Missing Link: Das Konzept der Schwammstadt

Der Klimawandel und die folgenden Starkregenereignisse und Dürren stellen die Städte vor neue Herausforderungen. Zeit zum Handeln – das Schwammstadt-Konzept.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 155 Kommentare lesen
Bosco,Verticale,(vertical,Forest),In,Milan,City,,Italy

(Bild: Ivan Kurmyshov/Shutterstock)

Lesezeit: 33 Min.
Von
  • Ulrike Heitmüller
Inhaltsverzeichnis

Der Klimawandel hat zwei scheinbar gegenläufige Folgen: einerseits stärkere Hitze- und Trockenheitsphasen, andererseits immer mehr "Starkregenereignisse". Und in Ballungsgebieten sind diese Klimawandelfolgen durch die versiegelten Flächen – Straßen, Wege, Plätze, Gebäude – besonders deutlich spürbar: Erstens wird die Hitze tagsüber von den Steinen gespeichert und nachts wieder abgegeben, so dass die Luft nicht richtig abkühlt; zweitens kann das Wasser eines sehr heftigen Regengusses nicht versickern, sondern überfüllt die Kanäle und überflutet Straßen und Keller. Behörden, Bauherren, Architekten und Landschaftsplaner suchen nach Lösungen. Ein Ansatz zumindest für den Umgang mit Regenwasser ist das Konzept der "Schwammstadt".

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Ein Schwamm saugt Wasser auf, speichert es und gibt es wieder ab. So soll auch die Schwammstadt funktionieren: Bei einem "Starkregenereignis" soll sie das Wasser speichern, und in Zeiten der Trockenheit soll sie es wieder abgeben.

Der Begriff "Starkregen" ist eigentlich nicht definiert. Im Allgemeinen versteht man darunter einen kurzen, heftigen Regenguss auf kleinem Raum. Der Deutsche Wetterdienst bezeichnet als "Starkregen" 15 bis 25 Liter pro Quadratmeter in einer Stunde oder 20 bis 35 Liter pro Quadratmeter in sechs Stunden, als "heftigen Starkregen" 25 bis 40 Liter pro Quadratmeter in einer Stunde oder 35 bis 60 Liter pro Quadratmeter in sechs Stunden und als "extrem heftigen Starkregen" mehr als 40 Liter pro Quadratmeter in einer Stunde oder mehr als 60 Liter pro Quadratmeter in sechs Stunden. Ein Starkregenereignis kann überall auftreten und ist kaum vorherzusagen.

Und dieses Wasser soll nun gespeichert werden?! Wo und wie?

Stephan Natz ist der Pressesprecher der Berliner Wasserbetriebe: "In Berlin gibt es drei Kategorien von Kanälen: Misch-, Schmutz- und Regenkanäle. In der Innenstadt, also innerhalb des S-Bahn-Ringes, haben wir ein Mischkanalsystem mit einem gemeinsamen Kanal für Schmutz- und Regenwasser. So funktioniert es in allen Großstädten zwischen Madrid und Moskau, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde so gebaut. Seither setzt man auf Trennkanäle, also unterschiedliche Kanäle für Schmutz- und für Regenwasser." Der Wert der Berliner Kanalisation beträgt laut Anlagenspiegel im Geschäftsbericht zum 1.1.2021 knapp 7 Milliarden Euro.

Insgesamt hat Berlin knapp 10.000 Kilometer Kanalnetz und fast ganz Berlin ist daran angeschlossen: 80 Prozent im Trennsystem (4420 Kilometer Schmutzwasserkanäle, 3352 Kilometer Regenwasserkanäle), 20 Prozent im Mischsystem (1928 Kilometer). Nur ein paar Siedlungen haben gar keine Kanalisation und Abfuhrunternehmen fahren ihr Schmutzwasser in die Klärwerke. Die sechs Berliner Kläranlagen reinigen täglich mehr als 700.000 Kubikmeter Wasser: Regenwasser sowie Abwasser aus Industrie, Haushalten und öffentlichen Einrichtungen. In drei Wochen kommt so die Menge des Großen Wannsees zusammen.

Kennzahlen der Berliner Wasserbetriebe – Betriebsteil Entwässerung

(Bild: Berliner Wasserbetriebe)

Beim Mischsystem wird das Regenwasser aus Gullys und Regenrinnen mit dem Schmutzwasser aus Haushalten, Industrie- und Gewerbebetrieben vermischt und als "Abwasser" zur Kläranlage geleitet. Aber bei Starkregen überlasten die Wassermassen Kanäle und Kläranlagen. Damit das Wasser in so einem Fall nicht aus den Gullys sprudelt oder in tiefer gelegenen Wohnungen aus den Abflüssen schießt, gibt es extra Überläufe, etwa in den Landwehrkanal oder die Spree. Insgesamt landen dort jährlich bis zu 7,5 Millionen Kubikmeter ungefiltertes Dreckwasser.

Das ist zwar Schmutz- mit Regenwasser sozusagen verdünnt, aber trotzdem sehr dreckig, denn der Regen spült Unrat und Schadstoffe von der Straße und führt es mit. Gegen diese Umweltverschmutzung bauen die Berliner Wasserbetriebe seit Jahren mit unterirdischen Zwischenspeichern an, im vergangenen Jahr wurden 33 Millionen Euro für neue Kanäle und Druckleitungen ausgeschrieben.

