LNG und grüner Wasserstoff: Warum der Notfallplan eine große Zukunftschance ist
Ein Interview mit Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies über Deutschlands erstes LNG-Terminal, künftige Gaspreise, grünes Gas und die Vorteile der Krise.
Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) sieht in dem Bau von Flüssigerdgas-Terminals keineswegs einen Rückschritt bei der Energiewende. Für den Standort des ersten LNG-Anlandepunkts in Wilhelmshaven gibt es schon lange Pläne für eine Wasserstoff-Energiedrehscheibe. Im Gespräch mit heise online erklärt der 55-Jährige, wie der Umstieg von fossilem auf grünes Gas schnell gelingen kann, warum das für die Verbraucher gut ist und warum selbst die Energiekonzerne ein großes Interesse daran haben sollten, schnell umzusteigen.
Herr Minister, vor einem Jahr war das Land noch in der komfortablen Lage, den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen mit grünem Wasserstoff zu planen. Jetzt sorgen sich viele, ob und wie wir über den Winter kommen und der Staat nimmt an Gas, was er kriegen kann. Es hat den Anschein, als wenn die drohende Gaskrise die Energiewende in Vergessenheit geraten lässt. Besteht diese Gefahr?
Olaf Lies: Ich glaube, dass es eher umgekehrt ist. Der Druck, zu erkennen, dass diese Abhängigkeit von fossiler Energie uns belastet, ist deutlich spürbar – übrigens ein aus meiner Sicht sehr konstruktiver Druck. Die Bereitschaft für erneuerbare Energien im Strombereich, also Windenergie und Solarenergie, nimmt richtig zu. Auch die Ausbauziele, die wir uns gesetzt haben, sind höher als vorher. Und das Gleiche gilt auch für den Gassektor. Wenn wir in die Zukunft blicken, werden wir erneuerbare Energien auch importieren müssen. Das wird in Zukunft grünes Gas sein. Wir haben uns in Deutschland bisher unglaublich schwer damit getan, dafür Infrastruktur zu schaffen. Das, was wir jetzt machen, ist wie ein Sprungbrett. Es geht alles viel schneller. Wir bauen Infrastruktur wie die LNG-Terminals zwar erst mal für fossiles Gas. Aber genau die gleiche Infrastruktur und genau die gleichen Schiffe können morgen auch grünes Gas importieren. Wenn wir es richtig machen, dann könnte das sogar ein Booster für den Klimaschutz und den Ausbau der erneuerbaren Energien sein.
Beim LNG-Terminal in Wilhelmshaven geht es bislang gut voran: Schnelle Genehmigungen, die Pipeline-Rohre treffen auch schon ein. Wird der Zeitplan mit der Inbetriebnahme zum Jahresende zu halten sein?
Im Moment sind wir voll im Zeitplan und ich denke, dass wir den Plan auch weiter halten können. Wir prüfen ständig, wo wir gerade stehen. Der Stichtag für das erste Einlaufen eines Schiffes ist der 21. Dezember. Das Ziel ist, hierfür Mitte Dezember fertig zu sein. Sowohl, was den Ausbau des Anlegers und der Pipeline angeht, als auch die Genehmigung für das Regasifizierungsschiff "Esperanza", also die FSRU (Floating Storage and Regasification Unit), sind wir voll im Zeitplan. Wichtig ist natürlich, dass am Ende wir nicht nur den Anleger fertig haben und die Floating Unit dort liegt, sondern dass dann auch das erste Schiff mit Gas kommt, sodass wir die Terminalstruktur wirklich nutzen können.
Kritiker sagen, dass LNG-Schiffe und auch Lieferanten fehlen. Ist der Weltmarkt denn überhaupt auf den steigenden LNG-Bedarf eingestellt?
Natürlich ist das am Ende auch eine Preisfrage. Das wissen wir, glaube ich, alle. Derjenige, der mehr bezahlt, bekommt das Gas. Das ist nicht ganz ohne, weil es eine Wettbewerbssituation geben wird. Aber wenn wir uns den Weltmarkt für LNG ansehen, dann ist der stetig gewachsen. Wir haben Regionen, die sich schon über Jahre ausschließlich über LNG versorgen, weil es gar keine Pipelineverbindungen gibt. Wir sehen aus den Gesprächen, die wir vor einigen Jahren schon mit Katar geführt haben und die jetzt auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geführt hat, dass die exportierenden Länder ein großes Interesse haben, ihr Geschäft zu erweitern. In der Regel war es so, dass der LNG-Markt eher ein Spekulationsmarkt war, jetzt entwickelt er sich viel mehr zu einem Versorgungsmarkt. Die Schiffsinfrastruktur ist da und sie wird sich weiterentwickeln. Derjenige, der heute ein Transportschiff für LNG baut, kann damit morgen mit dem gleichen Schiff auch aus grünem Wasserstoff entstandenes grünes Methan verflüssigt transportieren. Da ist natürlich ein großes Zukunftsinteresse da und das gibt auch Sicherheit für die eigene Investition.
In welchem Umfang kann LNG die drohende Gasknappheit entschärfen?
In den vergangenen Jahren kamen rund 50 Prozent des Erdgases über die Pipeline aus Russland. Das ist durch die Liefermengenbegrenzung Russlands schon etwas minimiert worden. Aber bleiben wir mal ruhig bei dieser Größenordnung. Dann können wir mit einem Terminal, das wir bauen, ungefähr 15 bis 20 Prozent des russischen Gases ersetzen. Mit den jetzt geplanten vier Terminals wären wir in der Lage, 80 Prozent des russischen Gases zu ersetzen. Und das sind ja schon mehr Mengen, als wir heute mit reduzierter Pipeline-Leistung aus Russland bekommen. Zu den vier Terminals zählen das in Bau befindliche in Wilhelmshaven, eines in Brunsbüttel, eines in Stade und eines in Lubmin. Sollte Lubmin nicht rechtzeitig fertig werden, haben wir dem Bund außerdem einen weiteren, perfekt geeigneten Standort in Wilhelmshaven angeboten. Wenn diese bis Herbst nächsten Jahres in Betrieb gehen, wären wir in der Lage, die Gasmengen über LNG zu importieren, die wir eigentlich noch aus Russland hätten bekommen müssen.
In anderen EU-Staaten sind die Terminalkapazitäten aber noch gar nicht ausgeschöpft. Warum braucht Deutschland trotzdem ein Terminal?
Die Terminals waren nicht ausgelastet, weil sie vorwiegend spekulativ eingesetzt wurden – sie waren nur eine Abnahmemöglichkeit. Wenn es woanders mehr Geld gab, hat man das Flüssigerdgas woanders hingebracht. Jetzt geht es um Versorgungskapazitäten. Das sehen wir auch, wenn wir die LNG-Terminals im europäischen Ausland ansehen. Die sind jetzt schon nahezu ausgebucht. Zudem ist die Transportkapazität nach Deutschland begrenzt – wir bekommen ja aus den Niederlanden schon heute viel Gas, vor allem L-Gas. Es darf außerdem nicht vergessen werden, dass ganz Europa 40 Prozent seines Erdgases aus Russland bezieht. Und deshalb reichen die Kapazitäten für den Import von fossilem Gas in Europa derzeit an keiner Stelle aus.