Missing Link: Das Internetgewissen – von Kämpfen und Providern (Michael Rotert)

Seite 5: Auf der dunklen Seite der Macht

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heise online: Bei den Hotspots haben sie bis zuletzt im Bundestag mit dafür gekämpft, dass das Haftungsrisiko für Wlan-Betreiber verringert und damit die Öffnung von WLANs wieder möglich wird. Gegen die VDS sind Sie auf EU und Bundesebene aktiv gewesen und Sie haben sich mit dem Eco Verband für Löschen statt Sperren eingesetzt. Trotzdem sind sie seit 2004 im Vorstand der Datakom Tochter GTEN gewesen, und die hat nichts anderes gemacht als Software und Services zum Überwachen von Netzverkehren. Wie passt das zusammen?

Michael Rotert: Aber da ging es um das G10-Gesetz – daher ja der Name – und nicht um eine Generalüberwachung von jedem und allem und es ging nicht um Vorratsdatenspeicherung.

heise online: Aber die G10-Überwachung von Datenverkehren greift ja, nach allem was wir heute wissen, in den gleichen Topf wie die Aufklärungsüberwachung des BND. Die G10-Anordnungen zur Ausleitung von Verkehren ist so umfassend, dass selbst die G10-Komission schon versucht hat, zu klagen. Also, die Begrenzung ist eine Chimäre.

Michael Rotert: Ja und nein. Zu der Zeit als ich zu GTEN ging, kamen gesetzlichen Vorgaben darüber raus, dass die Provider Überwachungsfunktionen ausschließlich zur Strafverfolgung bereithalten sollen. Und keiner hat es gemacht, weil auch die Vorgaben viel zu diffus waren. Außer der Telekom, aber der hat es auch nicht weh getan einmal etwas umsonst zu entwickeln, wenn der Hauptshareholder es anordnet. Die Telekom war ja auch bei ETSI und hat da in die Dokumente mit eingebracht, was sie hatten. GTEN hatte zu der Zeit im wesentlichen im Ausland Geschäfte – im arabischen und asiatischen Raum.

heise online: Da passt die Analogie mit G10 ja eigentlich auch nicht so richtig. Und ist es da besser?

Michael Rotert: Nein, gar nicht. Ich bin abends nach Beirut geflogen, dann nachts durchs Niemandsland über die Grenze nach Syrien, nach Damaskus. Am morgen war dann das Meeting und dann ging es auf demselben Weg zurück. Das hat mir alles nicht gefallen. Daher bin ich dann auch weg und wegen der Differenzen mit dem Gesellschafter, der mir später auch noch die Polizei auf den Hals gehetzt hat, ist mir der Abschied auch leicht gefallen, muss ich sagen. Na, und das einzige, was ich jemals verkauft habe, war ein System zur Überwachung im afrikanischen Markt, gesponsort von den Arabern. Da war für mich dann Schluss. Das war kein Geschäft und Marktführer in diesem Bereich waren Amerikaner und Israel. Und nur die Provider in Deutschland noch unter Druck setzen, das wäre mir gar nicht eingefallen. Das sollte ich aber dann, der Gesellschafter hatte da so seine Vorstellungen. Da habe ich tschüss gesagt.

heise online: Was hat sie bewogen, da einzusteigen, war‘s das Geschäft oder haben Sie einen Sinn darin gesehen?

Michael Rotert: An manchen Stellen habe ich eingesehen, dass arme Länder gesagt haben, wir wollen damit Skype ausbremsen, weil uns da Millionen durch die Lappen gehen und wir das noch nicht aufmachen können, weil wir es nicht im Griff haben. Adäquate Mittel für die Strafverfolgung schienen mir auch noch vertretbar. Da, wo ich ein Mikrofon installiere oder ein Telefon abhöre, kann ich auch Internet-Überwachung anordnen. So richtig wohl war es mir aber nie. Einerseits habe ich es als Geschäft gesehen, andererseits auch gedacht, wenn man grundsätzlich die Zusammenarbeit verweigert, und immer sagt, das geht nicht, kassiert man am Ende völlig überzogene Gesetze und steht dumm da.