Beim Trennsystem in den Städten und Gemeinden außerhalb der Innenstadt, die erst seit 1920 zu Groß-Berlin gehören, leiten die Kanäle das Schmutzwasser in die Kläranlagen und nur den Niederschlag direkt in Flüsse und Seen. Aber Unrat und Schadstoffel gelangen eben auch mit diesem Niederschlag in die Gewässer.

Während Regenwasser also traditionellerweise über das Kanalsystem in Flüsse, Seen oder das Meer abgeleitet wird, soll es in einer Schwammstadt vor Ort gespeichert und bei Trockenheit wieder abgegeben werden, und zwar am besten dort, wo es benötigt wird, also in Grünflächen oder an Bäumen.

Die Kanäle sind nun aber einmal da und das System ist eingespielt, man kann es nicht von heute auf morgen umstellen. Außerdem: Was in der einen Stadt funktioniert, ist in einer anderen vielleicht gar nicht möglich, wegen des Untergrundes, weil es zu viele oder zu wenig Gewässer in der Stadt gibt, oder auch wegen der klimatischen Bedingungen.

Darum gibt es viele regionale Projekte zum Thema Schwammstadt. Das Ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt Kommunen bei der Entwicklung und Erprobung von Projekten zum nachhaltigen Umgang mit Ressourcen, insgesamt zwölf Projekte der Fördermaßnahme "Ressourceneffiziente Stadtquartiere für die Zukunft" (RES:Z) befinden sich laut BMBF seit 2018 in der Forschungs- und Entwicklungsphase. "Mit dem Thema Schwammstadt befassen sich zentral die RES:Z-Projekte BlueGreenStreets, Leipziger BlauGrün und TransMiT. Weiterhin wird das Thema in Teilaspekten in den RES:Z-Projekten 'R2Q' und 'Straße der Zukunft behandelt'", so ein Sprecher des BMBF.

In über 20 Modellkommunen hat eine Umsetzungs- und Verstetigungsphase begonnen, in der die Ergebnisse pilothaft erprobt werden. Das Ganze wird einem wissenschaftlichen Querschnittsprojekt begleitet, das die inhaltliche Vernetzung, die Kommunikation nach außen und den Transfer in die kommunale Praxis unterstützen soll. "Zum gegenwärtigen Zeitpunkt befindet sich das Projekt 'Leipziger BlauGrün' noch in der Forschungs- und Entwicklungsphase; eine weiterführende Umsetzungs- und Verstetigungsphase ab kommendem Jahr wird derzeit vorbereitet. Die Projekte 'BlueGreenStreets' und 'TransKOM' (Nachfolge 'TransMiT') befinden sich bereits in der Umsetzungs- und Verstetigungsphase", so der BMBF-Sprecher. "Die Fördersumme der drei Projekte, die im Rahmen der Fördermaßnahme RES:Z schwerpunktmäßig dem Thema Schwammstadt zugeordnet werden können, beträgt für beide Förderphasen etwa 11,5 Millionen Euro."

Berlin hat das Thema recht früh erkannt, kein Wunder: Ungefähr 66 Prozent der Niederschläge verdunsten, 22 Prozent versickern, 11 Prozent werden über die Kanalisation weggeführt. Außerdem ist es in Berlin besonders trocken; auch im Jahr 2021 war die Region mit rund 560 Litern Regen je Quadratmeter erneut die trockenste Region in Deutschland. Andererseits gibt es durch den Klimawandel immer mehr Starkregenereignisse – und Berlin ist, so der Tagesspiegel, dagegen besonders schlecht geschützt: von 2002 bis 2017 gab es bundesweit 8.411 Starkregenereignisse, davon 31 in Hamburg, 22 in Bremen und 27 in Berlin. Aber in Berlin war ein besonders hoher Anteil an Gebäuden betroffen: 131,2 von 1.000 Gebäuden, damit lag es bundesweit direkt hinter dem Flächenstaat Sachsen an zweiter Stelle, weit vor den anderen Stadtstaaten Hamburg (59,2/1.000) und Bremen (44,8/1.000).

Im Jahr 2018 haben das Land Berlin und die Berliner Wasserbetriebe die Berliner Regenwasseragentur gegründet. Sie ist bei den Wasserbetrieben angesiedelt. Die Agentur ist nicht sehr groß, Stephan Natz zählt zusammen: "Anfangs waren es vier Kolleginnen, jetzt sind sie zu acht, aber eine ist im Mutterschutz und einer ist Freiberufler." Das Budget? ...kommt teilweise vom Land Berlin und ist übersichtlich, einige 100.000 Euro", genau wisse er es nicht. "Die Agentur braucht aber auch kein riesiges Budget, sie ist eher ein Publikationsinstitut für die vielen Lösungen, die es schon gibt: Sie informiert und berät."

Dabei werde sie auch immer öfter bei Konflikten herangezogen, zum Beispiel, wenn ein Sachverhalt grundstücksübergreifend wirkt. Vor ein paar Wochen sei ein Investor vorstellig geworden, der in Berlin zwei Hochhäuser errichten wolle, "und daneben befindet sich ein Urban Gardening Projekt. Die würden gern das Regenwasser von den Hochhäusern bekommen." Außerdem berate die Agentur auch Architekten, Planungsbüros und bauende Behörden. Kurz: "Es gibt viel zu tun für die wenigen Leute. Sie werden ständig angefragt, aus Berlin und auch von außerhalb." Zwar kümmern sich inzwischen immer mehr Städte und Gebietskörperschaften um die Bewirtschaftung von Regenwasser, aber "so institutionalisiert wie hier in Berlin, eine Agentur als überbetriebliche Institution, meines Wissens gibt es das in Deutschland noch nirgendwo so", sagt Stephan Natz.

