Methanlecks in der Industrie: "Die Leute fragen: Muss ich da jetzt echt hin?"

Erdgas ist teuer. Dennoch entfleucht der Hauptbestandteil Methan weiter aus Fabriken, sagt der Chef des Emissionsmanagements beim Industrieausrüster Honeywell.

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Abgasfahne über einem Kraftwerk.

Abgasfahne über einem Kraftwerk.

(Bild: heise online / anw, Bearbeitung: heise online)

Lesezeit: 8 Min.
Inhaltsverzeichnis

Methan ist ein deutlich stärkeres Klimagas als CO₂. Die Industrie behandelt Lecks in ihren Anlagen trotzdem oft als Lappalie. Zwar hat sich das EU-Parlament mittlerweile dazu entschieden, neue Grenzwerte für Methanemissionen aus Öl- und Gas-Importen zu setzen. Die neuen Regeln greifen jedoch erst ab 2030.

Honeywell-Manager Ravi Srinivasan.

(Bild: Honeywell Connected Enterprise)

Ravi Srinivasan ist Global Vice President und General Manager für Emissionsmanagement bei Honeywell Connected Enterprise. Im Interview mit heise online spricht er über das Problemgas Methan – und wie schwer sich die Industrie noch damit tut, Lecks zu stopfen.

heise online: Herr Srinivasan, wie melden Unternehmen heutzutage ihre Emissionen, beispielsweise in den USA?

Ravi Srinivasan: Normalerweise basiert das System auf Emissionsfaktoren. Man nimmt den Verbrauch von Erdgas oder Öl und multipliziert ihn mit einem Faktor. Dies geschieht normalerweise mit einem Blick von oben herab. Technisch gesehen erfüllt man damit alle Anforderungen der Umweltbehörden.

Aber in Wirklichkeit ist es so, dass man Emissionen nur dann verringern kann, wenn man sie an der Basis, also an der Emissionsquelle, misst – denn nur so kann man herausfinden, wo das Problem liegt. Bei der Draufsicht mag also alles in Ordnung zu sein, aber das ist es in Wirklichkeit nicht.

Und wenn wir mit unseren Kunden sprechen, dann stimmen sie diesem Problem schnell zu. Sie wissen nur nicht, wo genau sie konkret etwas verändern sollten. Natürlich können Sie immer einige große Änderungen an Ihrer Fabrik vornehmen und solche Sachen. Aber um die betriebliche Effizienz einer Anlage zu steigern, benötigen Sie erst einmal eine bessere Informationsgrundlage.

Wie funktioniert die Methanlecksuche derzeit?

In den USA ist der derzeitige Mechanismus, wenn man auf die Anlagenebene geht, sehr alt. Er wird LDR genannt: Leak, Detection, Repair – Leck, Erkennung, Reparatur. Die Techniker und ihr Personal gehen in der Anlage umher und messen die Emissionen mit sogenannten Sniffern.

Normalerweise machen sie das einmal im Quartal, manchmal sogar nur einmal alle sechs Monate. Sie messen die Emissionen, kommen zurück ins Büro und melden sie. Dann gehen sie später an die Anlage heran und beheben das Problem innerhalb der nächsten 30 Tage. So sind zumindest die Vorschriften.

Das klingt nicht sehr präzise.

Richtig. Was passiert, wenn Sie heute die Messung durchführen und es wird festgestellt, dass etwas leckt? Dann wird eine Extrapolation vorgenommen. "Das letzte Mal habe ich vor drei Monaten gemessen." Also wird angenommen, dass in den letzten drei Monaten die Emissionen so und so hoch waren. Und dann wird eine Berechnung durchgeführt. Es wird dabei viel geschätzt.

Honeywell möchte diese Messungen genauer machen. Wie?

Wir wollen mit neuen Sensoren unsere Kunden endlich dazu befähigen, in Echtzeit zu messen. Die Anlagenbetreiber werden in der Lage sein, einen Grenzwert zu definieren und ein Leck sofort zu finden und zu beheben. Was früher drei bis vier Monate gedauert hätte, können wir jetzt möglicherweise in wenigen Stunden erledigen.

Die Sensoren haben die Größe einer Coladose. Sie haben magnetische Kontaktflächen und können deshalb fast überall angebracht werden. Sie arbeiten in Form eines Mesh-Netzwerks. Der Grund dafür ist, dass man mit einem einzelnen Sensor vor Ort das Methan-Leck nicht findet, wenn der Wind aus der anderen Richtung kommt. Wenn man also eine ganze Reihe von Sensoren hat, kann man ein Leck tatsächlich triangulieren. Diese Sensoren werden einfach mit Batterien betrieben. Wir untersuchen auch die Möglichkeit der direkten Energiegewinnung, so dass sie überhaupt keinen Strom mehr brauchen.

Neben den Sensoren verwenden wir auch spezielle Kameras. Sie können Aufnahmen von Gaswolken erstellen und arbeiten hyperspektral. Jedes Gas hat dabei seine eigene Signatur. Das System kann diese Signatur erkennen und messen. Wenn neue Gase – und damit Leckquellen – hinzukommen, können wir dafür einfach eine neue Signatur erstellen. Es ist im Grunde wie eine Überwachungskamera, nur für Gase.

Es wirkt von außen schon seltsam, dass es immer noch so viele Methanlecks in der Industrie gibt. Methan ist, wie Sie wissen, schlicht Erdgas – eine sehr teure Ressource, wie wir nach Beginn des Ukraine-Krieges in Europa erfahren haben. Warum reagiert die Industrie nur so träge?

Je mehr Methan man auffängt – oder nicht aus Anlagen verschwindet –, desto mehr kann man es für einen besseren Zweck verwenden. Das bringt der Organisation unterm Strich bessere Erträge. Eine gute Lecksuche sollte also im Interesse der Unternehmen liegen. Der andere Aspekt ist die Verbrennungseffizienz im Allgemeinen. Wir verbrennen viel Erdgas. Wie stellen wir sicher, dass wir den besten Verbrennungsalgorithmus nutzen, um sicherzustellen, dass die Anlage ohne Verluste läuft?

Wie nachhaltig unsere Kunden eine Anlage betreiben können, wird für sie in Zukunft der Schlüssel zum Erfolg sein. Ich vergleiche das immer mit der Sicherheitskultur, die in der Industrie inzwischen ein allgemein hohes Niveau hat. Irgendwann hat sich das Thema einfach durchgesetzt. So wie ich das heute sehe, ist es Teil der DNA, Teil der täglichen Arbeit.