heise online: Die sind dann aber doch gekommen, die überzogenen Gesetze…

Michael Rotert: Ja, sie sind dann trotzdem gekommen. Aber viel mehr passiert nicht. Ich habe es selbst erlebt, dass die Behörden nicht in der Lage waren die notwendigen Leitungen anzumieten, über die angeforderte Daten dann abfließen sollten. Das war schon zu GTEN-Zeiten so. Man startete eine Überwachung, aber wenn es viele Daten waren, fiel wegen der fehlenden Kapazitäten die Hälfte hinten runter. Der BND hat es bei der Ausleitung von dickeren Leitungen oft nicht geschafft, so viel Kapazität nach Pullach zu schaffen, dass sie alles mitkriegen, was sie gerne gehabt hätten. Na ja, zumindest haben Sie die Liste zur Schlagwortsuche von den Amis bekommen.

Die nachrichtendienstliche Überwachung war mir übrigens immer suspekt. Strafverfolgung mit Anfangsverdacht und richterlicher Anordnung – alles klar. Allerdings hat sich die Polizei da ja auch nicht so mit Ruhm bekleckert, wenn ich an die Debatten zur Sperrung von Kinderpornografie denke. Da kam jemand vom BKA und sagte, schaut mal diese Bilder an, da muss man doch blocken, filtern und sperren. Also, wenn man das Bild hat, dann sollte man doch hingehen und löschen. Wenn ich es sperre, kommt es doch bloß beim Nachbar raus.

heise online: Bleiben….

Michael Rotert: Also, GTEN, das war kein Ruhmesblatt

heise online: ….wir kurz beim Zugangserschwerungsgesetz, die "Zensursula"-Episode. Sie waren aktiv für den Eco, verhindern konnten sie das Gesetz zwar nicht, aber…

Michael Rotert: ...es wurde nach einem Jahr gekippt. Da hat Ursula von der Leyen politisch einen großen Fehler gemacht. Sie hat die Angelegenheit einer Mitarbeiterin übertragen, die sie, glaube ich, später auch mit ins Verteidigungsministerium genommen hat. Die hat die Provider unter Druck zu setzen versucht, indem sie unverpixelte Kindesmissbrauchsbilder gezeigt hat. Das hat dieser Initiative den Garaus gemacht. Der Ansatz von vdL hätte ansonsten sehr gefährlich für die Provider werden können.

Insgesamt muss ich sagen, die Beschwerdestelle beim Eco funktioniert immer besser. Es gibt natürlich nach wie vor die Missbrauchsbilder, aber wachsendes Knowhow bei der Polizei und zugleich die gesellschaftliche Ächtung haben viel bewirkt. Vielleicht sind die Täter vorsichtiger, vielleicht verschlüsseln sie mehr. Aber die Aufklärungs- und Reaktionsquote ist wirklich gestiegen. Wenn die Kölner Beschwerdestelle etwa in Russland anruft und sie auf einschlägige Bilder aufmerksam macht, die ihr gemeldet wurden, dann reagieren die Russen auch. Die Welt macht mit.

heise online: Das von Eco und von den, sagen wir mal "Stakeholdern" getragene "Löschen statt Sperren" hat also besser funktioniert als Filtern und Sperren...

Michael Rotert: Unbedingt. Es verhindert die Verbrechen nicht vollständig, Morde kann ich aber auch nicht verhindern. Der neue Anlauf zu Blocken und Sperren läuft dem zum Trotz gerade wider – im neuen Glücksspielstaatsvertrag steht es explizit drin. Als Nächstes sperren wir dann vielleicht die AfD oder wer weiß was sonst noch. Ich bleibe dabei, Sperren und Blocken sind keine geeigneten Mittel. Das Netz wird immer einen Weg um die Zensur herum finden.