"Im Neubau sind wir ganz toll in Berlin." So habe das Land ein Dutzend Flächen als neue Stadtquartiere ausgewiesen, mit teils über 1.000 Wohnungen. Zum Beispiel die Urban Tech Republic, das Schumacher Quartier oder die Buckower Felder: "All diese neuen Quartiere werden von vornherein regenwasserabflusslos geplant und die Investoren, die großen Wohnungsbaugesellschaften, werden von der Agentur mit beraten." Nach vier Jahren Planungsvorlauf würden nun die ersten Dinge manifest, angefangen mit Tiefbau.

Seit fast einem Jahrzehnt sei der Politik das Thema "Umgang mit dem Regenwasser" bewusst, Natz nennt es einen "Paradigmenwechsel von der Ableitung zur dezentralen Nutzung vor Ort". Parallel zur Initiierung der Regenwasseragentur wurde auch in der Administration einiges umgestellt. Wer in Berlin einen Neubau errichten wolle, dürfe nur noch so viel Wasser abfließen lassen, wie auch natürlicherweise, ohne den Bau, abfließen würde, "also wie in der Steppe." Der Bauherr könne entscheiden, was ihm lieber sei: Grüne Lösungen auf Dächern, an Fassaden oder neben den Gebäuden, oder eine andere technische Lösung – nicht die Art der Technik, sondern das Ergebnis werde vorgeschrieben.

Mehrere Ingenieure arbeiten allerdings schon länger mit dem Konzept der Schwammstadt. Unter den Ersten war das Büro bgmr Landschaftsarchitekten in Berlin. Einer der Gründer und Geschäftsführer, Carlo Becker, sagt, sie hätten "Schwammstadt" als Wortmarke beim Patentamt eintragen lassen, als es noch nicht im allgemeinen Sprachgebrauch verankert gewesen sei. "Es ging uns nicht darum, das Wort zu schützen, um dann damit Geld zu verdienen – man soll es gern nutzen – sondern es geht um die Botschaft, den Inhalt." Der soll wohl nicht, nun ja, "verwässert" werden.

Im Jahr 2013 habe sein Büro an einem Projekt zur Regionalentwicklung in Nordrhein-Westfalen teilgenommen und die Leitideen entwickelt. "Auch in England und Amerika sind damals solche Konzepte entstanden, dort heißt das eben 'Sponge City'." Vor zehn Jahren sei es um Strategien gegangen, seit drei Jahren sieht Becker eine gewisse Euphorie. Inzwischen hätten etwa 30 Prozent ihres Aufgabenbereiches mit dem Konzept Schwammstadt zu tun: "Es zieht sich durch alle Projekte hindurch. Beim Wohnungsbau, bei Freianlagen: Immer geht es auch um das Versickern und das Zurückhalten von Wasser und die Bewässerung von Bäumen."

Professor Dr.-Ing. Heiko Sieker, Geschäftsführer einer Ingenieurgesellschaft und Honorarprofessor an der TU Berlin, befasst sich noch länger mit dem Thema der Regenwasserbewirtschaftung: "Schwammstadt ist seit 30, 35 Jahren Thema in der Fachwelt, es wurde viel geredet, aber bis etwas geschieht, dauert es lange", sagt er. Er habe das Thema von seinem Vater sozusagen "geerbt" – Friedhelm Sieker lehrte in den 1980er-Jahren an der Universität Hannover als Professor am Institut für Hydrologie und Wasserwirtschaft –, denn "das Konzept gibt es in ganz Deutschland, besonders in Berlin, schon lange. Wir als Büro machen das seit 25 Jahren."

Dass der Klimawandel kommen würde, weiß man schon lange, und gerade Berlin und überhaupt der Osten der Republik leiden besonders unter Wassermangel, wie der Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums zeigt. Das merken Privatpersonen, Medien und Behörden.

"Ich musste am Wochenende einen Baum fällen, die oberen fünf Zentimeter an Boden waren feucht, und darunter war es knochentrocken", sagt Heiko Sieker, "das derzeitige Defizit im Berliner Osten entspricht einem Defizit von einem ganzen Jahresniederschlag. Wir sind jetzt im neunten Jahr der Trockenheit hier, seit 2014, vor allem im Osten. Brandenburg ist sowieso sehr trocken: In Deutschland fallen im Durchschnitt 800 Millimeter, in Berlin weniger als 600 Millimeter Niederschlag pro Jahr. Die Dürre ist sichtbar, erstens in den Gärten, und zweitens in Kleingewässern."

Berlin habe mehr als 500 Kleingewässer, und deren Wasserspiegel sinke. Sieker zählt einige Projekte auf, mit denen er befasst ist: die Panke etwa sei in diesem Sommer komplett ausgetrocknet gewesen, ebenso Tümpel wie etwa die Höhnower Weiherkette bei Berlin-Hellersdorf. "Die Weiherkette ist nicht nur Lebensraum für Amphibien, sondern auch Naherholungsgebiet. Wenn sie austrocknet, ist das gerade für Menschen aus der Plattenbausiedlung besonders kritisch." Inzwischen stünde in den lokalen Medien "eigentlich an jedem dritten Tag" etwas über Trockenheit, "sogar Bürgerinitiativen haben sich gebildet, etwa zum Straussee in Brandenburg, und sie machen Druck, dass da was passiert."

