Missing Link: Antriebswende – Warum wir eine zweite Elektrifizierung brauchen

Batteriebetriebene Fahrzeuge gelten für die einen als ökologische Heilsbringer, für die anderen als Perpetuierung des Automobilismus.

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Missing Link: Antriebswende – Warum wir eine zweite Elektrifizierung brauchen

(Bild: guteksk7/Shutterstock.com)

Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Timo Daum
Inhaltsverzeichnis

Bald fünf Jahre ist es her, dass der Dieselskandal ans Licht kam. Die besten Motorenbauer und Verbrenner-Ingenieure der Welt – zumindest in deren Selbstwahrnehmung – sahen keine andere Möglichkeit mehr, als Betrugssoftware zu programmieren, um Schadstoffgrenzwerte bei ihren Fahrzeugen einhalten zu können. Nach 140 Jahren scheint der Verbrennungsmotor technologisch weitgehend ausgereizt zu sein, ein klimaneutraler Verkehr ist mit ihnen sowieso prinzipiell nicht möglich.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Die meisten Länder planen daher für eine Zeit nach dem Verbrennungsmotor, Norwegen geht voran und hat 2025 als Ausstiegsdatum festgelegt, viele kleine Länder wie Dänemark nennen 2030 als Ziel, Großbritannien peilt 2035 an, Frankreich und Spanien sind 2040 soweit. Eine aktuelle Übersicht des International Council on Clean Transportation (ICCT) findet sich hier.

Auch viele Städte planen für eine Zukunft, in der nur noch Null-Emissions-Fahrzeuge zirkulieren dürfen: Barcelona, Madrid und Paris sind bereits erste Schritt in diese Richtung gegangen, in Mailand ist 2027 Schluss. Auch die Baleareninseln gehören zu den Vorreitern: Hier gilt ab 2025 bereits ein flächendeckendes Fahrverbot für Dieselfahrzeuge.

Auch die Klimabewegung nimmt zunehmend den Verkehrssektor ins Visier und hat den Ausstieg aus dem Verbrenner ins Zentrum ihres Kampfs für einen postfossilen Umbau der Gesellschaft gerückt. Der Aufruf des breiten Bündnisses #aussteigen gegen die Internationale Automobil Ausstellung (IAA) in Frankfurt im Herbst 2019 nannte als erste von sieben Forderungen zur Verkehrswende den "sofortigen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor", gefolgt von der nach einem "klimaneutralen Verkehr bis 2035“– eine klare bewegungspolitische Prioritätensetzung.

Im Juni kam dann die nächste Überraschung: das Corona-Konjunkturpaket der Bundesregierung sah explizit keine Kaufprämie für Verbrenner vor, obwohl die Autoindustrie und die IG Metall kräftig dafür geworben bzw. die üblichen Horrorszenarien ausgemalt hatten – Arbeitsplatzverluste, Mittelalter, Licht aus. Außer den Vertretern des fossilen Kapitals, einzelnen Ministerpräsidenten und natürlich der AFD wollte das zuletzt keine Fürsprecher– auch die Mär vom sauberen Verbrenner glaubt niemand mehr.

Auch wenn immer wieder von einer "Elektro-Strategie der Konzerne“ die Rede ist, die Autoindustrie hat ganz andere Pläne für 2030: Eine Einführung elektrischer Fahrzeuge in homöopathischer Dosierung ist ihr Ziel, gerade so viel, dass die Flottengrenzwerte für die Gesamtunternehmen, die die Europäische Union vorschreibt, eingehalten werden – sonst drohen empfindliche Strafzahlungen.

Der ehemalige Chef des Lobbyverbandes VDA, Bernhard Mattes, äußerte sich im Sommer letzten Jahres folgendermaßen: "Auf vielen Märkten werden hocheffiziente Verbrenner noch lange einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten.“ Selbst bei optimistischer Entwicklung der E-Automobilität seien in elf Jahren immer noch mindestens vierzig Millionen Verbrenner in Deutschland unterwegs, ergänzte er im Interview mit der autozeitung.

Da verwundert es nicht weiter, dass sich der Bestand an batteriebetriebenen Fahrzeugen in Deutschland kläglich ausnimmt, gerade einmal 136.600 Elektroautos sind bei uns zugelassen (Stand März 2020), meilenweit entfernt von der einen Million Elektroautos, die Angela Merkel mal bis 2020 bei uns auf den Straßen sehen wollte. Gleichzeitig erreichte der Bestand an Personenkraftwagen in Deutschland im Januar 2020 mit rund 47,7 Millionen Fahrzeugen sein historisches Allzeithoch: Auf 350 Verbrenner kommt also gerade ein E-Auto.

Selbst wenn sie wollten, könnten die deutschen Hersteller keine konkurrenzfähigen E-Autos in nennenswerten Stückzahlen anbieten. Nur ein Viertel der Modelle, die für eine Förderung durch die Elektroauto-Kaufprämie, wie sie im Corona-Paket der Bundesregierung vorgesehen ist, derzeit in Frage kommen, kommen aus Deutschland. Diese gilt nur für Fahrzeuge, die weniger als 40.000 Euro kosten – daher bestimmen neben Tesla französische und koreanische Hersteller den Markt für relative kleine und günstige E-Autos.

BMW war mit seinem i3 in den letzten Jahren die Ausnahme, schaffte aber keinen Durchbruch; VW versucht ab Herbst mit dem ID3 erstmals überhaupt ein massenmarktfähiges Elektroauto auf den Markt zu bringen, hat aber Schwierigkeiten, die Software zum Laufen zu bringen. VW-Chef Diess ist der einzige, der aus dieser Phalanx ausscheren möchte, dafür sogar den Bruch mit dem VDA riskierte. Diess wurde gerade zurückgepfiffen und teilentmachtet vom mächtigen IG Metall-Mann und VW-Gesamtbetriebsratschef Bernd Osterloh. Die Tageszeitung Die Welt hält ihn gar für den "wahren Herrscher über den Volkswagen-Konzern" und fasst dessen Haltung zum Klima folgendermaßen zusammen: Klimapolitik gefährdet Industriestandort.