Missing Link: Das Digitalmysterium
Nach der Bundestagswahl könnte Deutschland erstmals ein eigenständiges Digitalministerium bekommen. Ob das real etwas bringt, hängt von vielen Faktoren ab.
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In der Glasfassade vom LĂĽders-Haus gespiegelter Reichstagsbundestag
(Bild: Falk Steiner)
Was muss getan werden, damit Deutschland vom Schlafwandler und Nachzügler der Digitalisierung zu einem Spitzenland wird? Wie können die Potenziale – unter anderem in der Verwaltung – von schönen Powerpoint-Folien zur Realität werden? Wie können alte Prozesse nicht nur am Endnutzerinterface neu aufgesetzt werden? Solche Fragen beschäftigen eine Vielzahl von Politikern, Interessenvertretern und Think Tank-Mitarbeitern in Berlin in diesen Tagen, in denen Wahlprogramme geschrieben und Kandidatenentscheidungen über Landeslisten und Direktmandate gefällt werden.
Wenn Ende Februar der 21. Deutsche Bundestag gewählt wird, dann könnte danach zum ersten Mal ein vollwertiges, eigenständiges Digitalministerium entstehen. Entsprechende Pläne liegen bei den Unionsparteien und der FDP in der Schublade, auch Wirtschaftsverbände wie Bitkom und Eco fordern das vehementer denn je zuvor. Denn mit dem Stand der Dinge sind alle Beteiligten unzufrieden. Doch würde mit einem Digitalministerium alles besser? Die Konzepte, soweit sie bekannt sind, haben Tücken – und zwei der größten Probleme werden dabei weitgehend ignoriert.
Viele Anläufe
Die Bundesrepublik Deutschland hat einige Versuche unternommen, um der Digitalisierung einen höheren Stellenwert in der Bundespolitik zu geben. Angela Merkel fand das Thema immer wichtig und bedauert in diesen Tagen öffentlicher Selbstinterpretation gern, dass sie es als Bundeskanzlerin nicht so vorantreiben konnte, wie sie es gern getan hätte. In den 16 Jahren ihrer Kanzlerschaft wurden zwei Modelle ausprobiert: 2014 mit einem Triumvirat. Thomas de Maizière (CDU) sollte als Innenminister die Verwaltung digitalisieren, Sigmar Gabriel (SPD) als Wirtschaftsminister den Silicon Valley-Kapitalismus zähmen und deutsche Unternehmen päppeln, Alexander Dobrindt (CSU) als Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur für Breitband und Mobilfunk sorgen. Die Erfolge waren höchstens mäßig, alle drei fremdelten auf ihre Weise mit der jeweiligen Problematik. Die sogenannte "Digitale Agenda" der damals noch Großen Koalition war nicht gerade ambitioniert – und wurde trotzdem nur teilweise umgesetzt.
2019 wollte Merkel es dann anders probieren: Alle Ministerien seien Digitalministerien, hieß es ab jetzt. Das Kanzleramt sollte die digitalpolitischen Vorhaben koordinieren – Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) war verantwortlich und Herr des Verfahrens, Staatsministerin Dorothee Bär (CSU) sollte nach außen das Thema vertreten. "Sie arbeitet dem Chef des Kanzleramtes, Helge Braun zu, ohne über eigene Entscheidungsbefugnisse zu verfügen", befand der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem Sachstandsbericht im April 2021. Aus der Digitalen Agenda wurde eine "Digitalstrategie", Worte wie Agilität fanden plötzlich statt.
Ein Digitalkabinett tagte häufiger vor der eigentlichen Kabinettssitzung, in der wesentliche Fragen besprochen werden sollten. Zusätzlich ließ sich Merkel von einem "Digitalrat" beraten – dessen Ernsthaftigkeit immer wieder infrage gestellt wurde. Mit einem kleinen Team im Kanzleramt wurde vier Jahre lang versucht, ressortübergreifende Konsense herzustellen. Teils erfolgreich, etwa mit der Corona-Warn-App, die dem Gesundheitsministerium unter Jens Spahn (CDU) weitgehend entzogen wurde – weil dort maximale Datenerfassung als Prämisse galt. Und doch geschah wenig – zu wenig. Mit den Coronakrisen-Hilfsmitteln wurde das Onlinezugangsgesetz angeschoben, mit dem die Verwaltungsdigitalisierung vorangetrieben werden sollte, und der Digitalpakt Schule aufgelegt.