Seine eigene Branche, die Bauingenieure, hätten jahrzehntelang nur Entwässerungssysteme gebaut, Abläufe an Straßen, Gullys, Kanäle: "Dann ist das Wasser weg! Innerhalb weniger Tage ist es in der Nordsee und steht für die nächste Trockenheit nicht zur Verfügung." Besser sei es, Niederschläge vor Ort zu speichern, wo Gebäude stünden, in Gründächern oder Retentionsdächern, und im Freien in Zisternen, etwa in Regentonnen."

Ein Beispiel sei das Neubaugebiet der Buckower Felder, "eine multifunktionale Fläche, eigentlich ein Landschaftsgarten." Im Süden von Berlin-Neukölln entsteht als Pilotprojekt dieses neue Stadtquartier mit etwa 900 Wohnungen. Dort sollen vor allem die nach Süden gelegenen Fassaden, sowie Dachflächen zu mindestens 80 Prozent sowohl extensiv als auch intensiv begrünt werden und dadurch Regenwasser speichern. Das soll das Mikroklima verbessern. Einerseits, indem das viele Grün Feinstaub, Schadstoffe und CO₂ aus der Luft filtert und bindet und andererseits, indem es im Sommer für Verdunstungskälte sorgt und die Fassaden verschattet.

Des Weiteren sollen Baumrigolen das Niederschlagswasser durch den Wurzelraum des Bodens leiten, so dass es teilweise von den Bäumen aufgenommen werden kann. Und diese Bäume sollen den Aufenthalt im Freien erleichtern, indem sie im Sommer Schatten spenden. Außerdem soll Regenwasser vor Ort versickern können, dazu dienen Grünflächen und ein Landschaftspark, die in die naheliegenden Felder münden. So soll das Abwassersystem auch bei starkem Regen nicht überlastet, sowie Regenwasser gespeichert und bei Trockenheit wieder abgegeben werden. Sieker: "Die Fläche ist so ausgeformt, dass es tiefere Bereiche gibt, einige bis zu 80 Zentimeter tiefer, die werden mit Schilf bepflanzt, das sind dann kleine temporäre Wasserflächen. So ein künstliches Feuchtgebiet, 'Constructed Wetland', ist ein aktuelles Projekt von uns."

Natürlich werde es auch in diesem Neubaugebiet versiegelte Flächen geben, Straßen und Radwege. "Das kann man nicht ganz verhindern, aber man leitet das Wasser eben nicht sofort weg, sondern in Grünflächen: Was man im Wald natürlicherweise hat, kann man technisch nachahmen." Diese Schwammstadt sei keinesfalls teuer: "Gerade bei den Buckower Feldern ist das nachweislich preislich günstiger als Kanalisation: Sonst hätte man das Regenwasser fünf Kilometer durch Neukölln zum Teltowkanal leiten müssen."

Martin Drost ist Geschäftsführer der Müller-Kalchreuth Planungsgesellschaft für Wasserwirtschaft in Berlin mbH. Das Büro existiert seit 1980, und bis zum Jahr 1992 hat es aufgrund der Lage Berlins die meisten Aufträge in Süddeutschland bearbeitet. "Seit den 1980ern arbeiten wir in der Regenwasserbewirtschaftung", sagt Drost, "zunächst in Erlangen. Dort sind die Bodenverhältnisse sehr schlecht und wir haben ein qualifiziertes Misch-/Trennsystem angelegt. Das weniger stark verschmutztes Regenwasser von den Dachflächen wird so in die umgebenden Grünanlagen geleitet, wo sehr große, multifunktional nutzbare Mulden angelegt sind. Dadurch gelangte sehr viel weniger Regenwasser in die Kläranlagen."

In den 1990er Jahren hätten sie in Berlin ein Mulden-Rigolen-System geplant, "damals state of the art: In der Mulde kann ein Teil des Regenwassers verdunsten, ein anderer Teil versickert durch die sogenannte 'belebte Bodenzone' und wird in der Rigole gespeichert und langsam in den Boden infiltriert beziehungsweise gedrosselt abgeleitet." Rigolen sind im Allgemeinen unterirdische Pufferspeicher für Wasser, damals meist gefüllt mit Kies: In den Lücken zwischen den Steinchen kann viel Wasser gespeichert werden, und der Kies selber ist einigermaßen abriebfest, verschmutzt also seinerseits das Wasser nicht. "Heutzutage werden meist Füllkörperrigolen aus Kunststoff verbaut, mit einem hohen spezifischen Volumen von über 90 Prozent, gegenüber 33 Prozent bei Kies", so Drost.

Das Mulden-Rigolen-System (MRS).

