Missing Link: Nothing to Hide, oder: Wie mit "Social Scoring" die Privatsphäre abgeschafft wird

Seite 3: Digitale Ökosysteme für die Überwachung

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Die MERICS-Forscher haben ferner herausgefunden, dass in sozialen Netzwerken die Alibaba-Finanztochter Ant Financial dafür gerügt wird, sich deutlich mehr Daten einzuverleiben, als für die Bonitätsprüfung nötig. IT-Profis und Wissenschaftler beklagten vor allem, dass die eingesetzten Algorithmen, nicht offenliegen. Insgesamt lasse die Transparenz zu wünschen übrig: Die Nutzer könnten nicht in Erfahrung bringen, welche Informationen Ant Financial über sie sammle und an wen der Anbieter diese möglicherweise weitergebe.

Bei Alipay und der ebenfalls mit einer mobilen Bezahllösung aufwartenden Alternative WeChat des Konkurrenten Tencent handelt es sich nicht um einfache Apps, sondern um digitale Ökosysteme. Sie sind fast vergleichbar mit den App-Stores von Googles Android oder Apples iOS. Über die Anwendungen lassen sich direkt vielbenutzte Dienste von Airbnb über den Fahrservice Didi bis zu dessen Vorbild Uber abrufen und bezahlen.

So kommen umfangreiche Nutzungsdaten zusammen, die bei Alipay gleich in das eigene "Sesam öffne dich" einfließen dürften. Hilfreich dabei ist, dass Ant Financial etwa als strategischer Investor beim Fahrradverleihservice Ofo fungiert. Die Mutterfirma Alibaba beherrscht wiederum nicht nur den Online-Handel, sondern ihr gehören längst auch viele Supermärkte in der physikalischen Welt. Über die so bei dem Konzern etwa anfallenden Bewegungs- und Einkaufsdaten kann dieser umfassende Persönlichkeitsprofile erstellen.

(Bild: Gorodenkoff/Shutterstock.com)

Mehrere hundert Millionen Alipay-Nutzer haben sich bereits dafür entschieden, "Zhima Credit" zu aktivieren und sich dafür durchleuchten zu lassen. Dahinter steht die Hoffnung, mit den eigenen Daten auf "magische Weise" das ein oder andere Türchen öffnen zu können. Einige User dürften aber enttäuscht werden: Bekannt ist, dass Ant Financial zumindest an einem Punkt bereits mit der Zentralregierung zusammenarbeitet und eine schwarze Liste für rund sechs Millionen Chinesen in Sesam-Kredit integriert hat, die Gerichtsgebühren und Finanzbußen nicht gezahlt haben.

Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua hat diese Kooperation schon geholfen, über 1,2 Millionen solcher "Sünder" zu bestrafen. Die Kommunistische Partei hatte gleich 2014 die Losung ausgegeben, dass das Social-Credit-System Diskreditierten keinen Platz mehr in der Gesellschaft lassen solle.

Die "New York Times" berichtete daher voriges Jahr über einen "Aufschrei" zahlreicher Alipay-Anwender, als Ant Financial sie beim Abruf einer Übersicht ihrer Ausgaben und regionaler Vergleichszahlen automatisch in das Sesam-Kredit-Programm übernahm. Die Firma habe sich in Folge angesichts kursierender Boykottaufrufe gezwungen gesehen, die Umstellungen zu revidieren.

Die Zeitung hat in dem Protest in China den Auftakt einer noch jungen, aber wachsenden Bewegung für Privatheit und Datenschutz im Internet ausgemacht. Vielen Bürgern sei bewusst geworden, dass Tencent und Alibaba Informationen über das Verhalten ihrer Kunden mit öffentlichen Stellen teilten und sich von jeder Haftung davon in ihren Geschäftsbedingungen freisprächen. Die große Macht der Online-Riesen in der vernetzten Welt wecke vermehrt Bedenken. Für viele Nutzer sei ein Leben insbesondere ohne WeChat kaum mehr vorstellbar, da sie die App im Alltag ständig für schier alle Belange einsetzten.

WeChat kommt mittlerweile auf über eine Milliarde User, Alipay auf mehr als 500 Millionen. Die Giganten gehen nun dazu über, sich allgemein als Verwalter digitaler Identitäten aufzustellen. Zumindest drei chinesische Provinzen haben bereits angekündigt, elektronische Ausweise für ihre Bürger unter Einsatz der Gesichtserkennungstechniken von WeChat oder Alipay auszugeben. Die mobilen eIDs können dann nicht nur die obligatorischen Identitätskarte ersetzen, sondern auch für die Registrierung für Internet-Cafés und Reisebuchungen oder bei Sicherheitsüberprüfungen herangezogen werden.