Martin "The One" Frost: Die Geschichte des WallStreet Market

Seite 4: Bundestrojaner und Vorratsdatenspeicherung

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Jetzt gibt es von Seiten der Behörden oder des Innenministeriums auch immer wieder Forderungen nach Bundestrojanern und Vorratsdatenspeicherung, um die Arbeit der Ermittlungsbehörden zu erleichtern. Sind das, deiner Meinung nach, die richtigen Ansätze?

Nee, das ist so mit der Gießkanne irgendwie verteilt. Also ich finde, das ist kein richtiger Ansatz. Und ich finde, es hat auch immer den Beigeschmack, dass Menschen irgendwie unter Generalverdacht gesetzt werden. Und ich finde auch nicht, dass Menschen, die nichts Böses im Schilde führen, aber trotzdem auf ihre Privatsphäre achten, die Suppe von Kriminellen auslöffeln müssen, die diesen anonymen Raum eben für kriminelle Zwecke nutzen. Und natürlich wird dann gern dieses Argument vorgeschoben: wir wollen Straftaten aufdecken. Ich finde aber, es ist ein sehr, sehr schwieriges Thema, weil – und das sehe ich auch heute noch so – Datenschutz, Privatsphäre und auch uns anonym im Internet bewegen zu dürfen, ist ein Recht von uns und ist auch wichtig.

Und da geht’s auch gar nicht so um Kriminalität, sondern es reicht ja, wenn wir uns Facebook oder Google Tracking heutzutage angucken. Wir sind gläsern. Und deswegen glaube ich, man sollte sich vielleicht eher – so wie sie es bei uns gemacht haben – auf große Thematiken und Gruppierungen fokussieren und da lieber gezielt ermitteln, anstatt irgendwie alle unter Generalverdacht zu stellen. Ich persönlich glaube nicht, dass dieser Ansatz uns viel weiterbringt, im Großen und Ganzen. Man wird ein paar kleine Täter erwischen und ein paar kleine Straftaten natürlich aufdecken, aber dass man da Ransomware-Gruppen, Darknet Marktplätze, große Fraud-Kriminelle erwischt, das glaube ich nicht. Ich lass mich da aber gerne eines Besseren belehren.

Weißt du, ob eure Verhaftung auch Auswirkungen auf die Händler hatte, die den WallStreet Market genutzt haben? Wurden da noch mehr Leute verhaftet?

Natürlich ist es so, dass sich die Behörden da aus ermittlungstaktischen Gründen nicht gern in die Karten gucken lassen, ist ja ganz klar. Aber wir wurden aufgeklärt, die Behörden hatten Zugriff auf unsere Server und haben das dann auch eine Weile laufen lassen. Fakt ist auch, dass nach uns auch der Cyberbunker gebustet wurde, wo viele andere Darknet-Webseiten gehostet haben, auch Marktplätze unter anderem. Und dass das natürlich schon einen Rattenschwanz gezogen hat. Ich weiß, dass es nach uns eine internationale Operation gab, in deren Zuge viele Verkäufer festgenommen wurden und viele weitere Darknet Marktplätze hochgenommen wurden.

Und ich würde schon sagen, dass unser Bust weitere Ermittlungen nach sich gezogen hat. Aber das ist natürlich immer so, dass die Behörden, wenn ein Marktplatz identifiziert worden ist, wenn die Server, die Infrastruktur aufgedeckt wurden, da viele weitere Ermittlungsansätze bekommen. Das ist bei uns so, dass ist bei EncroChat so. Das war bei Hansa Market so, das wurde damals als Honeypot betrieben, da wurden 10.000 Menschen identifiziert, auch Käufer – ob man Käufer jetzt kriminalisieren sollte, steht auf einem anderen Blatt. Aber ja, das hat natürlich einen Impact auf die Szene.

Das heißt, nach deiner Erfahrung, scheinen solche gezielten Aktionen der Ermittlungsbehörden, bei denen man auch weiß, dass am Ende jede Menge Daten und Ermittlungsansätze zusammenkommen, effektiver zu sein, als großflächig Chats nach bestimmten Trigger-Worten zu scannen?