Neue Regierung, neues Vorgehen
Mit der Ampelregierung 2021 wurde das Digitale erneut umsortiert: Die Steuerung im Kanzleramt wurde aufgegeben, jetzt sollten alle Ministerien wirklich Digitalministerien sein – und Volker Wissing (damals FDP) bekam ein paar Fachreferate aus anderen Ministerien dazu, um künftig als Digitalminister auch jenseits von Breitband und Mobilfunk wirken zu dürfen. Und in vielen Ministerien wurde irgendetwas mit Digitalisierung gemacht, wenn nicht gerade wichtigeres Priorität hatte. Wahrscheinlich am besten beschreibt den Zustand der Ampel-Digitalpolitik die Tatsache, dass mit Mitteln der Ukraine-Unterstützung ein gemeinsames Projekt aufgesetzt wurde: Unternehmen und Behörden aus der Ukraine sollten finanziell dabei unterstützt werden, ihr Wissen um die Digitalisierung mit deutschen Behörden und Unternehmen zu teilen.
Wie viele Milliarden Euro in den vergangenen Jahren für Beraterverträge zu IT-Projekten ausgegeben wurden? Kaum feststellbar. Wie viele Projekte de facto gescheitert sind, und nie abgesagt wurden? Schwer zu ermitteln – aber dass die Gelder in den vergangenen Jahren etwa bei der Verwaltungsdigitalisierung oder der Förderung von Digitalunternehmen effizient und vor allem wirksam eingesetzt worden wären, behauptet niemand.
Doch Politik als herrschaftliches Handeln ist in weiten Teilen eine Frage der Organisation – eine Frage der Bürokratie, und das ist nicht von vornherein negativ gemeint. Diese braucht Befugnisse, normalerweise Gesetze und Verordnungen, um handeln zu dürfen. Und Geld, um wirkungsvoll handeln zu können. Vorzugsweise entlang gemeinsamer Standards über die einzelnen Ressorts hinweg. Genau da sollte 2021 eigentlich das Digitalbudget anknüpfen: Die Idee war bestechend einfach – jedes Ministerium hätte Gelder für Projekte aus diesem Topf bekommen können, der von normalen Haushaltstiteln getrennt würde. Dafür hätte es Kriterien gegeben, wie etwa, dass dabei ressortübergreifend digitalisiert würde, offene oder zumindest nachnutzbare Vorhaben umgesetzt würden, die interoperabel mit anderen Vorhaben sind. Doch außer dem Wort gab es: Nichts. Denn in Deutschland ist jedes Ressort selbst Herr seiner Vorhaben, auch wenn diese vom Kabinett verabschiedet werden müssen. Und so digitalisiert jeder Bereich weiter in seinen Säulen vor sich hin. Und jede Ebene.
Minister und Ministerinnen ohne Wissen
Sie dürfen gerne einmal raten, von wann dieser Satz ist: "Wir können doch nicht sagen, Deutschland bricht auf in die digitale Zukunft, verliert die Angststarre, und wir selber bleiben in den alten Strukturen."
Wenn sie sich daran erinnern können, sind sie offiziell alt – denn den sagte 1998 der damals von Gerhard Schröder als Wirtschaftsminister auserkorene Compunet-Gründet Jost Stollmann dem Spiegel. Tatsächlich ist in den 26 Jahren, die seit Stollmanns Aussagen vergangen sind, trotz aller Widrigkeiten einiges bei der Digitalisierung vorangegangen. Doch immer wieder werden Nebelkerzen geworfen und auf höchster Ebene stolz auf Stammtischniveau argumentiert. Unvergessen ist etwa Hans-Peter Friedrich (CSU), der damalige Innenminister, der 2011 eine Grundsatzrede halten sollte -- und der die großen Fragen der Digitalpolitik, zu denen ihm das Ministerium einiges aufgeschrieben hatte, weitgehend ignorierte. Die Ministerialbeamten, zwischen denen der Autor zufällig stand, versanken vor Scham im Boden, als Friedrich statt politischer Grundzüge anekdotische Evidenz aus seinem Privatleben referierte und mit dem eigenen Fremdeln mit dem Digitalen kokettierte.
