Kundenbetreuung
– Definierte interne Kommunikations- & Kooperations-Prozesse

Ganz wichtig: Kontinuität bei Inhalten; regelmäßig Neues bieten und dabei auf die Wertigkeit/Qualität der Beiträge achten!

– Kreative Mitmachaktionen und sonstige Aktionsaufforderungen (z.B. Werbung bewerten lassen, Vorschläge für neue Slogans, Designs, Produktverbesserungen, Produktdesign...)
– Durchgängiges Web-Monitoring (wer redet wo über uns und wie)
– falls vorhanden: Anbindung an CRM/Business Intelligence (map)