Interview: Krebsregister als Vorreiter im Gesundheitsdatenraum

Seite 2: Blaupausen für den Bund

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Wo haben Projekte in Rheinland-Pfalz Veränderungen auf Bundesebene angestoßen?

Antje Swietlik: Die Registrierung von Hauttumoren. Es gibt verschiedene Arten von Hauttumoren, die mit zunehmendem Alter häufiger auftreten – und das mit unterschiedlichen Prognosen. Wir haben in enger Zusammenarbeit mit Dermatologen festgestellt, dass viele Hautveränderungen nur deshalb registriert wurden, weil sie meldepflichtig waren. Die Masse an Meldungen führte dazu, dass viele nicht mehr ausgewertet wurden. Wir haben daher in Rheinland-Pfalz ein Modellprojekt gestartet, in dem wir weniger gravierende Hautkrebsvarianten nicht mehr registrieren. Wir konzentrieren dafür auf die malignen Melanome, die wirklich gravierende Auswirkungen haben.

Was hat sich damit verändert?

Das Feedback der Dermatologen war sehr gut. Das Modellprojekt aus RLP wurde inzwischen in einem Gesetz auf Bundesebene überführt, weil der Dokumentationsaufwand erheblich reduziert wurde.

Philipp Kachel: In einem Pilotprojekt mit einer großen Krankenkasse bringen wir Daten aus dem Krebsregister mit den Abrechnungsdaten der Krankenkasse zusammen. Die Abrechnungsdaten und Behandlungsdaten sind bisher ja zwei Welten.

Ist das das Verfahren, das das Gesundheitsdatennutzungsgesetz jetzt einführen will?

Ja, genau. Die Ergebnisse des Projekts werden wir hoffentlich Anfang 2024 veröffentlichen und damit auch Best-Practice-Empfehlungen aussprechen können.

Können Sie etwas dazu sagen, ob Sie in dem Datenabgleich einen Mehrwert erkennen konnten? Die Abrechnungsdaten gelten ja als zu ungenau, als dass sie für Prognosen genutzt werden könnten.

Philipp Kachel: Der Gesetzgeber hat uns eine flächendeckende Krebsregistrierung auferlegt – wir sollen damit also auch den gesamten Behandlungsverlauf erfassen. Aber was sind hier 100 Prozent? Hier helfen uns die Kassendaten, um Lücken im Behandlungsverlauf zu schließen. Beispielsweise gibt es Operationen, die noch nicht an uns gemeldet wurden. Für die Qualität unserer Datenauswertungen ist es essenziell, dass wir alle Daten zu Therapien erhalten. Die Krankenkassen hingegen erhalten Daten nur punktuell zum Zeitpunkt der Abrechnung. Sie haben hier die Chance, die eigene Datenqualität zu erhöhen, um etwa eine genaue Krebsdiagnose aufzunehmen, die vom Krebsregister kommt. Diese gegenseitige Bereicherung wird gerade auch im Entwurf des Gesundheitsdatennutzungsgesetzes kritisch diskutiert.

Das Gesetz soll ja Krankenkassen ermöglichen, Empfehlungen auszusprechen.

Davor haben die Kassen etwas Respekt, weil sie ja die Limitierungen ihrer Daten kennen. Über so einen Datenabgleich könnte man Abhilfe schaffen.

Dreh- und Angelpunkt ist hier also die Verbesserung der Datenqualität. Wo setzen Sie noch an?

In zwei parallelen Pilotprojekten gleichen das Krebsregister Rheinland-Pfalz und das Klinische Krebsregister Niedersachsen KKN ihre Daten mit anderen medizinischen Registern ab. Das Krebsregister Rheinland-Pfalz gleicht die Daten mit dem Multiple-Sklerose-Register in Hannover ab, das KKN mit dem Rheuma-Register. Gerade bei langen Behandlungsverläufen möchte man herausfinden, ob bestimmte Medikamente auch onkologische Nebenwirkungen haben.

Warum ist hier ein Datenabgleich sinnvoll?

In der Regel ist es heute so, dass das Multiple-Sklerose-Register die Meldungen von seinen Patienten nicht mehr erhält, weil sie nur noch in der Onkologie sind. Wenn wir hier die Daten in einer gesicherten Umgebung zusammenführen, so wie es dann auch später beim BfArM sein soll, können auch dazu Forschungsfragen beantwortet werden. Niedersachsen macht dasselbe mit dem Rheuma-Register.

Wo sehen Sie hier den strategischen Wert?

Wir sehen uns an, ob wir dieselben Verfahren nutzen können – und diese dann auf ganz Deutschland ausweiten können. Wir hätten dann praktisch eine schöne Blaupause für die Verknüpfung von Krebsregistern und anderen medizinischen Registern.

Worin wäre hier der Mehrwert?

Antje Swietlik: Es geht um den Mehrwert für die Forschung: Ihre Datenbasis sollte vollzählig und qualitätsgeprüft sein. Damit steht und fällt auch ein späterer Mehrwert für die Patienten. Unsere Aufgabe ist es, hier Interoperabilität zwischen den Registern herzustellen und verschiedene Datenquellen zusammenzuführen. Das Krebsregister verfügt über sehr lange Zeitreihen, was es so wertvoll macht. Viele andere Register, insbesondere Spezialregister, werden ja nur temporär angelegt, weil sie nur für einen kurzen Zeitraum finanziell gefördert werden. Wir wollen es daher ermöglichen, dass wir die Daten entweder übernehmen und weiterführen oder zumindest mit unseren Daten konsolidieren.