Ähnliche Geschichten lassen sich vom einstigen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), von Horst Seehofer (CSU), Heiko Maas (SPD) erzählen. Und auch die Spitzenvertreter der AfD glänzten bereits vielfach durch demonstrative, hier aber instrumentelle Inkompetenz, etwa wenn Alice Weidel gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wetterte oder Beatrix von Storch gegen den Digital Services Act (DSA) zu Felde zu ziehen versucht. Und auch die wolkigen Worte des Grünen-Wirtschaftsministers Robert Habeck zu Digitalisierungsfragen zeugen davon, dass er auch nach drei Jahren im Amt keineswegs ein relevantes digitalpolitisches Wissenslevel freigespielt hat.
Nancy Faeser gab die Themen kurzerhand weitgehend an die Arbeitsebene ihres Staatssekretärs Markus Richter, den Bundes-CIO ab. Es scheint bis heute also vollkommen tolerabel, wenn Minister selbst kein Wissen erwerben und irgendwo zwischen Blockchain, Big Data und KI-Phantasien den Datenschutz vorschieben, der Deutschland auf dem Weg zur Digitalisierung im Weg stehen soll. Oder wenn die normative Kraft des Faktischen bemüht wird: Die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen.
Mit Hilfsmitteln wird dann versucht, die Probleme einzuhegen – mit der "Föderalen IT-Kooperation" FITKO, mit dem IT-Planungsrat von Bund und Ländern, mit gemeinsamen Gremien wie der Digitalministerkonferenz oder ihren Pendants für Innen-, Justiz- oder Wirtschaftsminister. Am schlimmsten ist das Bild bei der Digitalisierung dort, wo Bund, Länder und Kommunen miteinander arbeiten müssten. Ob bei den Schulen, Hochschulen, bei Verwaltungsdienstleistungen oder Planungsbeschleunigung: Immer wieder wird als Argument ins Feld geführt, dass die Aufteilung nun einmal so sei, wie sie ist. Der Bund könne daher nur das behandeln, wofür er nach dem Grundgesetz zuständig ist – und das ist etwa in der Verwaltungsdigitalisierung fast nichts, da die Bürger real in erster Linie mit Bürgerämtern, Standesämtern, Bauämtern oder Schulämtern vor Ort zu tun haben.
Eines der Paradebeispiele für die Irrationalität dieser Herangehensweise ist das berühmt-berüchtigte Onlinezugangsgesetz für Verwaltungsdienstleistungen. Statt die tatsächlichen Prozesse vom analogen auf digitale Abläufe umzustellen, wurde mit viel Geld daran gearbeitet, dass – teils mehrfach – digitaler Ersatz für ein Anschreiben geschaffen wurde. Nur ganz allmählich sehen Länder und Kommunen ein, dass es bundesweite Lösungen sowohl für Onlineschnittstellen mit Identifikationsmöglichkeit als auch die Prozesse dahinter benötigt.
Handlungsfähigkeit in den Mittelpunkt
Was Deutschland wirklich brauchen würde, angesichts von demografiebedingtem Personalmangel im öffentlichen Dienst, wäre eine konsequente Herangehensweise, die die Handlungsfähigkeit in den Mittelpunkt stellt. Eine künftige Bundesregierung müsste gemeinsam mit den Bundesländern und überparteilich eine Föderalismusreform angehen, bei der klar geregelt wird, wer wofür zuständig ist – und dass gemeinsame, länder- und ebenenübergreifende Standards und Anwendungen zwingend nötig sind. Dass Prozesse strukturiert darauf geprüft werden müssen, ob sie in ihrer althergebrachten Form überhaupt noch benötigt werden – und wenn ja, wie man sie so digitalisieren kann, dass sie von Anfang bis Ende mit digitalen Mitteln bewältigt werden können.
Bis heute laufen die Bürger, nicht die Daten – und natürlich auch die Beamten und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst. Um noch einmal Jost Stollmann 1998 zu bemühen: "Ganz im Gegensatz zum Klischee, dass in Behörden alle bürokratisch, faul und doof sind, glaube ich, dass die Menschen begeistert ihre Fesseln wegwerfen." Würde es eine neue Bundesregierung, welcher Couleur auch immer, ernst meinen, würde sie genau diese Radikalreform angehen und strukturiert einsammeln, was die tatsächlichen Anwender der Verwaltungsprozesse an Erfahrungswerten mitbringen. Was kann weg, was muss bleiben, was geändert werden? Das Wissen darum ist da.
