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Medizinischer Einsatz: Wie MDMA bei psychischen Leiden helfen könnte

Charlotte Jee

(Bild: Andrea Daquino)

Nathan McGee attestierten Ärzte bereits einige psychische Störungen. Therapien halfen nicht. Eine MDMA-gestützte Studie gibt ihm neue Hoffnung.

Nathan McGee war erst vier Jahre alt, als er ein Trauma erlebte, das ihn auch vier Jahrzehnte später noch beschäftigte. Dann ließ er sich mit MDMA therapieren, das man eigentlich nur als Droge kennt.

In den Jahren zwischen dem erlebten Trauma und der MDMA-Therapie spielte er – wie er es nennt – "Diagnose-Bingo". Die Ärzte sagten Nathan immer wieder, er habe eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Angstzustände, Depressionen und Legasthenie. Im Jahr 2019 wurde bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert. Auf seinem Therapie-Weg nahm er eine ganze Reihe von Medikamenten – Antidepressiva, Pillen gegen Angstzustände und Tabletten gegen die Auswirkungen von ADHS. Aber er wollte nicht jeden Tag mehrere Pillen schlucken, nur um sich normal zu fühlen.

Dieser Text stammt aus: MIT Technology Review 8/2021

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"Ich habe mich nie wirklich glücklich gefühlt, egal, was in meinem Leben passiert ist", sagt er. "Ich fühlte mich immer ruhelos, hatte immer dieses unterschwellige Gefühl der Schwere. Die Dinge passten in meinem Kopf einfach nicht zusammen. Es war, als hätte jemand ein Kabel herausgezogen, und ich versuchte, es wieder anzuschließen."

Schließlich hörte Nathan von einer Studie, in der der Einsatz von MDMA zur Behandlung schwerer PTBS getestet wurde. Er schaffte es, an einer klinischen Studie der Phase 3 teilzunehmen, der letzten Hürde vor der Entscheidung der US-Behörden über die Zulassung der Therapie.

MDMA [8] ist eine synthetische psychoaktive Substanz, die als Partydroge (Ecstasy, E oder Molly) unter Clubgängern bekannt ist. Sie bewirkt, dass das Gehirn große Mengen des chemischen Stoffes Serotonin freisetzt, was eine euphorisierende Wirkung hat. Aber es wurde auch festgestellt, dass es die Aktivität im limbischen System des Gehirns reduziert, das unsere emotionalen Reaktionen steuert. Dies scheint Menschen mit PTBS zu helfen, ihre traumatischen Erlebnisse in der Therapie zu verarbeiten, ohne von starken Emotionen wie Angst, Scham oder Traurigkeit überwältigt zu werden.

Um diese Theorie zu überprüfen, hat die Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies [9], eine in Kalifornien ansässige gemeinnützige Organisation, eine randomisierte Doppelblindstudie durchgeführt, bei der auch Nathan mitmachte. Die Teilnehmenden nahmen an drei achtstündigen Sitzungen teil, in denen sie entweder Placebos oder zwei Dosen MDMA erhielten, bevor sie ihre Probleme besprachen und von zwei qualifizierten Therapeuten beraten wurden.

Im Mai 2021 wurden die Ergebnisse der Studie in "Nature Medicine" veröffentlicht. [10] Sie waren atemberaubend: Von den 90 Patienten, die an der Studie teilnahmen, berichteten diejenigen, die MDMA erhielten, über deutlich bessere Ergebnisse als die übrigen. Zwei Monate nach der Behandlung hatten 67 Prozent der Teilnehmer in der MDMA-Gruppe keine PTBS mehr, verglichen mit 32 Prozent in der Placebogruppe.

Ben Sessa [11], ein britischer Forscher, der an der Gründung der ersten psychedelischen Therapieklinik des Landes in Bristol beteiligt war, ist der Ansicht, dass die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA die MDMA-gestützte Psychotherapie für PTBS bis Ende 2023 genehmigen könnte.

In den USA, Großbritannien und anderen Ländern werden mittlerweile Studien durchgeführt, um zu prüfen, ob auch Substanzen wie Psilocybin und Ketamin in ähnlicher Weise zur Behandlung psychischer Erkrankungen eingesetzt werden können. Die ersten Anzeichen sind positiv – und wenn sie so bleiben, könnten sie die Behandlung psychischer Erkrankungen auf den Kopf stellen. Im Gespräch mit MIT Technology Review erläutert Nathan McGee, wie er seine Therapie erlebt hat.