Also rein objektiv würde ich sagen: Ja! Auch EncroChat, wo ja wirklich sehr viele Straftaten aufgedeckt wurden und da noch ganz viele Prozesse kommen, war ja im Endeffekt eine ganz targetierte Ermittlung gegen diesen Anbieter. Und ich glaube, das ist der Schlüssel: International zusammenarbeiten, targetiert ermitteln. Und das zeigen ja auch die Erfolge, dass das offensichtlich ein ganz guter Weg ist für die Ermittlungsbehörden.

Seit deiner Verhaftung nutzt du jetzt die Zeit bis zum Haftantritt, um Prävention zu betreiben. Du sprichst mit Unternehmen über Cybersecurity aber gehst auch in Schulen oder soziale Einrichtungen. Wo setzt du da in Deiner Aufklärungsarbeit an?

Das Darknet an sich ist nichts Böses, man muss da keine Angst haben. Aber – das meine ich jetzt vor allem an die junge Generation zwischen 15 und 21 gerichtet, das ist nämlich die Szene – die Szene ist arrogant und die Szene sieht das als Spiel. Ich spreche mit 14-, 15-Jährigen die Phishing betreiben und auch das hat Konsequenzen. Und nur weil ihr die Konsequenzen nicht seht, macht es das nicht besser. Deswegen, wenn jemand in der Richtung unterwegs ist – mir hat es geholfen, zu spät leider – aber setzt euch mal auf einen anderen Stuhl und bewertet objektiv, was ihr da macht. Dann ist es nämlich kein Spiel, dann ist es auch kein Spaß mehr. Und wenn man später erwischt wird, und die Polizei wird immer besser darin, dann werden andere leiden.

Nun bist du in die Fraud-Szene gerutscht zu einer Zeit, als die meisten Eltern noch gar nicht wussten, was ihre Kinder da am Computer machen. Was würdest du denn der heutigen Elterngeneration dieser 14- und 15-Jährigen raten? Woran erkennt man, dass das eigene Kind vielleicht in Richtungen driftet, bei denen man aufpassen sollte?

Das ist ein ganz schwieriges Thema, finde ich. Auch ich werde vor dieser Aufgabe stehen, denn ich habe auch einen Sohn, der jetzt in die Schule geht. Ich glaube, wenn man das Jugendlichen verbietet, dann wird es noch interessanter. Ich glaube Aufklärung ist der Schlüssel, und auch zu zeigen, dass Internetkriminalität Konsequenzen hat, dass alles was man tut Konsequenzen hat, auch im Internet. Und ich glaube, wenn man dieses Bewusstsein schafft, dann werden viele gar nicht auf die Idee kommen, sowas zu machen. Weil es natürlich so ist, und dass das Gefährliche an Onlinekriminalität, es ist einfach, weil man die Konsequenzen nicht sieht. Man muss sich den Konsequenzen nicht stellen. Ich vergleich das immer gern mit einem Drohnenpilot, der so eine Predator-Drohne fliegt. Der sitzt in Ramstein hat einen Joystick und den Bildschirm, drückt auf den Knopf und irgendwo am anderen Ende der Welt sind zehn Menschen gestorben. Der geht nach Haus zu seiner Frau, alles cool, hat kein schlechtes Gewissen. Wenn ich dem jetzt aber diese zehn Menschen hinstelle und eine Waffe in die Hand drücke, wird er wahrscheinlich nicht abdrücken können, obwohl die Konsequenz ja genau dieselbe ist.

Ich glaube, das muss man sich bewusst machen. Weil auch Phishing, Fraud, das alles, was sich so nach Highscore knacken und wie ein Game anfühlt, hat natürlich Konsequenzen für andere Menschen. Zum Beispiel kann es deine Mutter treffen, die dir an Weihnachten was schenken will und jetzt keine Kohle mehr hat und die Miete nicht zahlen kann. Das hat alles Konsequenzen und ich glaub, das ist das wichtige, da Awareness es zu schaffen und dann sind wir schon ich echtes Stück weiter.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview wurde Anfang Dezember 2022 geführt und im Sinne der Lesbarkeit bearbeitet und gekürzt.

Das Buch "Out of the Dark" von Martin Frost ist im FinanzBuch Verlag erschienen.

(igr)