Missing Link: Freibier für alle – Trump löst mit Linux Weltkrieg aus

Seite 2: Exhibitionismus und Eitelkeit

Inhaltsverzeichnis

Das ist ein hehrer Anspruch, er basiert auf den Fundamenten der Aufklärung. Natürlich gibt es Medien, die durch inhaltloses Clickbaiting Kasse machen wollen oder aufgebauschte Halbwahrheiten verbreiten. Es gibt Journalisten, die sich mit ihrem Wortgeklingel im Grunde nur selbst beweihräuchern. Wer sich mit seiner Arbeit in eine breite Öffentlichkeit stellt, ist vor diesen Tendenzen nicht gefeit; seien es Politiker, Schauspieler oder auch Journalisten, sie benötigen einen gewissen Exhibitionismus, eine Portion Eitelkeit und geraten in die Gefahr, dass diese zum Selbstzweck werden. Zum Gedanken der Aufklärung gehört für mich als Journalisten daher auch, mir meiner eigenen Rolle in der Öffentlichkeit bewusst zu sein und ständig zu reflektieren.

Jede einzelne Meldung sollte ein Anlass dafür sein, meine eigene Arbeit zu überdenken, spätestens wenn eine Leserzuschrift mit einem Hinweis auf einen sachlichen oder sprachlichen Mangel hereinkommt. Auf heise online bietet obendrein das Forum zu jedem redaktionellen Beitrag den Lesern die Gelegenheit, eine Nachricht in ein anderes Licht zu rücken. Das hat mir schon einige Male zu einer besseren oder korrigierten Sichtweise verholfen. Noch kräftiger kann ich als Journalist meine eigene Perspektive überdenken, wenn ich meine Meinung als solche gekennzeichnet veröffentliche. Damit stelle ich bewusst und explizit meinen Standpunkt zur Diskussion. Dabei darf sie auch überspitzt sein, wenn das sich schlüssig herleiten lässt.

Den jüngsten Anlass dazu gaben Demonstranten, die in das US-amerikanische Capitol eingedrungen sind, woraufhin ich mich in meiner Ansicht bestärkt sah, dass die US-amerikanischen sozialen Medien geschlossen werden sollten, wenn sich mit den bisherigen Mitteln gegen den gefährlichen Populismus à la Trump nichts mehr ausrichten ließe. Wie schon zu früherer Gelegenheit, zu denen ich auf heise online meiner Skepsis gegenüber Facebook, Google und Twitter als Brutstätte und Schleuder des Populismus Ausdruck verliehen hatte, warfen mir Leser daraufhin vor, ich begäbe mich damit zumindest auf dünnes Eis, ich fordere Zensur. Dabei sei angemerkt, dass meine Meinung nicht von allen Kollegen in der Redaktion geteilt wird, denn gerade in unserer Branche ist die Meinungs- und Pressefreiheit höchstes Gut; weil der Kommentar den formalen Ansprüchen genügte, die allgemein an diese Textsorte gestellt wird, wurde er veröffentlicht.

Als ich die ersten Lesermeinungen zu meinem Kommentar las, die mir vorwarfen, Zensurgelüsten in die Hände zu spielen, verspürte ich den Drang, direkt im Forum auf sie zu antworten, besann mich aber darauf, dass mein Kommentar gar keine generelle Forderung nach Zensur enthält, selbsterklärend ist und daher keiner Ergänzung bedarf.

In meinem Kommentar vom Donnerstag ging es darum, dass die Plattformen, auf denen sich Trump, Rechtsradikale, Coronaleugner und andere Zwielichter ausbreiten, von US-amerikanischen Unternehmen betrieben werden und diese damit Geld verdienen. Ihr Interesse ist es nicht, Wahrheit zu verbreiten, sondern mit jedweder Art Inhalten Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, zu binden und mit den so gewonnenen Daten und der für Werbetreibende geschaffenen Aufmerksamkeit Geld zu verdienen, solange die Inhalte dafür geeignet sind.

Wahrheit und Ethik kommen erst dann als Profitfaktoren ins Spiel, wenn große Unternehmen wegen Fake News, Hasskommentaren und Spam ihre Werbeanzeigen auf den Plattformen zurückziehen, wie voriges Jahr geschehen. Ab dem Zeitpunkt wurde für Facebook und Twitter der Druck so groß, dass sie vermehrt in die Inhalte eingegriffen haben. Wobei wichtig ist, Ethik nicht mit Moral zu verwechseln, jener Moral, die zum Beispiel Gruppen von stillenden Müttern auf Facebook zeitweise zum Verhängnis wurde.

Ist das Zensur? Das Meinungsspektrum darüber reicht weit. Es gibt Menschen wie Trump, die meinen, auf den sozialen Medien sollten überhaupt keine Beiträge gelöscht oder als zweifelhaft markiert werden; es gibt Menschen, die nicht wollen, dass Algorithmen bestimmen, was die User zu lesen bekommen. Und es gibt Menschen wie mich, die das ganze System der sozialen Medien, so wie sie zurzeit existieren, grundsätzlich infrage stellen, weil es lediglich von Entscheidungen in Führungsetagen von Monopolkonzernen abhängt, was als Wahrheit durchgeht oder nicht.

In Deutschland gibt es spätestens nach den Gräueln der Nationalsozialisten ein anderes Verständnis von Meinungsfreiheit und von Zensur als in den USA. Die Nationalsozialisten hatten erkannt, dass Zeitungen, Radio und der Film bestens dafür geeignet waren, ihre Propaganda zu verbreiten, und verboten Medien, die ihnen ungenehme Fakten oder widerständige Meinungen verbreiteten. In ihrer Unmenschensprache nannten sie es Gleichschaltung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hielten die Väter und Mütter unserer Verfassung gleich im fünften Artikel fest: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt." Darauf basiert mein Berufsverständnis und mein Verständnis von dem, was im Internet passieren sollte. Wenn wir das Wort "Zensur" im Zusammenhang mit sozialen Netzwerken bemühen, sollten wir hinterfragen, ob nicht schon die von den Algorithmen der Plattformbetreiber erzeugte Auswahl eine Art Zensur darstellt; dass sich also die Menschen dort eben nicht "frei zugänglich" informieren können, dies aber glauben.

Wohlgemerkt plädiere ich nicht dafür, den Menschen allgemein die Möglichkeiten zu nehmen, sich über das Internet auszutauschen. Der Whistleblower Edward Snowden verweist in seiner Biografie "Permanent Record" darauf, dass sich das Internet in seinen Anfängen stark von dem heutigen unterscheidet, weil es inzwischen Unternehmen wie zunächst AOL, dann schließlich Google, Amazon, Apple und Facebook in Besitz genommen haben und weidlich für ihre Zwecke nutzen. Das frühe Internet, das wesentlich höhere und anspruchsvollere technische Einstiegshürden aufbot als das heutige, ist vielleicht jenes, das Kritiker meinen, wenn sie mir unterstellen, ich befürworte eine Zensur des Internets wie in China oder anderen autoritären Staaten oder etwa Upload-Filter oder ein Verbot sicherer Verschlüsselung. Mir wird auch unterstellt, ich wolle andere Meinungen außer meiner verbieten – abgesehen von denen auf ARD und ZDF geäußerten. Ich will auch nicht Aktivisten, der Demokratiebewegung und Regimegegnern ihre Kommunikationsmöglichkeiten wegnehmen – sofern diese überhaupt Google, Facebook und die anderen US-Dienste benutzen sollten, denn sie stehen zumindest im Verdacht, in autoritären Staaten bei der Zensur mitzuhelfen.