Herr McGee, wie haben sich Ihre Probleme mit der psychischen Gesundheit manifestiert?

Bevor ich an der Studie teilnahm, lief es für mich nicht gut. Alles, was ich ausprobiert habe, ging daneben. Nichts funktionierte. Ich hatte so viele verschiedene Therapeuten und verschiedene Techniken ausprobiert. Im Januar 2018 habe ich dann meinen Job verloren. Das war deprimierend. Ich hatte schon früher Jobs verloren, aber dieses Mal war es anders. Ich beschloss: Wenn das alles durch meine psychische Gesundheit verursacht wird, werde ich das in Ordnung bringen. Ich werde alles tun, was nötig ist. Wenn mein Therapeut mir gesagt hätte, dass es mir helfen würde, mich nackt auszuziehen und durch ein volles Einkaufszentrum zu laufen, dann hätte ich das aber auch getan.

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Wie sind Sie auf die Untersuchung gestoßen, an der Sie teilgenommen haben?

Ich hatte mich gerade ins Internet vertieft und ein paar Stunden lang über posttraumatische Belastungsstörungen recherchiert und stieß dabei auf diese Studie. Ich dachte, ich könnte mich da doch einfach bewerben. Ich habe mir nicht viel dabei gedacht. Tatsächlich habe ich es danach sogar gleich wieder vergessen und nicht einmal meiner Frau davon erzählt. Dann, zwei Monate später, erhielt ich einen Anruf von der Forschergruppe, ob sie mich denn interviewen könnten.

Erzählen Sie mir, wie die Sitzungen abliefen.

Wenn man im Versuchszentrum ankommt, sieht es wirklich nur wie ein Bürogebäude aus. Von außen erkannt man nicht, dass da drinnen ein Haufen Leute MDMA nehmen. Man geht hindurch und wird in den Behandlungsraum geführt, der mit einer Couch, Bettzeug, Decken und einem Kissen ausgestattet ist. Es läuft Musik, und das ist ein wesentlicher Bestandteil der ganzen Erfahrung. Es ist sehr beruhigend. Man fühlt sich fast wie in einem Spa. Es kommt viel Sonnenlicht herein, durch das Fenster kann man Bäume und einen Wasserlauf sehen. Es ist sehr friedlich. Dann kommen die beiden Therapeuten herein, prüfen die Vitalwerte – Temperatur, Blutdruck, Herzfrequenz und so weiter. Sie sprechen ein wenig mit einem darüber, was man sich von der heutigen Erfahrung erhofft. Und dann wird eine kleine Zeremonie oder ein Ritual durchgeführt, bei dem eine Kerze angezündet wird, um zu signalisieren, dass die Behandlung beginnt. Es fühlt sich fast ein bisschen wie eine religiöse oder spirituelle Erfahrung an. Sie zünden also die Kerze an, dann kommt einer der Therapeuten mit einer kleinen Schale mit einer Pille darauf zurück. Man trinkt einen Schluck Wasser und schluckt die Pille. Und dann sitzt man einfach da und wartet. Während man wartet, unterhält man sich.

Man weiß dabei nicht, was passiert und ob man wirklich etwas bekommen hat. Ich hatte so etwas noch nie genommen und war ehrlich gesagt ein bisschen nervös. Sie sagen einem nicht, ob man das MDMA hatte oder das Placebo, aber der Cheftherapeut sagte mir, dass so ziemlich jeder das mitbekommen. Kaum hatte ich gesagt, dass ich nicht glaube, es genommen zu haben, ging es auch schon los. Ich wusste es einfach.

Ich weiß noch, wie ich ins Bad ging, in den Spiegel schaute und sah, dass meine Pupillen wie Untertassen aussahen. Ich dachte: "Wow, okay." Es fühlte sich erstaunlich beruhigend an. Mein Geist schien sich einfach zu öffnen und klar zu sein. Man hatte mir vorher gesagt, dass es in Wellen kommen würde, das tat es auch. Ich beschloss, mich hinzulegen und mir eine Maske über die Augen zu ziehen, um das Licht auszublenden und einfach nur der Musik zuzuhören. Ich hatte Kopfhörer, die ich aufsetzen konnte, wenn ich alles ausblenden wollte. Mein Verstand erforschte aber alles. Und dann, als ich dazu bereit war, unterhielt ich mich mit den Therapeuten.