Die Chancen stehen gut dafür, dass Deutschland nach der Wahl nun ein Ministerium bekommt, das die Digitalisierung voranbringen soll, ohne zugleich einem anderen Großthema verpflichtet zu sein. Denn ob Verkehrs-, Innenministerium oder Kanzleramt: Wenn digitales Priorität haben soll, braucht es dafür ein eigenständiges Haus. Jahrelang hieß es, dass der Aufbau eines neuen Ministeriums zu lange dauern würde – doch eine realistische Anlaufzeit von einem Jahr, bis ein solches voll arbeitsfähig wäre, ist im Angesicht der verschenkten Zeit der vergangenen Legislaturperioden ein Klacks.
Mehr als TĂĽrschild
Doch selbst wenn das Projekt der strukturellen Reform angegangen wĂĽrde: Einfach "Digitalministerium" an ein TĂĽrschild zu schreiben, das allein wird nicht reichen. Denn einige der Konzepte, die derzeit kursieren, wollen in erster Linie eine Verwaltungsdigitalisierungseinheit schaffen. Das wird nicht reichen. Manche, etwa in der FDP, sehen ein Modernisierungsministerium, das dazu auch noch Planungsbeschleunigung auf die Fahne geschrieben bekommen soll.
Damit würde aber vor allem vermieden, ein Digitalministerium als das zu skizzieren, was Ministerien immer auch sind: Originär politische Apparate, in denen Ideen ausgebrütet werden, die Positionierungen erarbeiten. Denn wer Digitalisierung will, muss Entscheidungen treffen und verantworten. In jedem Gesetz, jeder Verordnung, jeder Verhandlungsposition im EU-Ministerrat stecken politische Positionen: Was wird gewollt? Wie soll es deshalb geregelt werden – oder eben nicht?
Ein künftiges Digitalministerium muss daher auch für die Digitalpolitik maßgebliche Weichen stellen und dafür zuständig sein. Das betrifft Grundsatzfragen: Etwa jene, welche Art von Wirtschaftsgebaren im digitalen Raum zulässig sein soll. Aber auch ganz andere: welchen Stellenwert hat IT-Sicherheit, Datenschutz, Datennutzung? Welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus auch für andere Politikbereiche? Das alles sind Fragen des Staatsverständnisses: Ist der Staat nur ein Akteur unter vielen? Oder derjenige, der den Rahmen setzt, in dem alle anderen agieren? Der durchsetzt, umsetzt, wo nötig sogar im Sinne des funktionierenden Gemeinwesens straft? Der aufgrund des Gewaltmonopols sich digital immer auch selbst beschränken muss?
Das bisherige Teildigitalministerium unter Volker Wissing etwa gab sich durchaus Mühe, Positionen zu entwickeln. Einige davon waren umstritten, federführend waren in maßgeblichen Fragen aber oft andere Häuser. Wenn die Frage, wie gläsern der Bürger im Zeitalter eines digitalisierten Staats, digitaler Wirtschaft und Gesellschaft sein soll und sein darf, nur zwischen Innenministerium und Justizministerium verhandelt wird, dann braucht es dafür kein Digitalministerium. Wenn die Entscheidung, ob kritische Technologien in Deutschland und Europa hergestellt werden sollen, nur Sache des Wirtschaftsministeriums ist, dann braucht es kein Digitalministerium. Und wenn der Datenschutz weiterhin im Innenministerium politisch behandelt wird, der Verbraucherdatenschutz im Umwelt- und Verbraucherministerium, die Datenökonomie im Wirtschaftsministerium und die Einwilligungsregelungen im Justizministerium, dann wäre so ein Haus ebenfalls überflüssig.
Auch ein neues, echtes Digitalministerium wäre selten ganz allein zuständig. Aber es könnte in bestimmten, für das Digitale zentralen Vorhaben und Grunddefinitionen der Federführer sein. Also das Haus, was die Linie vorgibt, und mit dem sich die anderen einigen müssen. Denn die Grundprobleme sind fast überall grundsätzlich gleich: Abhängigkeiten, Silostrukturen, ökonomische Netzwerkeffekte, Datenfragen, Sicherheitsfragen, Resilienzfragen. Für diese braucht es statt verteilter Teilkompetenzen ein digitalpolitisches Powerhouse, das strukturiert und konzentriert Antworten gibt und zugleich den Überblick behält. Schaut man sich etwa an, welche strukturellen Schlussfolgerungen im Verteidigungsministerium aus Softwarewildwuchs, Legacyproblematik und anderen typischen Problemen gezogen werden, könnte das einen Standard auch für andere Bereiche bilden, etwa Verwaltungsdienstleistungen. Mit solch breitem Wissen um die guten Lösungen wäre mehr gewonnen als mit dem Status quo, in dem Digitales als Fortsetzung der Sicherheitspolitik mit anderen Mitteln wie im Innenressort, als Infrastruktur wie im Verkehrsministerium, als Datenbroker-, Startup- und Chipwerke-Politik im Wirtschaftsministerium missverstanden wird.