(Bild: Sieker)

"Wir haben damals mit fast allen Landschaftsarchitekten Büros in Berlin zu tun gehabt, das war schön interessant für uns, aber man musste immer wieder Leute anlernen und das gleiche erklären, das war auf Dauer langweilig. Am Anfang haben wir viel Wissen verbreitet, das war ein gewisser Vorteil." Aber ab etwa dem Jahr 2008 konnten die Landschaftsplaner das auch selber. Seitdem macht sein Unternehmen wieder überwiegend Kanalnetzberechnungen und klassischen Leitungsbau, denn, so Drost: "Das Leitungssystem für Trinkwasser und Abwasser ist zum Teil 150 Jahre alt und muss renoviert werden." Aber sie planen weiterhin Regenwasserbewirtschaftung. Gelegentlich in Neubaugebieten. Oder eine Straßenentwässerung über Mulden, bei der das Regenwasser auch gereinigt wird, bevor es in die Rigolen einsickert.

Die Muldensohle wird kernig aufgebaut und filtert das Wasser, indem sie die gröberen Stoffe zurückhält (physikalische Reinigung). Organische Stoffe wie Hundekot, Taubenkot und Laub werden durch Mikroorganismen mineralisiert (biologische Reinigung). Durch die Passage durch den belebten Boden werden der ph-Wert des Wassers neutralisiert und Schadstoffe adsorbiert (chemische Reinigung). "Inzwischen gibt es eine Senatsvorschrift über die Zusammensetzung der Rigolen Mulden: Wenn man sich um die Vorschriften hält, kann man davon ausgehen, dass die Reinigung funktioniert", sagt Martin Drost, es gebe inzwischen eine ganze Reihe Vorschriften: Arbeitsblatt DWA-A 138: "Planung, Bau und Betrieb von Anlagen zur Versickerung von Niederschlagswasser", DIN 1986-100, die "klassische Norm für Grundstücks Entwässerung", und Mitte des Jahres 2021, "etwas überraschend für manche Planungsbüros", erschien das Hinweisblatt "Begrenzung von Regenwassereinleitungen bei Bauvorhaben in Berlin (BReWA-BE).

Eines der BMBF-Projekte entsteht in Leipzig. "Leipziger BlauGrün – Blau-grüne Quartiersentwicklung in Leipzig" wird vom BMBF mit 2,8 Millionen Euro gefördert. Es soll das zentrale Abwassersystem entlasten, die Energieeffizienz und das Mikroklima verbessen und Starkregen resilient managen. Projektleiter und Koordinator ist Professor Dr. Roland Arno Müller, der vorher Projekte im Nahen und Mittleren Osten, zum Beispiel in Jordanien und im Oman geleitet hatte, etwa anwendungsnahe Forschung in der Thematik Implementierung dezentraler Abwassersysteme im Rahmen eines integrierten Wasserressourcenmanagements für Wassermangelgebiete. Im Jahr 2018 erhielten er und zwei seiner Mitarbeiter den Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt von Bundespräsident Steinmeier.

Für das Leipziger Projekt habe er viel von seinen Erfahrungen aus dem Nahen Osten übernommen, sagt er. Gerade in Städten sind solche Projekte wichtig, denn, so Roland Müller: "Erstens werden in Zukunft 70 bis 80 Prozent der Menschen in Städten leben, also entwickelt Ressourceneffizienz gerade dort einen sehr großen Wirkungsgrad. Zweitens werden Wetterextreme in Zukunft häufiger, darum müssen die Städte sicherer, resilienter und robuster werden." Dabei bräuchten unterschiedliche Städte unterschiedliche Maßnahmen: In Hamburg sei die Wahrscheinlichkeit von Starkregen höher, Städte wie Leipzig müssen verstärkt mit dem gleichzeitig zunehmenden Auftreten von Starkregen und Dürre umzugehen lernen.

In der Leipziger Innenstadt entsteht ein Quartier für knapp 4000 Menschen. "Das Starkregenmanagement war dabei die erste Aufgabe", sagt Roland Müller, der Niederschlag soll nicht in die Kanalisation, wie bisher praktiziert, sondern zukünftig im Quartier verbleiben." Das hat Sinn, brauchen wir doch Wasser zur Bewässerung im Sommer, "wir hatten zwei Dürresommer in den Jahren 2018 und 2019. Da gingen 1800 Bäume allein in Leipzig durch Hitzestress verloren." Wenn man die Klimaziele erreiche mit "nur" zwei Grad Erwärmung, "dann wird das Wetter aus den Sommern 2018 und 2019 zum Normalfall.

Es ist übrigens auch nicht sinnvoll, alle Städte 'grün' zu machen, ohne an eine wassersensitive Stadtentwicklung zu berücksichtigen. Stadtgrün ist für die Zukunft auf unterschiedlichen Ebenen wichtig, aber die Bewässerung in Trockenjahren muss mitgedacht werden. Richtig umgesetzt, können wichtige Beiträge wie zum Beispiel Beschattung, Kühlung und auch die Vermeidung von Hitzeinseln positive Konsequenzen sein." Daher brauche man technische Maßnahmen für funktionale blau-grüne Infrastrukturen. Am bekanntesten sei das Gründach, außerdem Rigolensysteme, Baumrigolen, Wasserspeicher und Flächen, an denen Wasser versickern könne. Man könne auch Grauwasser zum Bewässern verwenden, also aufbereitetes Spülwasser aus dem Haushalt.