Ich konnte die traumatische Erfahrung fast noch einmal durchleben. Ohne das ganze Stigma, den Druck und die Emotionen. Man konnte sich fast zurücklehnen und es analysieren, wie man es bei einem Film tun würde, indem man sich nur die Soundeffekte, die Beleuchtung oder das Make-up ansieht. Ich kam zu einer Art Verständnis für die Sache, zu einer Erkenntnis, und ich konnte etwas von dieser ganzen Schwere loslassen. Ich wechselte zwischen introspektiven und externalisierten Phasen, in denen ich entweder mit den Therapeuten sprach oder mich einfach mit meiner Maske und den Kopfhörern entspannte. Etwas später am Tag gaben sie mir eine weitere Dosis, etwas weniger davon, nur um die Erfahrung zu verlängern. Als ich wieder zu mir kam, erklärten sie mir den ganzen Prozess.

Meine Frau kam dann, um mich abzuholen. Sie sagte, dass sie sofort einen Unterschied gesehen hat. Ich schien sofort viel ruhiger zu sein. Man macht drei dieser eintägigen Sitzungen und kommt dann zu ein paar so genannten Konsolidierungssitzungen zurück, in denen man alles, was man gelernt hat, zusammenträgt.

Wie fühlen Sie sich jetzt?

Ich fühle mich großartig. Der Prozess hat mein Leben dramatisch verändert. Ich fühle mich lebendig. Ich weiß jetzt, was Freude ist. Ich schwebe nicht mehr auf einer Wolke der Trauer – ich bin nicht mehr traurig. Und wenn ich mich jetzt niedergeschlagen fühle, fühlt sich das nicht wie das Ende der Welt oder wie ein Zustand an, in dem ich feststecke. Ich weiß, dass es einfach nur ein beschissener Tag ist, den alle mal haben. Früher war ich ständig gestresst und hatte das Gefühl, dass nie etwas Gutes passiert. Jetzt kann ich das Gute genießen. Meine Frau, meine beiden Töchter, meine ganze Familie und meine Freunde – ich genieße ihre Gesellschaft jetzt so viel mehr, weil ich weniger mit mir selbst beschäftigt bin. Auch mein Verhältnis zu meinen Eltern hat sich enorm verbessert.

Ich bin jetzt 43 Jahre alt. Ich war vier, als mir dieses traumatische Erlebnis widerfuhr. Es hatte einen lebenslangen und tiefgreifenden Einfluss auf mich, in einer Weise, die ich jetzt erst verstehe. Es hat meine Sicht auf die Welt verändert. Und was ich jetzt zu lernen beginne, ist, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem, wer ich wirklich bin, und dem, was ich aufgrund der Auswirkungen des Traumas bin. Es gibt diesen Kern meines Selbst, der schon immer existierte. Es war schwer für mich, die Höhen und Tiefen meines Lebens nicht mit dem zu verwechseln, was ich eigentlich bin. Das hat sich jetzt geändert. Ich greife auf mein vierjähriges Ich zurück und sehe das Leben als etwas an, das man ergreifen und schätzen muss, anstatt es nur zu ertragen.

Was würden Sie Menschen sagen, die eine MDMA-Therapie in Erwägung ziehen?

Das Verfahren kann gar nicht früh genug legalisiert werden, vor allem bei der derzeitigen Lage des Planeten. Es gibt viele Menschen da draußen, die leiden und nach Trost oder einfach nach irgendeiner Art von Erleichterung suchen. Aber es geht nicht nur darum, Drogen zu nehmen. Ich will den Konsum davon in der Freizeit weder gutheißen noch verurteilen, aber wenn du denkst: "Ich gehe zum Burning Man und heile meine Depressionen, indem ich mir etwas Molly [Slang für MDMA, Anm. d. Red.] besorge", dann wirst Du vielleicht enttäuscht sein. Du brauchst die richtigen Leute, die Dich begleiten und Dir helfen, Dich sicher und stark zu fühlen. Es ist großartig, aber man muss es richtig machen.

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(bsc [17])


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[7] https://shop.heise.de/technology-review-08-2021/PDF
[8] https://adf.org.au/drug-facts/mdma/
[9] https://maps.org/
[10] https://www.nature.com/articles/s41591-021-01336-3
[11] http://www.drsessa.com/
[12] https://www.heise.de/tr/
[13] https://www.heise.de/hintergrund/Wie-das-Gehirn-unseren-Geist-erschafft-6225411.html
[14] https://www.heise.de/hintergrund/Mit-Hirnstimulation-das-Rauchen-aufgeben-6252107.html
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