Wer wĂĽrde Ministerium fĂĽhren?
Bis heute fehlt es in den Häusern an eigenständiger, konsequenter Digitalperspektive, die konsequent weiterdenkt, dass etwa, wer chinesische Software nicht im Telekommunikationsnetz haben möchte, diese wohl auch nicht in Tausenden Solaranlagen im Stromnetz, bei Überwachungskameras für Firmengelände, in Sensoren, Medizingeräten, Robotik und ja, auch nicht auf Mobiltelefonen, in Bahninfrastruktur oder Cloudlösungen haben will. Und eben auch keine Forschungsprojekte mit chinesischen Staatsuniversitäts-Absolventen an deutschen High-Tech-Standorten.Und wer die Abhängigkeit auch von den USA vorsichtshalber reduzieren möchte, hat mit der Beschaffung bei den öffentlichen Stellen einen maßgeblichen Hebel für Softwareentwicklung in Europa in der Hand. Solch ein Durchdeklinieren der digitalen Erfahrungen in andere Politikbereiche schaffen die bisherigen Ministerien allein regelmäßig nicht. Und das liegt auch daran, dass der Glaube, dass die Digitalisierung mit all ihren Facetten einfach nur eine Zusatzkompetenz für den Durchschnittsbeamten ist, die sich im Laufe der Zeit schon einstellen wird, sich nicht bewahrheitet hat. Es reicht eben nicht, in jedem Haus eine "Dateneinheit" aufzubauen.
Dass im kommenden Jahr ein schlagkräftiges, wirkmächtiges, echtes Digitalministerium entsteht, bleibt daher eher unwahrscheinlich. Ob überhaupt, hängt nicht zuletzt vom Zufall der Regierungsbildung ab: Sollte ein weiteres Ministerium gebraucht werden, damit in Mehrparteienbündnissen ausreichend Ministerposten vorhanden sind, spricht viel dafür. Doch selbst wenn fehlt weiterhin ein wichtiger Faktor.
Denn politisches Gewicht wird es kaum bekommen: Denn politisches Gewicht wird es kaum bekommen: Keiner der aktuell politisch relevanten Akteure ist in diesen Themenfeldern mit fachlicher Kompetenz und Interesse auffällig geworden. Und selbst in der zweiten Reihe der Bundestagspolitiker gibt es kaum aufstrebende Talente. Viel mehr brechen absehbar mit der Bundestagswahl einige erfahrene und fachkompetente Politiker aus allen Fraktionen weg. Digitalpolitik in all ihren Ausprägungen, ob Sicherheit, Wirtschaft oder Gesellschaft, spielt für die Parteioberen schlicht keine Rolle.
Fortschritte trotz Berlin
Und so wird es im Ergebnis nach der nächsten Wahl wohl nur ein Ministerium mit entsprechendem Briefkopf geben, das nach der Wahl an der Verwaltungsdigitalisierung weiter scheitern und den Digitalgipfel ausrichten wird. Einzige Behörde in ihrem Zuständigkeitsbereich werden dann die "Digitalagentur"-Teile der Bundesnetzagentur mit ihren Zuständigkeiten. Damit würden dann weitere vier Jahre weitgehend verschenkt – aber daran haben sich die Deutschen ja bereits irgendwie gewöhnt. Und ein bisschen was geht dann ja doch immer voran – nicht immer wegen, sondern häufiger trotz der Politik in Berlin. 1998 wurde nicht der parteilose Stollmann, sondern ein Energiemanager namens Werner Müller Wirtschaftsminister. Nach der Wahl sollten seinem Ministerium wesentliche Teile weggenommen werden: Stollmann war dem damaligen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine zu weit weg von seinen Vorstellungen – und warf das Handtuch.
(mho)