So etwas könne man in einem Neubauquartier relativ schnell aufbauen, dagegen dauere der Prozess bis zur Transformation von Bestandsquartieren in eine schwammfähige Stadt Jahrzehnte. "Aber wir sollten deswegen die vorhandenen Möglichkeiten nutzen und schrittweise umsetzen." So hat "Sachsen wunderschöne Innenhöfe in den Wohnblöcken. Und in Niedersachsen gibt es Hinterhöfe. Da kann man blaugrüne Infrastrukturen schaffen, das Wasser über Zwischenspeicherung in technischen Speichern oder im Grundwasser zurückhalten beziehungsweise versickern lassen."

An Leipziger BlauGrün sind insgesamt zwölf Partner beteiligt, kleine und mittlere Unternehmen, Institute, kommunale Betriebe und ein Investor, dem das Quartier gehört. Bei der Quartiersentwicklung muss viel kommuniziert werden, und das sei bereits bei einem Neubau sehr komplex, sagt Müller: "Für uns war es sehr motivierend, wie im Co-Design gemeinsam Konzepte aus Forschung und etablierten Erfahrungswissen entstanden."

Aktuell steht der Baubeginn bevor, die Vorplanungen sind abgeschlossen. In Müllers Einschätzung hat das Vorhaben dazu beigetragen, sich nun auch über die entwickelten Gesprächskreise und Verantwortlichkeiten der nächsten Aufgabe zu widmen – den Bestandsquartieren. "Auch der Bestand, der ja Großteile der Städte ausmacht, muss sich den Aufgaben resultierend aus dem Klimawandel stellen. Wichtige Partner dabei sind die Wohnungsobjekte von Wohnungsgenossenschaften und Gesellschaften – die 30 bis 40 und mehr Prozent der Städte ausmachen." Die Aufgabe wird komplexer, erstens, weil die Gebiete schon bewohnt sind, zweitens, weil die Objekte schon fertig sind – bevor man etwa aus einem herkömmlichen Dach ein Gründach mache, müsse zunächst ein Statiker überprüfen, ob das Dach überhaupt gründachgeeignet ist. Und in Bezug auf Leipzig, wenn man das Konzept auf die ganze Stadt übertragen will, müsse man überlegen, wie man das machen könne: Zum Beispiel, in welcher Reihenfolge man Quartiere vom Kanal abkoppeln wolle.

Und was kostet das? "Ich antworte immer gern andersherum: Was kostet uns das Nichtstun? Dann entstehen nämlich erhebliche Passivfolgen des Klimawandels, es kostet nach Schätzungen des IPCC hunderte Milliarden Dollar, um hier Schäden zu beseitigen." Wie hoch seien denn die Folgekosten eines Hochwassers und des Absterbens von Bäumen! Die Hitzetoten! Was könne man beim Kanalnetz einsparen! Außerdem sei der Prozess des Umbauens ein Anlass für Investitionen in der Stadt, etwa die Installierung digitaler Hilfsmittel wie GIS-Systeme, bei denen durch Satellitentechnik Hotspots für Hitze und Überflutungen angezeigt würden.

Er erwarte etwa für die kommenden fünf bis zehn Jahre für die großen Städte in Deutschland und Europa immer mehr "digitale Zwillinge", also computergestützte Simulationen, die etwa zeigten, wie viel Wasser man in der Stadt zukünftig brauche, "das klingt banal, aber hinter diesen Aussagen stehen beispielsweise fundierte Ergebnisse aus Klimamodellierungen, lokalen Hochwasser- oder Dürreszenarien, lokalen Hotspots etc.: Er erwartet, dass diese Erkenntnisse zukünftig helfen werden, zielgerichtet Investitionsentscheidungen und die dazugehörenden Genehmigungsverfahren in eine robuste Stadtentwicklung zu vereinfachen.

Bemerkenswert ist, dass viele Städte auf eine Kombination von behördlichen Aktionen, Aufklärung der Bevölkerung, und Appell an die Eigenverantwortung der Menschen setzen, um nachhaltig mit Regenwasser umzugehen und aus ihrer Stadt eine Schwammstadt zu machen. Teilweise werden Aktionen der Bevölkerung auch finanziell unterstützt.

Die Stadt liegt in einem Talkessel, in der Region wird es im Sommer oft heiß und die Luft wird schlecht, außerdem haben Starkregenereignisse mehrfach wichtige Infrastruktureinrichtungen getroffen. Auch hier gibt es mehrere Projekte zum Thema Schwammstadt, allerdings eher gemischte Projekte: So formuliert und priorisiert das Stuttgarter Klimaanpassungskonzept KLIMAKS insgesamt über 50 Maßnahmen, die den Sektoren der Deutschen Anpassungsstrategie und bestimmten Klimaindikatoren wie beispielsweise Extremniederschlag zugeordnet sind, so Jana Steinbeck von der Kommunikationsabteilung der Landeshauptstadt Stuttgart: "Viele der Maßnahmen sind langfristig und auf Dauerhaftigkeit angelegt und bis auf wenige Ausnahmen umgesetzt. Ziel ist, die Anpassungskapazität der Stadt insgesamt zu erhöhen und etwaige Risiken zu minimieren." Aktuell wird KLIMAKS im Rahmen eines Förderprojektes fortgeschrieben.

Außerdem setzt die Stadt in Bebauungsplänen Dachbegrünungen fest – bisher schon etwa 2,5 Millionen Quadratmeter Dachfläche, zunehmend auch Fassadenbegrünungen. "Bei stadteigenen Gebäuden (Neubau) wird ebenfalls eine Bauwerksbegrünung implementiert. So nimmt die Stadt bei ihren eigenen Gebäuden ihre Vorbildfunktion wahr", so Steinbeck. Außerdem gebe es zwei Förderprogramme der Stadt für Bürger für urbanes Grün, das "Stuttgarter Grünprogramm" zur Begrünung von Höfen, Dächern und Fassaden, und das Förderprogramm "Urbane Gärten".

