Martin "The One" Frost: Die Geschichte des WallStreet Market

Seite 2: Marktplatz für Drogen

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Wenn man das so beobachtet und sagt „All die Marktplätze sind schlecht, ich glaube wir können das besser“, warum macht man dann nicht einen Etsy-Shop oder eine bessere Form von Amazon und geht stattdessen ins Darknet und sagt „Wir machen jetzt einen besseren Marktplatz zum Drogen verticken?“

Also ich glaube, das ist auch dem geschuldet, dass wir natürlich alle drei eben aus dieser Szene kommen, wo sowas gemacht wird, wo es Jobs gibt, wo Kreditkarten verkauft werden, digitale Güter. Und man beschäftigt sich dann mit dem Darknet, so war es damals mit den Marktplätzen. Und dann war es relativ schnell auch fest: „Jo, das wird ein Darknet Marktplatz.“ Jetzt im Nachhinein sage ich mir auch: "Wie dämlich kann man sein." Ich glaube, wir zu dritt hätten auch wirklich legal was sehr Schönes aufziehen und erfolgreich sein können, ohne den ganzen Stress und ohne dieses ganze Leid, was auch verursacht wird mit so einem Darknet Marktplatz. Aber das stand dann relativ schnell fest und wir haben 2015 angefangen zu programmieren, in Steps, immer wieder. Ich glaube, über sieben Monate haben wir da programmiert und sind dann 2016 auch live gegangen.

Am Anfang haben wir uns andere Marktplätze angeguckt. Man legt dann die Kategorien an, man guckt bei anderen ab und guckt, was man besser machen kann. Und wir haben viele Sachen aus unserer Sicht damals technisch viel besser gemacht als andere Marktplätze. Zum Beispiel hatten wir kein Deposit-System, also kein Guthaben auf dem Markplatz, sondern bei uns wurde jeder Trade quasi an sich gezahlt, also es gab für jeden Trade eine Wallet. Und das ist natürlich für den User besser, so dass, wenn der Marktplatz offline geht, das Guthaben nicht weg ist. Das war bei uns am Ende dann doch der Fall. Und über die Jahre nimmt man dann auch noch andere Coins. Wir haben Monero integriert. Und am Anfang war das gar nicht so mit der Erwartung „Wir werden viel Geld verdienen“. Weil zu dieser Zeit, als wir online gegangen sind, da sag ich immer „Ebay und Amazon gab es schon“, in Form von Dream Market und AlphaBay. Das waren so die Marktführer in der Szene. Und als wir online gegangen sind, war es auch so, dass wir eigentlich erstmal in der Luft zerrissen worden sind von der Darknet-Szene.

Aber wie kommt man den dann a) an die Verkäufer, die ihre Produkte bei euch einstellen und Euch vertrauen, und b) dass die Leute dann auch kommen und kaufen. Denn man braucht ja erstmal die paar Bewertungen, die sagen: "Ja, die sind glaubwürdig.

Also, es ist in der Szene so, dass gerade da der bekannte Social Proof sehr wichtig ist. Damals gab es auf Reddit einen Sub-Reddit namens Darknet Marketplaces, Darknet Markets und das war eigentlich so die größte Community rund um die Themen Darknet Marktplätze. Da wurden Verkäufer auch bewertet. Für Darknet Marktplätze gab es eine sogenannte DNM Superlist. Und auf dieser Superlist sind eben dann die Marktplätze gelistet worden. Deep Dot Web war auch im Clearnet erreichbar und war auch so eine Seite die News rund ums Darknet gebracht und eine Superliste hatte. Und in diesen Reddits macht man dann einen Beitrag, stellt sich vor. Dann probiert man noch auf diese Superlisten zu kommen, man schreibt Seiteninhaber an, die solche Listen führen und guckt dann, dass man da drauf kommt. Und dann ist es wirklich so, dass Du überzeugen musst. Die Leute müssen dir trauen, das dauert eine Weile. Das haben wir natürlich auch gemerkt.

Bei uns war es so, dass am Anfang, eigentlich die ersten Jahre, da nicht viel gelaufen ist, weil die Leute sagen „Ich bin auf Dream Market oder auf AlphaBay, warum soll ich jetzt wechseln, da funktioniert doch alles“. Das war für uns aus damaliger Sicht auch so ein Dämpfer, weil man denkt, wir machen doch so viel besser. Warum kommen die nicht? Das ist aber nicht interessant. Ich glaube, das Erfolgsrezept ist einfach – wenn man da von Erfolg sprechen kann – andere Marktplätze gehen offline, werden gebustet, machen einen Exit-Scam, und dann rutscht man automatisch in dieser Hierarchie nach und wird größer. Und so ist es dann ja auch schlussendlich mit unserem Marktplatz Wall Street Market passiert.

