Missing Link: Das Internetgewissen – von Kämpfen und Providern (Michael Rotert)

Seite 2: Erste Mail war Mailserver

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heise online: Richtig berühmt sind Sie geworden damit, dass Sie am 4. August 1984 die erste E-Mail in Deutschland, eine Willkommens-E-Mail des US-Wissenschaftsnetzes Csnet, erhalten haben. Gibt es die eigentlich noch in elektronischer Form?

Michael Rotert: Nein. Nur auf Papier. Den Ausdruck habe ich dem Stadtarchiv Karlsruhe vermacht, und die Stiftung deutsches Kulturgut hat den Ausdruck danach in einen Kalender aufgenommen. Der hängt hier in meinem Büro. Die Stiftung hatte für die Restauration des Ausdrucks gesorgt und gesagt, die Restauration sei ganz schön teuer gewesen – wegen der vielen Fingerabdrücke darauf. (lacht)

Die Geschichte um die Mail ist bisher übrigens technisch nicht immer ganz korrekt wiedergegeben worden. Die erste E-Mail war nicht die erste E-Mail. Das haben Journalisten draus gemacht. Es ging viel mehr um den ersten E-Mail-Server. Mit dem Aufspielen der Software und dem Anschluss an das Csnet war verbunden, dass man die E-Mails auch in der deutschen Wissenschaft verteilen konnte. Irgendjemand musste dafür die Bereitschaftserklärung bekommen, und da ich die Software aufgesetzt hatte, habe ich eben diese Erklärung bekommen. Und daraus wurde dann in der öffentlichen Wahrnehmung "die erste E-Mail".

heise online: Tatsächlich hatten Sie damit den ersten Mailserver am Start, über den Mails zwischen Deutschland und den USA ausgetauscht werden konnten…

Michael Rotert: Genau. Deutschland war damit das erste Land, das den Anschluss ans Csnet geschafft hat. Bei jährlichen Treffen des Csnet wurde übrigens immer diskutiert, wer als nächstes angeschlossen wird. Es gab eine Liste der Kandidaten, auf der stand Israel an Position eins. Denen fehlte aber das Geld und so blieben sie ein ewiger Aspirant. Wir standen viel weiter hinten, waren aber die Ersten außerhalb von Amerika, die angeschlossen waren.

heise online: Tatsächlich gab es ja auch andere, die für sich reklamieren, dass sie schon Nachrichten international ausgetauscht haben, die Dortmunder Kollegen sind ja über Amsterdam gestartet…

Michael Rotert: Das war der große Unterschied. Die Dortmunder kamen über UUCP, das Unix-to-Unix Copy Protokoll. Das waren die absoluten Unix Freaks. Ich hatte zwar auch Berkeley Unix Software laufen, aber auf einer VAX. Das eigentliche Ziel unseres Projekts war letztlich, ans ARPAnet zu kommen. Das Csnet sahen wir als Zwischenstufe, um mit den Leuten mal auf gleicher Höhe zu argumentieren. Um das aufzusetzen, habe ich mich anfangs in den US-Account eines Karlsruher Professors eingewählt, der eine Zeit lang in den USA gearbeitet hatte. Über diesen E-Mail-Account habe ich erst mal Kontakt mit den Csnet Leuten aufgenommen.

heise online: Interessant…

Michael Rotert: Karlsruhe kam also mehr über die reine Internetschiene. Dortmund kam von der Unix-Schiene. Man kannte sich, man hat sich getroffen und hat sich nicht gebissen. Alles war gut. Bis zu dem Zeitpunkt, als die beiden Provider kommerziell wurden und beim Eunet andere Firmen, etwa RWE und Mannesmann mit einstieg. Erst haben die ausgegründet. Wir mit Xlink kamen ein halbes Jahr später. Dann waren die freundlichen Unizeiten vorbei.

heise online: Ich habe in mehreren Gesprächen mit Netzpionieren immer wieder gehört, dass das DFN hinterherkam…

Michael Rotert: Das DFN hatte einen ganz anderen Ansatz. Der Ansatz war von heute aus betrachtet gar nicht so schlecht. Vielleicht wären wir dann nicht bis heute mit so anfälligen Protokollen gesegnet. Aber das DFN hat wie ein Missionar versucht, bei der Wissenschafts-Community ihren Ansatz durchzudrücken. Das kam nicht gut an und die Wissenschaftler haben fast ausnahmslos gesagt, es nützt uns wenig, wenn wir nicht international, etwa mit den Amis kommunizieren können über das Netz. Karlsruhe hat dann als DFN Projekt den Anschluss ans Internet betrieben und da wollten alle dabei sein. Die ersten mit einer richtigen Leitung waren die Kollegen in Saarbrücken, das BelWü in Stuttgart war ganz schnell mit dabei. Und so hat die Missionierung durch das DFN nicht geklappt, die Wissenschaft hat sich für das Internet entschieden.

heise online: Und gegen OSI…

Michael Rotert: Ja. Die Amerikaner wollten damals die OSI Protokolle sogar noch anpassen. Die DFN Protokollwelt hatte einen großen Nachteil. Wenn das Ding auf einem Rechner lief, lief auf dem nichts anderes mehr. Das heißt, man brauchte einen extra Rechner. Um an ein normales, lokales Netz heran zu kommen, benötigte man überdies ein extra Interface. Das war irre aufwändig. Die Amis wollten das nochmal alles gerade ziehen. Aber dafür haben sie dann einfach kein Geld mehr bekommen. Und so sind wir dann bei den alten Internetprotokollen hängen geblieben.

heise online: Würden die aktuellen Souveränitätsfragen anders diskutiert, wenn diese Alternative damals doch noch zum Zug gekommen wäre? Oder kann man das so nicht sagen?

Michael Rotert: Doch, das kann man durchaus sagen. Die Schwächen des Domain Name System hätten wir nicht, denn wir hätten dafür etwas anderes. Die Spam- und auch Security-Geschichten wären anders. Man hätte deutlich mehr eingebaute Sicherheit von Anfang an mit integriert, denke ich. Ob die Protokolle sich am Ende als so massentauglich erwiesen hätten wie IP, etwa beim Einsatz für kleine mobile Endgeräte, das kann man nicht einfach sagen. Natürlich hätte auch eine Entwicklung stattgefunden. Aber so im Nachhinein betrachtet, wäre so ein paralleles System vielleicht nicht so schlecht gewesen. Eigenständig – mit Übergängen zu IP.

Übergänge in existierende lokale Systeme, das war damals ja das A und O. Jeder hat ein Gateway zu Unix ein Gateway zu Decmail und ein Gateway dahin und dorthin gebaut.

heise online: Darauf haben sich auch Geschäftsmodelle aufgebaut, wie die erste Karlsruher Ausgründung, die Conware…

Michael Rotert: Zorn hatte für die Vernetzung von Siemensrechnern bereits erfolgreich eine Firma aus der Uni ausgegründet, die Conware. Als Betriebsrechner für die Fakultät für Informatik hatte Zorn zunächst eine Borroughs betrieben und danach eine Siemens. Er war damals ganz schön Siemens-hörig. Aber die Fakultät hat irgendwann Druck gemacht, dass man auch Vaxen brauche. Es war vor allem wegen meines VAX-Knowhows, dass ich vom Institut Krüger zur Informatik-Rechnerabteilung Zorn wechselte.