Eines sehr bekanntes "Schwammstadtgebiet" ist das Emscher-Lippe-Gebiet. Dort gibt es schon eine ganze Reihe Maßnahmen und das Hochwasser im Juli 2021 – ergiebiger Dauerregen und lokale Starkregen-Ereignisse mit Intensitäten und Niederschlagsmengen, die statistisch gesehen seltener als einmal in 100 Jahren vorkommen – ging glimpflich aus, dank "Glück und Geschick", wie es auf der Website der Emschergenossenschaft Lippeverband heißt. Direkte Folgen des Hochwassers waren gestiegene Pegelstände, die Emscher-Auen zwischen Dortmund-Mengede und Castrop-Rauxel wurden eine Seenlandschaft, der Phönix See in Dortmund nahm zusätzlich über 100.000 Kubikmeter Wasser aus der Emscher auf, an den Nebenläufen traten lokale Überflutungen auf, das Hochwasserrückhaltebecken in Bönen im Lippeverbandsgebiet war mit 340.000 Kubikmeter Wasser im Volleinstau.

Trotzdem brauchte man auch Glück – und hatte es: Alles hielt. Aber wenn es so geregnet hätte wie in Hagen und im Ahrtal, hätte es nicht gehalten. Darum haben die Wasserverbände eine "Roadmap Krisenhochwasser" aufgesetzt, einen Aktionsplan für mehr Retentionsflächen, die Ertüchtigung von Deichen und die Anpassung der Hochwasserschutzanlagen an extreme Wetterlagen. Dazu kommen Schwammstadt-Maßnahmen wie Dach- und Fassadenbegrünungen, Entsiegelung von Flächen, Bau von unterirdischen Speichern, Abkopplung von Flächen von der Mischwasserkanalisation, Anlegen von Versickerungsmulden, Überflutungs- und Wasserflächen. Auch hier werden Hausbesitzer informiert – und damit aufgefordert – wie sie selber ihr Eigentum vor Starkregen schützen können.

Hamburg zählt zwar zu den grünsten Städten Europas, aber das will offensichtlich nicht viel heißen: 39 Prozent des Stadtgebietes sind versiegelt. Auch in Hamburg setzen die Wasserwerke auf eine Kombination von behördlichen Aktionen, Aufklärung der Bevölkerung und Appell an die Eigenverantwortung, um nachhaltig mit Regenwasser umzugehen und aus Hamburg eine Schwammstadt zu machen. Die Wasserwerke haben das Projekt "Initiative der RegenInfraStrukturAnpassung" (RISA) lanciert.

Inzwischen gibt es "Abwasserautobahnen" und Speicher unter der Stadt, um Regenmassen zurückzuhalten, bevor sie Klärwerk und Kanalnetz überfordern. Avisiert wird eine Schwammstadt, in der Regen dort versickert und verdunstet, wo er gefallen ist. Auch in Hamburg soll die Bevölkerung selber tätig werden: Mit einer Starkregenhinweiskarte der Wasserwerke und der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) können Grundstückseigentümer herausfinden, ob Starkregen ihr Grundstück gefährden könnte. Wenn ja, sollen sie überprüfen, welche Gefahren konkret entstehen können, dazu ist eine Checkliste veröffentlicht.

Fazit: Es geht voran, aber wegen einiger Probleme ist man noch nicht so weit, wie man sein könnte und sollte.

Zum Thema Neubauten haben viele Städte und Länder bereits Vorschriften erlassen. Aber die Leute wohnen nun einmal in Häusern und Wohnungen, die es schon gibt, und die müssten eigentlich umgerüstet werden. Eigentlich. Stephan Natz: "Für den großen Bestand fehlt der entscheidende Wurf und Mut. Da tun sich alle noch etwas schwer." Das liege nicht nur an mangelnden Möglichkeiten: "Es gibt noch viel Unsicherheit bei der Verwaltung, was etwa die Umsetzung vieler Regelungen betrifft." Der Klimawandel sei schneller gekommen als gedacht, "man sollte jetzt, statt Pilotprojekte durchzuführen, in Serie gehen. Es muss was passieren, was den Umbau im Bestand voranschiebt."

Das sei auch bei Berliner Altbauten möglich: "Zum Beispiel weniger Versiegelung und mehr Grün, und für die Versickerung kann man zum Beispiel Regenrinnen woandershin leiten und nicht mehr in die Kanalisation. Das kostet zwar erst was, auf Dauer spart man aber Gebühren, weil es im Ergebnis eine Abkopplung oder Teilentsiegelung ist." Die Niederschlagswassergebühr berechnet sich nicht nach der Menge, sondern nach den Quadratmetern versiegelter und in die Kanalisation einleitender Fläche.

Da könnten einige Berliner demnächst eine Überraschung erleben. Die Wasserbetriebe haben nämlich im Jahr 2021 ihre fast 300.000 Kunden angeschrieben und nach dem jeweiligen Umgang mit dem Regenwasser gefragt. Alle paar Jahre macht das Unternehmen eine Flächenanalyse, befliegt die Stadt und gleicht die neuen Luftbilder mit vorhandenen Daten ab. Dann sieht man, ob die versiegelten Flächen korrekt angegeben sind oder nicht. Für die Gebührengerechtigkeit.