Das klingt alles nach wahnsinnig viel Arbeit, die man da reinstecken muss, nicht nur ins Programmieren, sondern auch, um da überall präsent zu sein und sich bekannt zu machen. Wie schafft man das, wenn man parallel auch noch Vollzeit arbeitet und eine junge Familie hat. Wie schafft man es, dass das Umfeld das nicht mitbekommt?

Das war für mich sehr einfach, tatsächlich, mir da eine Legende aufzubauen, weil ich schon in jungen Jahren sehr Internet-affin war und zu diesem Zeitpunkt, auch als wir den WallStreet Market angefangen haben zu programmieren, schon Firmen hatten im Bereich Internet-Marketing. Das heißt, ich habe Suchmaschinenoptimierung gemacht, ich habe Webseiten erstellt für Kunden. Und das war die ideale Tarnkappe, die ideale Lüge.

Auch für einen Programmierer oder einen Webentwickler, der sich auskennt, wenn ich einen Code offen habe oder ein Back End, sieht das im ersten Augenblick nicht anders aus, da weißt du nicht:, "Ist das jetzt der Marktplatz oder ein legales Projekt?" Und da meine Freundin zum Beispiel gar keine Affinität zu solchen Sachen hat, war es extrem einfach. Jeder wusste, ich habe bei meinem Arbeitgeber sehr gutes Geld verdient, ich habe auch durch meine Selbständigkeit immer gutes Geld verdient. Das wussten alle. Und als es dann später sehr viel besser gelaufen ist, war das natürlich auch nicht so schwer zu argumentieren, weil ich gesagt habe: "Ja es ist echt gut gelaufen, wir haben einen neuen großen Kunden, der zahlt richtig." Und es war so einfach, dass ich es am Ende fast selbst geglaubt habe.

Das heißt, es fehlte auch durch diese ganze Sozialisierung über Jahre hinweg und dadurch, dass das so schleichend kam, dieses Bewusstsein dafür, dass man da diese große Lebenslüge irgendwie so parallel lebt?

Ja, das Bewusstsein kam tatsächlich eigentlich erst nach der Verhaftung. Ich glaube, je länger man sich das vorlügt, sich selber und anderen, umso mehr wird es irgendwie zur Normalität. Und dann kommt es halt wie aus der Pistole geschossen: „Ich mache Internetmarketing, ich hab relativ früh in Bitcoin investiert, fertig.“ Und was man aber damit macht, nämlich die Menschen, die man liebt, seine Eltern, seinen Bruder, seine Freundin und in letzter Konsequenz ja auch sein Kind, anlügen, da macht man sich gar keine Gedanken drüber. Und natürlich auch jetzt im Nachhinein: In was für eine Situation man diese Menschen dann bringt, darüber habe ich mir zu diesem Zeitpunkt, muss ich wirklich sagen, gar keine Gedanken gemacht. Da war ich komplett egoistisch unterwegs und hab da auch Frau und Kind vernachlässigt in der Zeit, das muss man auch sagen.

Jetzt hast du deine Mittäter, bis ihr aufgeflogen seid, nie persönlich getroffen. Wenn man so lange und so eng und so erfolgreich zusammenarbeitet, bekommt man dann nie das Bedürfnis, sich persönlich zu treffen und sagt, wir gehen jetzt einfach mal einen Kaffee trinken?

Ich hatte ja vorhin schon mal angedeutet, es ist in der Szene von vornherein klar: Man kennt die Nicknames und was anderes wird auch nicht gefragt. Aber natürlich ist es schon so – wir haben ja wirklich über Jahre kommuniziert, also miteinander gechattet – dass da so auf eine Art auch eine Freundschaft entsteht. Man lernt die Leute schon auch persönlich irgendwie kennen. Also so war mein Gefühl, dass man sich natürlich auch auf eine abstrakte Art verbunden fühlt. Und vielleicht kann man auch sagen, ja, das ist eine Form von Freundschaft geworden. Und natürlich ist das auch Thema: Irgendwann mal, später, so in ein paar Jahren treffen wir uns mal. Und so ist es dann ja auch gekommen, tatsächlich. Nur eben nicht so, wie man sich das damals vorgestellt hat. Aber dass man in der Szene sagt, jo, jetzt treffen wir uns mal privat, passiert eigentlich nicht. Und gerade jetzt, durch Corona und so viel Homeoffice, kenne ich viele Start-ups, in denen die Leute zusammen arbeiten, sich aber noch nie im Reallife begegnet sind. Das funktioniert trotzdem. Also so abwegig ist das gar nicht.