Es gibt eine ganze Reihe Pilotprojekte, aber in den Tiefen mancher Behörden scheint die Dringlichkeit des Themas noch nicht angekommen zu sein. Stephan Natz: "Viele Leute in Ämtern glauben, dass Normen rechtsverbindlich seien." Das kann kontraproduktiv sein. Was lange galt, muss nicht immer mehr die beste Lösung sein. Wenn etwa eine Straße und ein Gehweg gebaut wurden, war bislang die Norm, dass der Gehweg ein Gefälle Richtung Bordstein hatte, wohin das Wasser abfloss und bei stärkerem Regen zu einem Gully abgeleitet wurde.

Wenn so ein Gehweg nun repariert oder um einen Radweg erweitert werden soll, ließe sich dies Gefälle zwar gegen die alten Normen aber ohne Aufwand zur anderen Seite kontern, falls dort ein Park oder eine Wiese liegen, oder man leitet das Wasser zu einer Baumscheibe. Stephan Natz: "Normen sind Hinweise, keine Gesetze. Im Zweifel berät die Regenwasseragentur."

Das Thema Schwammstadt verspricht Geld – und das wollen viele haben. Manche bereichern sich an Programmen und Förderungen, manche betrügen einfach so. Schon bei Mulden-Rigolen-Systemen gibt es verschiedene Möglichkeiten. Martin Drost: "Es kommt leider immer wieder auch zu Baumängeln, aber es gibt durchaus auch betrügerische Unternehmen, die aufbereiteten Recyclingboden als natürlichen Boden verkaufen, das gab es und gibt es immer wieder." Und wenn das Bauunternehmen die Teile nicht richtig oder auch nur zum falschen Zeitpunkt einbaut, funktioniert das System auch nicht mehr richtig.

Ein Transportbetonmischer kann auf den Rasen anstatt auf einem Gully spritzen. Es kann zu Verschmutzungen der Versickerungsanlagen infolge des Baugeschehens oder zur Verdichtung des Untergrunds oder Mutterbodens infolge des Baugeschehens kommen. Verdichtung und mangelnde Durchwurzelung führen zur Verschlämmung des Bodens und verschlechtern die natürliche Bodendurchlässigkeit. Zu schwere Baugeräte werden zu lange geparkt und verdichten den Boden und die obersten Bodenschichten können nicht mehr durchwurzelt werden. Dann verstopfen die Poren.

Das BMBF fördert eine ganze Reihe von Maßnahmen zum Thema Schwammstadt. Der Sprecher des BMBF erklärt: "Das Thema Schwammstadt wurde bereits in den vorangegangenen BMBF-Fördermaßnahmen 'Intelligente und multifunktionelle Infrastruktursysteme für eine zukunftsfähige Wasserversorgung und Abwasserentsorgung (INIS)' und 'Regionales Wasserressourcen-Management für den nachhaltigen Gewässerschutz in Deutschland (ReWaM)' in einzelnen Projekten adressiert.

Weiterhin ist das Thema in der aktuell laufenden BMBF-Fördermaßnahme 'Wasser-Extremereignisse (WaX)' von zentraler Bedeutung." Dazu kämen Einzelprojekte wie bei CLIENT II – Internationale Partnerschaften für nachhaltige Innovationen, im Rahmen der Förderung von Forschung an Fachhochschulen in Kooperation mit Unternehmen (FH-Kooperativ) oder der Fördermaßnahme Regionale Informationen zum Klimahandeln (RegIKlim).

Aspekte des Schwammstadt-Konzeptes würden außerdem in einigen Forschungsprojekten für die Anpassung an Starkregenereignisse und Trockenperioden berücksichtigt, etwa Klimaresilienz durch Handeln in Stadt und Region, Wissenschaftliche Begleitung der Wiederaufbauprozesse nach der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen – Klimaanpassung, Hochwasser und Resilienz (KAHR) und Nachhaltige Entwicklung Urbaner Regionen.

Aber es fehlt eine gemeinsame Strategie der Bundesländer. So sagt Arno Müller: "Städte sollten sofort mit der Umsetzung von Klima-Anpassungsmaßnahmen beginnen. Es gibt bereits viele Einzelbeispiele, aber noch zu wenig strategische Stadtumbau-Konzepte." Und Carlo Becker: "Dies ist ein rechtliches Rahmenthema, es sollte eigentlich immer integriert werden, aber es wird noch nicht immer integriert."

Die Frage ist natürlich auch, für welche Aspekte und bis zu welchem Grad es eine solche überhaupt geben KANN: Die Städte in Deutschland haben unterschiedliche Klimabedingungen und unterschiedlichen Anpassungsdruck.

Martin Drost: "Es gibt im europäischen Ausland Städte, die schon deutlich weiter sind. Dänemark, London, Paris. Wir sind in Berlin mit Sicherheit nicht Vorreiter, aber wir kriechen auch nicht hinterher. Bereits in den 1990 forderten einzelne Wasserbehörden eine nachhaltige Regenwasserbewirtschaftung mit Verfahren, die aktuell wieder verstärkt in den Fokus rücken und mitunter als Neuerungen dargestellt werden."

(bme)